„Wir sind die Avantgarde Europas“

Tolerant, selbstbewußt und weltoffen – Spaniens Regierung ist stolz auf die gerade von ihr eingeführte Homo-Ehe. Da stört es auch nicht, dass die katholische Kirche zetert. Denn sie hat schon lange keinen Einfluss mehr im Land. Die Bevölkerung nimmt die Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen und Heteros als selbstverständlichen Schritt in die Moderne

 

Tradition und Moderne gehen in Spanien Hand in Hand – und das jetzt auch vor den Traualtar. Als zweites Land der Welt erlaubt Spanien die Ehe zwischen Menschen des gleichen Geschlechts. Lesbische und schwule Ehe­paa­re haben damit sämtliche Rechte und Pflichten, die auch heterosexuelle Ehepaare in Spanien haben. „Homosexuelle sind nun nicht länger Bürger 2. Klasse“, sagte der sozialistische Mini­ster­prä­sident Jose Luis Rodriguez Zapatero nach der Zustimmung des Par­la­ments zum Gesetz, und fast wäre ihm wohl ein „das ist auch gut so“ über die Lippen gekommen. „Wir beenden die Jahrhunderte der Dis­kri­minierung“, fügte Vize-Präsidentin Maria Teresa Fernandez de la Vega hin­zu. „Spanien ist jetzt die Avantgarde Europas und in der Welt im Kampf gegen die Diskriminierung.“ Einzig die Niederlande haben Lesben und Schwulen ebenfalls die vollständigen Bürgerrechte zu er­kannt.

Nur zwei zusätzliche Worte in Artikel 44 des Bür­ger­lichen Gesetzbuch genügten der Regierung Zapatero, um die völlige Gleichberechtigung aller spanischen Staatsbürger zu erreichen. „Die Ehe hat dieselben Erfordernisse und Folgen wenn beide Ehe­schlie­ßen­den desselben oder unterschiedlichen Geschlechts sind“, lautet seit April der Gesetzestext, der im Juni die letzten formalen Hürden nimmt und dann von König Juan Carlos unterschrieben werden wird. Der Mo­narch ist ebenso wie 80 Prozent der Bevölkerung für die Homo-Ehe. Die rechtliche Gleichstellung sei „Teil der Modernisierung der Gesell­schaft“, findet König Juan Carlos und hat diese Überzeugung auch schon persönlich im Vatikan vertreten. Dort hatten Papst Benedikt und seine Mannen gehofft, wenigstens mit seiner Hilfe die Homo-Ehe zu verhindern. Wenn schon die demokratisch gewählte Regierung in Ma­drid nicht auf den Papst hören will, so doch – hoffte der Vatikan – der katholische König. Doch Juan Carlos war schon immer ein fortschrittlicher Mann, der sein Land zielstrebig von der Franco-Diktatur in eine moderne Demokratie geführt hat. Und er zeigt mit seiner Haltung deutlich: Die Zeiten, in denen die katholische Kirche in Spanien über das Leben bestimmt hat, sind endgültig vorbei.

Denn Spanien ist eben nicht erzkatholisch, wie außerhalb der iberischen Halbinsel behauptet wird. Offiziell sind zwar 98,3 Prozent der Spanier katholisch, deswegen befolgen sie aber noch lange nicht die Dogmen der Kirche. Im Gegenteil: Die Mehrheit der Spanier lehnt den ehemals allumfassenden Einfluss der katholischen Kirche ab. Sie hatte Spanien 500 Jahre beherrscht, das reicht den Spaniern. Die jetzt das Land bestimmende Generation der 30 bis 60 jährigen hat genug von dem Dunkel der Talare ihrer Jugend. Sie leben anders als ihre Eltern ein freies Leben mit allen Vorzügen einer wirtschaftlich starken Demokratie. Die Mehrheit der Spanier begrüßt deswegen auch, dass Zapatero den Katechismusunterricht in den Schulen abgeschafft hat. Und Spanien ist eben auch nicht rückständig und konservativ, wie nördlich der Pyrenäen kolportiert wird. So arbeiten in kaum einem anderen Land der EU so viele Frauen in Führungspositio­nen, wie in Spanien. In allen Branchen sitzen Frauen in den Top-Etagen und Ministerpräsident Zapatero hat sein Kabinett paritätisch mit acht Frauen und acht Männern besetzt. Das Land diskutiert bereits jetzt, ob eines Tages auch eine Königin das Land führen kann und deshalb rechtzeitig die Verfassung geändert werden sollte. Prinzessin Letizia, die Ehefrau des Thronfolgers Prinz Felipe, ist nämlich schwanger und im­merhin könnte es sein, dass sie eine Tochter gebiert. Ihr wäre nach jet­zigem Recht der Thron verwehrt und das, finden die Spanier, wäre nicht zeitgemäß.

