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Rezension: Reiner Marbach, Volker Weiß (Hg.): Konformitäten und Konfrontationen.

Der 09. November 1989 war nicht nur der Tag der Maueröffnung, sondern auch der Tag der Premiere von „Coming out“ von Heiner Carow, des ersten schwulen Films der DDR. Während der Premierenfeier im Kino International in Ost-Berlin wurde ein paar Kilometer weiter der Grenzübergang Bornholmer Straße geöffnet. Alsbald war nicht nur die Mauer Geschichte, sondern auch die Schwulen- und Lesbenbewegung der DDR in ihrer spezifischen Form.

Zum einen waren die systembedingten Einschränkungen der Demokratie und Meinungsfreiheit für Lesben und Schwule in der DDR einengend und war der Zugang zu Informationen und Literatur erheblich erschwert, zum anderen gab es juristisch eine teilweise größere formale Liberalität als im Westen, was die Herausgeber zugespitzt mit dem völligen Fehlen kirchlicher Moralvorschriften in der DDR begründen. Anders als im Westen wurde der § 175 in seiner ursprünglichen und nicht in seiner in der NS-Zeit verschärften Form ins Strafgesetzbuch der DDR aufgenommen. Er wurde 1968 durch den wesentlich liberaleren § 151 ersetzt, der schließlich 1988 ganz gestrichen wurde. Insofern war die Vereinigung zumindest für die Schwulen der DDR formal sogar ein Rückschritt.

Mit interessanten, wenn auch relativ unvollständigen statistischen Daten lässt sich nachzeichnen, dass die Verfolgungsintensität in Westdeutschland in den 50er und 60er Jahren wesentlich höher war als in Ostdeutschland, insbesondere wenn man die Zahl der Fälle miteinander vergleicht, bei denen es nicht um (vermeintlichen) Jugendschutz ging, sondern um einvernehmliche sexuelle Handlungen von Männern ab 21 Jahren. Ein statistischer Zusammenhang zur SED- oder NSDAP-Mitgliedschaft von Verurteilten ist übrigens nicht erkennbar, ebenso wenig eine stärkere Repräsentanz von Westbürgern unter den Verurteilten.

Trotz einiger fortschrittlicherer sozialistischer und kommunistischer Ansätze vor der Stalinzeit und dem Zweiten Weltkrieg setzte sich in der DDR der Nachkriegszeit die Ansicht durch, dass Sexualität und erst recht Homosexualität generell eine Bedrohung für die gesellschaftliche Ordnung sei und Sexualerziehung generell zu vermeiden sei. Dies trug dazu bei, dass die Lebenswelt lesbischer Frauen in dieser Zeit fast unsichtbar blieb und viele sich in eine schützende Normalbiografie flüchteten, manchmal allein schon, um unabhängig von den Eltern zu werden.

Nach dem Vorreiter Schweden (1972) ebnete die DDR allerdings bereits 1976 den Weg für geschlechtsangleichende Operationen Transsexueller, während die BRD erst 1980 folgte.

In den 70er Jahren wurden die Kontakte zwischen Ost- und Westbewegung zunächst intensiver. Ab 1972 war die Einreise von West-Berliner_innen nach Ost-Berlin wieder möglich. Am 15. Januar 1973 war der in der ARD ausgestrahlte „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ von Rosa von Praunheim auch in weiten Teilen der DDR zu empfangen und löste auch hier einiges aus, etwa die informelle Gründung einer „Homosexuellen Interessengemeinschaft Berlin“ (IHB), die sich 1976 erfolglos registrieren lassen wollte. Auch die Weltfestspiele der Jugend 1973 führten zu einer vorübergehenden Liberalisierung und ermöglichten sogar einen Vortrag zu schwuler Emanzipation durch den westlichen Aktivisten Peter Thatchell an der Ost-Berliner Humboldt-Universität. Später traf sich die HIB dann u.a. im Gründerzeitmuseum von Lothar Berfelde alias Charlotte von Mahlsdorf.

