Lady Eleanor Butler wird im Jahr 1739 im irischen Kilkenny geboren. Ihre Familie, ein bis in das 12. Jahrhundert nachverfolgbares, katholisches Adelsgeschlecht, hatte erst kürzlich durch die „Glorious Revolution“ (1688) empfindliche Verluste an Privilegien und Ländereien auf Grund ihres Glaubens verschmerzen müssen; gleichwohl besaß sie auch ohne „offiziellen“ Titel ein hohes Ansehen und alle für ein standesgemäßes Leben notwendigen finanziellen Mittel. Die junge Lady Eleanor, zukünftig also eine begehrenswerte Kandidatin auf dem Heiratsmarkt, wurde folglich zur schulischen Ausbildung in ein Benediktinerinnen-Konvent nach Frankreich geschickt. Nach dem Schulabschluss und zurück im heimischen Irland, widersetzte sie sich jedoch dem wachsenden Druck ihrer Eltern, bald in den Stand der Ehe einzutreten. Sie bildet sie lieber weiterhin fort, unter anderem am angesehenen Gymnasium von Miss Parke in Kilkenny. Hier lernt sie 1768, als 34jährige, die erst dreizehn Jahre alte Sarah Ponsonby kennen. Ponsonby, Tochter einer gut situierten Dubliner Familie, hatte früh ihre Eltern verloren und war von ihrer Pflegemutter in die Obhut von Miss Parke gegeben worden. Eleanor Butler steht ihr zunächst vor allem als intellektuelle Mentorin bei Seite: sie entdecken ihre gemeinsame Vorliebe für das Studium der Literatur und der Sprachen. Bald entwickelt sich eine Freundschaft, und als Sarah Miss Parkes Schule nach ihrem Abschluss 1773 verlassen muss, pflegen sie diese weiterhin mit geheimer Korrespondenz und heimlichen gegenseitigen Besuchen.
In dieser Zeit entsteht bei beiden Frauen der Wunsch, das zukünftige Leben zusammen zu verbringen – dem jedoch stehen sowohl die gesellschaftliche Konvention als auch das Drängen der Eltern zur baldigen Heirat entgegen. Butler und Ponsonby ist klar, dass sie, um ihren Traum verwirklichen zu können, ihr Heimatland verlassen müssen … ein erster Plan zur Flucht wird geschmiedet, die Durchführung jedoch durch die Familien vereitelt: Eleanor Butler, nun anscheinend schon als „nicht-verheiratbar“ geltend, muss unter Zwang einem Konvent beitreten, für Ponsonby wird schnell ein Heiratskandidat ausfindig gemacht. Doch die beiden Frauen geben ihren Traum nicht auf, und einige Zeit später, im Jahr 1778, gelingt ihnen schließlich unter größter Geheimhaltung das Ungeheuerliche: Unterstützt von ihrer späteren Angestellten Mary Caryll und getarnt mit Männerkleidung verlassen sie ihre Familien und schaffen den Sprung nach Wales über die Irische See.
Eine erste Unterkunft im neuen Land entdecken sie im kleinen Ort Llangollen an der traditionellen Kutschenstrecke zwischen Irland und London. Schnell wird ihnen klar, dass dieser verträumte kleine Flecken ihre Heimat werden soll: Felder und Hügel dominieren die Landschaft, und ein Hauch von Friedfertigkeit weht über allem. Ein idealer Ort, um sich dem erklärten Ziel des Eigenstudiums zu widmen, und mit dem Kauf eines außerhalb gelegenen Cottages, das den Namen „Plas Newydd“ bekommt, ist 1780 auch endlich eine ständige Wohnstatt gefunden.
Ein neues Leben beginnt. Da Paar, fortan unzertrennlich, erlernt verschiedene Sprachen, studiert Literatur und Kunst und vor allem ihr gemeinsames „Idol“ Jean Jacques Rousseau. Auch das Anwesen gestaltet es nach eigenen Wünschen. Zahlreiche gotische Elemente finden Einzug in das geräumige Plas Newydd, das Geländer ringsrum verwandelt sich unter Butlers Aufsicht nach und nach zu einem Vorbild der englischen Gartenbaukunst (sogar die englische Königin wird sich für dessen Pläne interessieren). Eleanor und Sarah werden im dörflichen Llangollen zwar beäugt wie bunte Hunde, im Königreich verbreitet sich jedoch die Kunde von den beiden gelehrten Frauen wie ein Lauffeuer. Zahlreiche Künstler und auch Politiker finden den Weg nach Plas Newydd, darunter der Duke of Wellington, Sir Walter Scott und Wordsworth. Gerade Schriftsteller wie William Wordsworth nutzen die Abgeschiedenheit Llangollens auch, um kreativ zu arbeiten und sich nachher der fundierten Kritik Butlers und Ponsonbys auszusetzen. Und auch auf dem Kontinent hatte man von dem ungewöhnlichen Frauenpaar gehört: Fürst Pücker Muskau betitelte die beiden als „die gefeiertsten Jungfrauen Europas“.
So viel Ruhm schafft fast naturgemäß Misstrauen: Am 24. Juli 1790 kritisiert die „General Evening Post“ in einem Artikel angeblich ungerechtfertigte finanzielle Zuwendungen des Staates an Butler und Ponsonby. Beide, nach der Flucht von ihren Familien von diesen nur mit einem sehr geringen jährlichen Salär ausgestattet, hatten von der englischen Krone Zuschüsse erhalten. Weitaus mehr Gewicht wird von der „General Evening Post“ jedoch auf eine ausführliche Beschreibung des Paares gelegt: Miss Butler sei „groß und maskulin“ und trete „in allen Aspekten auf wie ein junger Mann“, während Miss Ponsonby „freundlich und weiblich“ wirke. Letztere kümmere sich auch um die Pflichten im Haus, während Eleanor Butler die Arbeiten im Garten und dem Rest des Landes überwache – ein auch schon zu Ende des 18. Jahrhunderts deutliches und für alle unmissverständliches Outing eines lesbischen Paares.
Kurz wird über ein gerichtliches Vorgehen gegen die Zeitung überlegt werden, doch vor allem ihr Anwalt und Freund, der Parlamentarier Edmund Burke, rät ihnen von einem unnötigen Spektakel um die ganze Sache ab. Ihrem Ruf als herausragende Gelehrte und ihr adliger Stand werden in den nächsten Jahrzehnte weitere Spekulationen hindern. Lady Eleanor Butler stirbt schließlich am 2. Juni 1829 im Alter von 90 Jahren. Miss Sarah Ponsonby lebte zwei weitere unglückliche Jahre, bis sie wieder neben ihrer Freundin lag, so wie sie es das halbe vorhergehende Jahrhundert gewohnt war – beide sind zusammen in der Kirche St. Collen in Llangollen beerdigt.
Sabine König
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