Diese Weitsicht mag auch zur Homo-Ehe geführt ha­ben. Spanien hat die niedrigste Geburtenrate der EU und hat schon vor einigen Jahren das Adoptionsrecht liberalisiert. Ob Mann oder Frau, ob verheiratet oder ledig, ob jung oder alt – jeder kann in Spanien Kinder adoptieren. Dabei prüfen die spanischen Jugendämter ebenso gründlich wie langwierig das Leben von Adoptionswilligen. Zwei bis drei Jahre müssen adoptionsbereite Spanier Psyche und Portemonnaie offenlegen, bevor sie ein meist ausländisches Kind adoptieren dürfen. Ob der An­trag­steller homo-, hetero- oder asexuell lebte, hat die Behörden bei ihren Entscheidungen nicht interessiert, bestätigt der spanische Les­ben­ver­band. Spanien hat dank dieser liberalen Haltung die höchste Adop­tions­quote der EU-Mitgliedsstaaten und verjüngt seine überalternde Ge­sellschaft mit Kindern aus aller Welt. Lesben und Schwule konnten al­so bereits als Alleinstehende Kinder adoptieren – nun können sie ganz offiziell als verheiratete Paare ein Kind annehmen. Die kinderfreundlichen Spanier sehen darin überhaupt kein Problem. Da die Familie in Spa­­nien einen sehr hohen Stellenwert hat, wertet Zapatero die Familie mit der Homo-Ehe auf. Er folgt dem traditionellen Familienbild in Spa­nien, verbindet aber Tradition mit Moderne.

Ein Sturm der Entrüstung ist deswegen nicht durch das Land gefegt. Selbst die Erzbischöfe von Cádiz und Jerez haben sich schon von der grundsätzlichen Ablehnung der Homo-Ehe durch die katholische Kir­che distanziert. Spanier zeichnen sich nämlich weniger durch den ihnen zugeschriebenen Stolz aus, als durch einen bisweilen unberechenbaren Individualismus und durch Toleranz. Die mag bisweilen in Ignoranz um­schlagen Aber es interessiert sie schlicht nicht, wie der Nachbar hinter der Wohnungstür lebt. Auch ohne Homo-Ehe haben lesbische und schwule Paare nicht nur in den großen Städten unbehelligt zusammengelebt. Auch in Kleinstädten und Dörfern nimmt die heterosexuelle Mehrheit keinen Anstoß an lesbischen oder schwulen Paaren – solange nie­mand darüber spricht. Von außen betrachtet, könnte man dies als verlogen bezeichnen. Schweigen, um sich nicht mit einer anderen Lebensform auseinander zu setzen. Aber mit diesem ignoranten Aus­blen­den von Homosexualität, sind Lesben und Schwule in Spanien voll­ständig in die Gesellschaft integriert. Gerade auf dem Land hat die­se Haltung das harmonische Zusammenleben aller ermöglicht, und das selbst zu Zeiten, als Homosexualität in der Franko-Diktatur noch mit Gefängnis betraft wurde. Die Logik folgte einem einfachen Gedanken: Was offiziell in der Gemeinschaft niemand wußte, konnte auch niemandem angelastet werden.

In der modernen spanischen Gesellschaft kann über alles gesprochen werden. Das staatliche Fernsehen RTVE hat daher die Homo-Ehe schon mal in ihr Kinderprogramm integriert. In der Sendung „Los Lun­nis“ – vergleichbar der Sesamstraße – haben die Fernseh-Pädagogen im Mai das Thema Ehe und Familie behandelt. Um die Vielseitigkeit der Ehe zu verdeutlichen, zeigten sie den kleinen Spaniern drei Hochzeits­paare: Ein Sudanese heiratet eine Spanierin, ein katalanisches Paar gibt sich nach einem traditionellen katalanischen Brauch das Ja-Wort und zwei Männer versprechen sich in einer Zere­mo­nie ein Leben bis der Tod sie scheide. Trotz Protesten aus der reaktionären Volkspartei bleibt Programmdirektorin Carmen Caffarel bei dem Konzept der äußerst beliebten Sendung. In einer späteren Folge werden auch zwei Frauen heiraten. Mit allem, was dazu gehört. Und mit allen Rechten.

Ulrike Fokken

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