lespress 12/98  

Aids

 

Kampf der Hoffnung...

 

 

Mandy und Karin leben seit fünf Jahren zusammen in der kleinen niedersächsischen Stadt Rinteln. Daß sie als lesbisches Paar leben, ist wohl kaum jemandem verborgen geblieben. Daß die eine Hälfte zeitweise längere Zeit bettlägerig ist und auch sonst mit ihren Kräften haushalten muß, ist ebenso bekannt.

Die beiden haben gelernt, mit den Leuten umzugehen. "Es gibt eine große Unsicherheit bei einigen Menschen, und nicht immer ist es richtig, ihnen alles vor den Kopf zu knallen. Manchmal ist es einfacher, sie in Ruhe zu lassen", meint Karin, die dort aufgewachsen ist. "Außerdem hat jeder und jede seine bzw. ihre Intimsphäre, die man oder frau nicht unbedingt ständig nach außen stülpen muß."

Es gibt auch Grenzsituationen: Als Mandy rapide 10 Kilo verlor, gab es sehrviel Resonanz von den Mitmenschen. Manche waren zwar sehr betreten; andere jedoch nahmen wirklich Anteil und konnten mit Tips für Aufbaunahrung & Kräftigungsmitteln Hilfe bieten.

Als Mandy in die zweite Pflegestufe kommt, zögert Karin nicht lange, die Pflege zu übernehmen: "Warum sollte ich irgendwo Geld verdienen, von dem ich dann eine Pflegekraft bezahlen müßte?" Sie absolvierte einen Kurs über "Häusliche Krankenpflege" und meint, daß sie sich auch weiterhin ein Wissen aneigenen kann, was vielleicht später einmal gebraucht werden wird.


"Natürlich können wir finanziell nicht über die Stränge schlagen" ergänzt Mandy, "aber es geht uns im Grunde besser als manchen anderen, die in unzufriedenen Beziehungen leben. Wir haben eigentlich alles: Unseren Hund, unseren Kater und uns. Es ist doch so: Die meisten Leute rackern sich furchtbar ab, um Geld zu verdienen und haben sich vor lauter Stress zuhause nichts mehr zu sagen."
"Manche mögen uns darum beneiden", fügt Karin hinzu. "Weil wir unsere Zeit freier einteilen und morgens so lange schlafen können, wie wir wollen. Diese Argumente zeugen jedoch eher von Unwissenheit. Letztendlich gibt es keinen Feierabend im üblichen Sinne. Immer wieder treten kleinere & größere Infektionen auf, die den Alltag auf den Kopf stellen. Und oft schnelle und besonnene Entscheidungen erfordern."


Natürlich ist nicht alles eitel Sonnenschein. Mandys Viruslast ist so hoch, daß ihr Arzt vor kurzem warnte, sie sei dem "Ende der Autobahn" schon sehr nahe. Das Gesprächsthema Leben & Tod ist wichtig. Aber wichtiger bleibt, das Leben immer wieder neu zu gestalten. Und Krankheit ist nunmal nicht vermeidbar.

Und: Die beiden lassen sich nicht an die Wand drücken. Besonders Karin, die ihre Freundin ja nun tagtäglich erlebt und beobachtet, hat ihre eigene Ansicht: "Wir können uns doch nicht permanent nach medizinischen Werten richten. Ich sehe einfach, wenn es Mandy schlecht geht - und das hat nicht immer etwas mit Viruslast und T-Helferzellen zu tun. Außerdem kennt Mandy ihren Körper so gut, daß sie selbst einschätzen kann, ob Ruhe oder Bewegung angesagt ist."

Mandy hat die konventionelle Aids-Behandlung abgebrochen und inzwischen mit einer Schmerztherapie begonnen. "Medikamente wie Retrovir haben mich völlig dumpf und orientierungslos gemacht. Außerdem konnte ich mich kaum noch bewegen. Jetzt, da ich die harten Medikamente abgesetzt habe und stattdessen Morphium nehme, kann ich mich ein bißchen besser bewegen und so im kleineren Rahmen aktiv werden. Ein gewisser Anteil Schmerz ist immer mit dabei. Der Virus sitzt im Nervensystem und verursacht motorische Störungen. Daher möchte ich momentan keine Versuche mehr machen. Denn es war schwer genug, zu meiner jetzigen Lebensqualität zurück zu finden. Ich bin jetzt seit circa 10 Jahren infiziert. Seitdem ich meinen eigenen Umgang mit der Medizin entwickelt habe, fühle ich mich in der Lage meine eigenen Therorien zu entwickeln und sie so in die Praxis umzusetzen, daß ein lebenwertes Leben die Hauptsache ist und bleibt."

Größeres Problem für beide ist der Umgang mit anderen Ärzten, zum Beispiel dem Zahnarzt. Eine einfachen Zahnbehandlung findet - davon können auch andere HIV-PatientInnen ein Lied singen - in der Regel außerhalb des normalen Tagesbetriebes statt. Die Möglichkeit, wie ein klassischer Notfall einigermaßen sofort zu den üblichen Sprechstundenzeiten behandelt zu werden, haben HIV-PatientInnen in der Regel nicht. Sie müssen stattdessen bis zum Ende des Tages warten, um als letzte behandelt zu werden. Gerade ÄrztInnen ohne entsprechende Weiterbildung argumentieren oft mit der hohen Infektionsgefahr innerhalb ihrer Praxis. Dabei wird vergessen, daß jeder Mensch seinen Schmerz nur bis zu einer bestimmten Grenze aushalten kann.

Zudem ist gerade eine Behandlung unter Betäubung schwierig, weil PatientInnen wie Mandy nicht beliebig hohe Morphindosen vertragen. Das übliche Prozedere "Sagen Sie bescheid, wenn es noch weh tut, dann spritzen wir noch etwas nach" funktioniert so einfach nicht. Und so kann es durchaus schon mal zu dramatischen Szenen im Behandlungsraum kommen.


Allerdings haben PatientInnen wie Mandy gerade in einer Stadt wie Rinteln auch nicht die Wahl zwischen vielen und dann auch noch kompetenten ÄrztInnen. Außerdem ist noch nicht geklärt, inwieweit die Transportkosten zu den von der Aids-Hilfe empfohlenen ÄrtzInnen übernommen werden. Zum Glück ergab sich die Möglichkeit, mit einer neuen Zahnärztin in näherer Umgebung klar und deutlich zu sprechen, um dadurch eine bessere Weiterbehandlung zu ermöglichen.

In eine größere Stadt wollen beide allerdings nicht ziehen, denn Karin hat seit ihrer Kunst-Ausbildung das Großstadtleben satt und fühlt sich hier wohl. Und auch Mandy möchte nicht umziehen: "In Großstädten erinnert mich viel zu viel an die Drogenszene. Das Kapitel habe ich abgeschlossen. Da möchte ich einfach nicht mehr sein. Hier, in der Kleinstadt, kann man sich besser aufs eigene Leben konzentrieren."

"Es ist nunmal nicht immer alles harmonisch. Wir sind beide Kämpfernaturen und begegnen allen Herausforderungen so, wie alle anderen. Mal besser- mal schlechter."

Die beiden freuen sich über Kontakt zu anderen Frauen:
karinanas@addcom.de, Lapuss@addcom.de
Inzwischen gibt es auch eine eigene Website:
http://www.planet-interkom.de/karinmaria.niederland/frauen.htm

(Photos + Text: Ulrike Anhamm)

 
  eins zurück  
 

ganz zurück