„Macht das Private öffentlich!“
Dieser Slogan wurde zum Grundprinzip zahlreicher, sich ausbildender Gegenöffentlichkeiten: die Linke grenzte sich dabei von den Öffentlichkeiten der Bürgerlichen ab, Frauen von den Linken, Lesben von heterosexuellen Frauen, später z.B. Schwarze FrauenLesben von weißen Feministinnen. Dabei wurden (und werden) individuelle Erfahrungen, die bislang im Privaten gebunden waren, veröffentlicht und kollektiviert, um sie diskutier- und skandalisierbar zu machen wie beispielsweise das Thema Männergewalt gegen Frauen v.a. Mitte der siebziger Jahre in der BRD.
Der Begriff der Öffentlichkeit ist vielschichtig. Nicht nur Publikationen, klassisch die Medien, sondern auch Gruppen, Subkulturorte, Versammlungen und Kommunikationstrukturen etc. werden in der Neuen sozialen Bewegungsforschung darunter verstanden. Aus dieser Perspektive untersucht die Soziologin Ulla Wischermann in ihrer Habilitationsschrift – also der inzwischen abgeschafften letzten Pflicht vor der Professur – Öffentlichkeiten der Alten Frauenbewegung.
Ein Hauptteil der Studie besteht in der systematischen Auswertung von drei Zeitschriften, um Themen, deren Konjunkturen und Ereignisse innerhalb der Sittlichkeits- und Stimmrechtsbewegung zwischen 1894-1914 herauszuarbeiten. Dabei zeigen sich bislang wenig beachtete „Gemeinsamkeiten und Bezüge“ zwischen dem radikalen, dem gemäßigten und dem proletarischen Flügel der Frauenbewegung. Ein weiteres Ergebnis ist gleichsam zeitlos auf andere Gegenöffentlichkeiten zu übertragen: Neben „internen Bewegungsprozessen“ waren es auch „Gelegenheitsstrukturen“ wie Gesetzesnovellen oder auch die Wahlrechtsreform, die die Texte in den Zeitschriften bestimmten. Hierbei reproduziert Ulla Wischermann bedauerlich unproduktiv die Tabuisierung weiblicher Homosexualität in der Frauenbewegung: Artikel über „Sexualität“ waren ganz selbstverständlich Texte über Heterosexualität. Mit Blick auf die von ihr herausgestellten Gelegenheitsstrukturen der Themenbearbeitung fällt auf, dass die damalige gesellschaftliche und mediale Debatte, meist als Skandalisierung des sog. Dritten Geschlechts reichlich Gelegenheiten zur Diskussion von weiblicher und männlicher Homosexualität für die Frauenbewegung geboten hätte – diese sich aber weitgehend für Vogelstraußpolitik entschied.
Das Buch gibt materialreich Aufschluss über die Bedeutung der Bewegungsmedien, macht Mobilisierungsprozesse sichtbar und zeigt die Bezüge einer hinsichlich sozialer Herkunft und Alter homogenen Kerngruppe von Frauen auf, für die die Bewegung oftmals Lebens- und Arbeitszusammenhang zugleich war: etwa für das prominente Paar Anita Augspurg und Lida G. Heymann. Die Autorin skizziert neben solchen persönlichen Netzwerken, die Vereinslandschaft, betrachtet Bewegungsöffentlichkeiten wie Medien, Versammlungen und untersucht Protest- und Aktionsformen der Schwestern von gestern.
Das Verhältnis von Frauenbewegung und Öffentlichkeit resümiert Ulla Wischermann abschließend als bewusst gesteuerten „Prozeß“. Ein Fazit dazu lautet: „Erst durch die enge Verflechtung personaler und medialer Kommunikation, formeller und informeller, privater und politischer Bezüge konnte die sogenannte Frauenfrage publik und die Frauenbewegung ein nicht unwesentlicher Faktor für gesellschaftliche Veränderungen der Vorkriegszeit werden.“
Mit der Studie wird zum einen wichtiges empirisches Material bereit gestellt und zum anderen werden theoretische Überlegungen zu historischen Bewegungsöffentlichkeiten angestellt, an denen weitere politik-historische Arbeiten – nicht nur zur alten Frauenbewegung – anknüpfen können.
Christiane Leidinger
DenkWiderstand. Arbeitskreis für lesbisch-feministische Politik und Geschichte (Berlin)
Frauenbewegungen und Öffentlichkeit um 1900.
Netzwerke. Gegenöffentlichkeiten. Protestinszenierungen
Ulrike Helmer Verlag