Ulrike Heider: Der Schwule und der Spießer – Provokationen, Sex und Poesie in der Schwulenbewegung. Männerschwarm Verlag

Ulrike Heider: Der Schwule und der Spießer – Provokationen, Sex und Poesie in der Schwulenbewegung

Ulrike Heider: Der Schwule und der Spießer – Provokationen, Sex und Poesie in der Schwulenbewegung. Männerschwarm Verlag

Eine linksalternative Ex-Hausbesetzerin aus Frankfurt schildert ihre Freundschaft mit einem der Mitbegründer von RotZSchwul und zeichnet dabei ein Sittengemälde der 70er und 80er Jahre. Das ist zumindest der rote Faden der (auto)biographischen Schilderung von Ulrike Heider, die erst 50 Jahre nach Stonewall wieder auf Interesse stieß. Sie skizziert das Leben des Soziologen und Lyrikers Albert Lörken, der 1982 an den Folgen von Aids starb. Nach der Abschwächung des § 175 im Jahre 1969 entstand 1971 in Berlin die Homosexuelle Aktion Westberlin (HAW) und parallel in Frankfurt die linksalternative Schwulengruppe RotZSchwul. Die positive Aneignung des Schimpfworts „schwul“ nahm in dieser Zeit ihren Anfang.

Albert Lörken stammt aus einem katholischen Dorf und einer katholischen Familie im Rheinland – der Ortsname Mariaweiler fasst das ganz gut zusammen. Er kommt zum Studium nach Frankfurt, kehrt aber später für viele überraschend für einige Jahre zurück in seine Heimat – ganz gebrochen hatte er nie mit ihr. Auch sein Werdegang ist ein Beispiel für Adornos Aussage über die in der Diskriminierung und Verletzung der Schwulen begründete „Unfähigkeit, zustande zu bringen, was sie wohl vermöchten.“ Albert ist zwar gebildet, redegewandt und intelligent – die wissenschaftliche Karriere, die denkbar gewesen wäre, macht er aber nicht.

Zu den linken Ritualen dieser Zeit gehört FKK als Ausdruck von Freiheit und Freizügigkeit, aber auch von Protest und Provokation. So passt es ins Bild, dass die Autorin ihren Protagonisten zuerst nackt sieht – und auch das war offenbar kein schlechter Eindruck. Obwohl Bisexualität nach der „Befreiung“ der Schwulen als verpönt oder gar als nicht existent galt, ließ sich Albert auch auf emotionale und körperliche Freundschaften mit Frauen ein. Als Frau war er allerdings auch selbst gern unterwegs. Bereits 1969 war Albert in seiner ersten Frankfurter WG als Tunte im Drag präsent – die Rehabilitierung der Tunte ist die gesellschaftliche Folie und schließlich ist das Private politisch. Er blickte später gern auf diese Zeit nach dem medizinischen Sieg über die Syphilis und der Abschwächung des § 175, aber vor dem Aufkommen von Aids zurück.

Diese Frühzeit der zweiten deutschen Schwulenbewegung war geprägt durch eine als Protest gegen herrschende Normen verstandene Unverbindlichkeit mit Klappensex, häufigem Wechsel der Sexualpartner und dem Ausprobieren verschiedener Lebensformen. Sex ging vor – auch das war eine Regel im Miteinander in WG und Freundeskreis. 1973 führte ein Kuss im gerade wieder bereisbaren Ost-Berlin zur Verhaftung und zu Verhören von Albert und einem Freund. Als undogmatische Linke waren sie aber ohnehin keine Fans des Sozialismus im DDR-Gewand.

Manche Initialzündung ging vom Festival Homolulu aus, das 1979 in Frankfurt stattfand – natürlich nicht ohne Albert. Neben vielen Aufbrüchen gibt es auch dies: Schwule und Feministinnen diskutierten kontrovers über Pädophilie – und manche Feministinnen begannen damals aus politischen und nicht aus erotischen Gründen ein lesbisches Leben.

Nach diesem „Sommer der Tunten“ wurde der Sex härter, das Ambiente war von Leder und Jeans geprägt, Männlichkeit war angesagt. In diese Zeit fällt das Aufkommen von HIV und Aids. Anfangs waren die Übertragungswege völlig unklar und es machte sich Angst breit. Schnell kam es zu erbittertem Streit über den richtigen Weg der Prävention. In dieser Zeit zieht Albert sich in das Haus seiner verstorbenen Eltern auf dem Lande zurück – er sieht dies als eine Art Überlebensstrategie, die aber schiefgeht. Er erlebt noch eine späte Karriere als begnadeter Rezitator, bevor er im Frühjahr 1982 an den Folgen von Aids stirbt. Wäre er zu einem Facharzt gegangen, hätte er seine Homosexualität angegeben, wäre er getestet worden, vielleicht wäre das alles vermeidbar gewesen. Aber es war zu früh, um derartige Fehler in der Behandlung und im Umgang mit HIV und Aids schon in der Breite verhindern zu können.

Ansgar Drücker

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