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"Lesbe Gertraut Müller" ist am 1. Oktober im Alter von gerade mal
57 Jahren in Berlin im Beisein von fast 100 Frauen und Männern beerdigt worden.
Originale wie sie sterben langsam aus: Frauen, die ihre lesbische Sozialisation im
katholischen Heim erlebten, die von aufregenden Abenteuern mit Nonnen erzählen
konnten, deren Biographie ein Stück politischer Lesbengeschichte spiegelt und
die das Volkstümliche und den Feminismus authentisch in Einklang brachten. Gertraut
Müller war eine der stark polarisierenden Persönlichkeiten, eine von denen,
die geliebt und gehasst und letztendlich doch liebevoll geachtet waren, eine, die
immer präsent war. Anlass für eine Biografie als Fortsetzungsgeschichte...
Mitten in der Kriegszeit, im September 1942, wurde in Rathenow / Brandenburg ein
Mädchen geboren und erhielt den Namen - Carola Muth. Ihr Vater soll ein russischer
Zwangsarbeiter gewesen sein, und ihre junge Mutter gab sie aufgrund dieser gesellschaftlichen
Schande sofort nach der Geburt zur Adoption frei. Als Heimkind lernte Klein-Carola
früh Entbehrung und Diskriminierung kennen, sowohl physische als auch emotionale.
Mit zwei Jahren nahm ein kleinbürgerliches katholisches Ehepaar aus Köln
namens Bertram die Kleine zu sich und benannte sie in Gertraut um.
Aus ihrer Kindheit blieben der erwachsenen Frau die Feste in guter Erinnerung: Bei
Prozessionen stellte die Familie vor dem Fischerhäuschen des Urgroßvaters
einen eigenen Altar auf, und Klein-Gertraut streute als Engel frische Rosenblätter.
Der - letztendlich katholisch eingebettete - Karneval mit den Möglichkeiten
der Verkleidung und des Geschlechtertausches ließ sie ihr Leben lang nicht
los; auch kam sie nie am Kölner Bahnhof an, ohne im Dom bei der schwarzen Muttergottes
eine Kerze für eine ihrer Lieben oder den Frieden aufzustellen. Dagegen hasste
sie alle religiösen Zwänge und christlich verbrämten Verlogenheiten.
Ihre familiäre Vorgeschichte überschattete sie ihr Leben lang: Zwar waren
die Eltern keine Nazis, - sie durften das Mädchen fast nicht adoptieren, weil
sie keine ausreichenden Garanten für die NS-Ideologie waren -, aber dennoch
transportierten die Eltern die im Nationalsozialismus propagierten Werte in ihr kleines
häusliches Umfeld. Sie bewerteten - ganz im Sinne der Erbbiologie - den Charakter
des Kleinkindes als durch eine schlechte Mutter vorbelastet - und sie ließen
das Kind dieses vernichtende Urteil spüren. Gertraut verinnerlichte die ihr
zugeschriebene Minderwertigkeit zwar, wurde aber dennoch oder gerade deswegen eine
Kämpferin. Sie entwickelte ein tiefes Gespür für Werte wie Gerechtigkeit
und Verbindlichkeit.
Die schönsten Erinnerungen an ihre Kinderzeit aber waren die engen Freundschaften
mit anderen Mädchen, die Geborgenheit der Umarmungen und des Verständnisses.
Nach der mittleren Reife absolvierte Gertraut Bertram 1960 für einige Monate
einen Freiwilligen Sozialen Werkdienst - ihr "Jahr für die Kirche".
Bei einer katholischen Frauenbildungseinrichtung (Hedwig-Dransfeld-Haus in Bendorf
am Rhein) sollten die Mädchen "frauliche Kräfte" entwickeln und
sich auf Ehe und Familie vorbereiten sowie soziale Verantwortung ausbilden. Sie tat
vormittags Dienst in einem Polizeikindergarten in Neuwied, hörte nachmittags
Referaten über Soziallehre, Hauswirtschaft, Gesundheitslehre und auch mal über
die katholische Frauenbewegung zu und ging mindestens zwei Mal am Tag zur Messe.
Abends wurde zusammen gesungen und gebetet. Das Mädchen begeisterte sich fortan
für soziale Fragen.
Nach eigenen Angaben musste sie die Einrichtung verlassen - "weil irgendwas
dort anbrannte" - sie wurde mit einer Mitschwester im Bett vorgefunden. Das
katholische Mädchenwohnheim als Hort heimlicher Sehnsüchte nach anderen
Mädchen, als Schauplatz erster zarter lesbischer Liebe, Schwärmereien für
Nonnen und Leiterinnen mit Persönlichkeit, auch Begeisterung über den Besuch
schöner indischer Frauen - eine Aura von Fünfzigerjahregrau und rosaroten
Träumen waberte durch Gertrauts Tagebuch und Erzählungen aus dieser Zeit.
Sie hatte sich auf dem Mädchengymnasium schwer getan und beschloss daher, Kinderkrankenschwester
zu werden, um danach eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin absolvieren zu können.
Wieder einmal kam ihr ihre Neigung für Frauen in die Quere, denn wieder einmal
war sie er-wischt worden, wie sie mit einer Schulkameradin in enger Umarmung auf
dem Bett lag! Acht Tage vor der Prüfung wurde sie "von einem alertem Chefarzt",
dem Leiter des städtischen Kinderheims in Köln-Sülz, herzitiert und
ihr mitgeteilt, sie habe sofort das Haus zu verlassen. Natürlich: Sie allein
sollte von der Schule verwiesen werden; ihr allein wurde das Delikt angelastet. Die
"Mitschwester" stammte ja aus einflussreichem Haus, deren Eltern stifteten
schnell einen höheren Geldbetrag - laut Gertraut für ein Kirchenfenster
-, und verlangten, ihr armes Kind von der Gegenwart dieser bösen Verführerin
aus schlechtem Elternhaus zu entfernen. Es gab keine Gruppen, die sie hätten
beraten können, der einzige Vertraute war ihr Beichtvater. Gertraut dachte selbst,
sie habe etwas ganz Schlimmes und Abartiges gemacht, und wusste nicht, ob es die
Polizei vielleicht was angehe. Sie hatte eindeutig Schiss, als sie an die Tür
klopfte. Aber der Gedanke, dass sie immerhin drei Jahre lang sehr viel Leid erduldet
hatte, um die Ausbildung zu beenden - u.a. war sie mit Schleier herumgelaufen und
völlig vom Leben abgeschottet gewesen - gab ihr Mut: Sie setzte sich ruhig hin
und wandte sich ans Direktorium und behauptete zurückgelehnt: "Das dürfen
Sie gar nicht, und das wissen Sie auch!" Der Chefarzt wurde knallrot; er dachte
aufgrund dieses selbstbewussten Verhaltens, die Schülerin sei zum Anwalt gegangen
und es drohe Aufsehen. Also konnte sie bleiben; - ein erstes Beispiel für ihre
Widerständigkeit.
Das Ereignis löste dennoch einen solchen Schock in ihr aus, dass sie dachte:
"Nie mehr..., du musst aufhören, für Mädchen zu schwärmen
und mit Mädchen ins Bett zu gehen, nie mehr darfst du das tun...". Ihr
Beichtvater riet ihr wegen ihrer Neigungen sogar davon ab, Nonne zu werden, eine
Lebensform unter Frauen, die sie sich gut vorstellen konnte. Zugleich sah sie sich
Hetero-Tanzveranstaltungen an und dachte: "Wie traurig ist das hier, nie, niemals
will ich so leben."
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