Daneben wurde in den 80er Jahren die evangelische Kirche zum Schutzraum für Lesben und Schwule, die in der DDR zumeist enger zusammenarbeiteten als im Westen. Am 25. April 1982 wurde der Arbeitskreis Homosexualität bei der Evangelischen Studentengemeinde Leipzig gegründet. Bereits im Januar hatte unter dem Dach der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg eine Tagung zum Thema Homosexualität mit ca. 200 Teilnehmenden stattgefunden. An zwölf Orten in der DDR entstanden schließlich Gruppen unter dem Dach der Kirche, die häufig gar nicht besonders kirchlich ausgerichtet waren. Im Lutherjahr 1983 wurden sie auch auf regionalen Kirchentagen sichtbar – ein Beitrag zur Verbreitung der Idee und einer langsam wachsenden innerkirchlichen Selbstverständlichkeit. Beim ebenfalls innerhalb der Kirche tagenden Gesprächskreis Homosexualität (GKHS) traten etwa Referenten wie Gregor Gysi oder Lothar de Maizière auf, die das Thema Homosexualität vor allem aus juristischer Perspektive beleuchteten.

Immer wieder – auch intern kontrovers – diskutiert wurden die Chancen und Risiken eines Kontakts oder einer Zusammenarbeit mit westlichen Journalist_innen und Aktivist_innen, die häufig nicht bereit waren, die besondere Situation der Schwulen und Lesben Ostdeutschlands in ihr Vorgehen einzubeziehen. Schließlich gingen viele der Gruppen mit mehr oder weniger eigener Überzeugung den Weg über die Integration von Schwulen und Lesben die sozialistische Gesellschaft verbessern zu wollen – eher eine Strategie der Reform als des Widerstands also. Die Staatssicherheit der DDR war über diese Schritte und Auseinandersetzungen wie auch über die West-Kontakte übrigens bestens informiert.

Gleichzeitig waren die 80er-Jahre auch die Zeit einiger Aufbrüche, die auch im Alltag wirksam wurden. Ab 1985 konnten lesbische und schwule Paare aufgrund eines Magistratsschreibens in Ost-Berlin beispielsweise gemeinsame Wohnungsanträge stellen. In Lehrgängen für Mitarbeiter_innen von Ehe- und Sexualberatungsstellen gab es eine offene Darstellung des Themas Homosexualität. Gegen Ende der DDR schließlich erschienen Buchveröffentlichungen, die sich positiv oder selbstverständlich beschreibend mit dem Thema Homosexualität in der DDR auseinandersetzten, u.a. von Günter Grau („Und diese Liebe auch“) und Jürgen Lemke („Ganz normal anders“).

Für den Alltag prägend waren aber eher die privaten und informellen Netzwerke. 1986 entstand allerdings der bis heute bestehende Sonntags-Club, der sich in einem Klub traf, der sonntags frei war, oder in Gaststätten und Privatwohnungen. Die Stasi sah auch derartige eher freizeitorientierte Aktivitäten als „feindlich-negative Kraft“ und versuchte – wie auch schon zuvor – mit allen Mitteln die Gründung einer – gar landesweiten – Homosexuellenorganisation zu verhindern. Verhindert wurde auch eine Sichtbarkeit und Dauerhaftigkeit eines Gedenkens an die in den Konzentrationslagern umgekommenen Homosexuellen. Besonders in der Gedenkstätte Sachsenhausen kam es jedoch immer wieder zu Veranstaltungen der schwul-lesbischen Erinnerungsarbeit und zu Gedenkveranstaltungen.

Abschluss des Bandes ist eine umfangreiche Bibliographie zum Thema Homosexualität in der DDR sowie ein Ausblick von Michael Holy, der drei blinde Flecken benennt: Überraschenderweise beginnt er mit Leerstellen der Erforschung der westdeutschen Schwulengeschichte zur Zeit des Bestehens zweier deutscher Staaten und benennt weiterhin die Geschichte der lesbisch-schwulen Subkultur der DDR sowie die ästhetische Opposition und die Phantasie kultureller Subversivität in der DDR.

Ansgar Drücker

 

Buchcover Konformitaeten und KonfrontationReiner Marbach, Volker Weiß (Hg.): Konformitäten und Konfrontationen. Homosexuelle in der DDR.
Edition Waldschlösschen im Männerschwarm Verlag, Band 14,
gleichzeitig Band 4 der Geschichte der Homosexuellen in Deutschland nach 1945,
248 Seiten

Über Ansgar Druecker

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