Drei Tiger gegen Bush: Le Tigre  
  Le Tigre sind drei New Yorker Künstlerinnen: Kathleen Hanna, früher Punksängerin in der Riot Grrrl-Band Bikini Kill, die Videokünstlerin und Malerin Johanna Fateman sowie JD Samson, mit Mitte zwanzig die jüngste, ebenfalls Videofilmerin. Alle drei sind engagierte Feministinnen.
Ihre Musik bezeichnen sie als "Feminist Electronic Punk". Die Stücke entstehen zuhause am Computer mit Pro Tools, die Daten werden ausgetauscht, jede kann für sich daran weiterarbeiten. Es sind rockig-elektronische Songs für den Dancefloor, die sie aus Samples, Gitarrenloops, Keyboardmelodien, Drum-Machine und Gesang basteln. Ihre radikalen Texte sind ihnen wichtig. So basiert "New Kicks" auf gesampelten Slogans einer New Yorker Antikriegsdemo. Auf der Bühne sind Le Tigre ein Feuerwerk an guter Laune, mit einer lebendigen Tanzchoreographie in glamourösen Outfits, Live-Gesang, Keyboard und Gitarren, im Hintergrund eine Videoshow.


Vor drei Jahren, im November 2001, zierten Le Tigre zum ersten Mal das Titelbild der lespress. Im damaligen Interview antwortete Kathleen Hanna auf die Frage nach der Möglichkeit, mit einer großen Plattenfirma ein breiteres Publikum zu erreichen, beinahe empört:

"Was hieße es denn, ein "bißchen mehr Mainstream" zu werden? Für unsere Kunst Kompromisse einzugehen, unsere Community von Freunden und Fans zu befremden, unsere Tage der Promotion-Arbeit zu widmen - innerhalb einer Medienmaschinerie, die Frauen und queers hasst? Wäre es das etwa wert?!
Viele Leute meinen, es sei ein strategisches politisches Versäumnis, daß wir nicht bei einem der großen Plattenlabel unter Vertrag sind, weil wir nicht die größtmögliche ZuhörerInnenschaft mit unserer "Message" erreichen würden. Aber diese Kritik kommt von einem Modell von "politischer Effektivität", das wir nicht teilen. Wir sind nicht unbedingt daran interessiert, unsere abweichende Meinung in den Mainstream einzufügen - obwohl wir das manchmal tun - , sondern wollen uns mit einer feministischen Underground-Szene auseinandersetzen. Dabei wollen wir ein alternatives ökonomisches System unterstützen, damit die radikale Kunst Ressourcen zur Verfügung hat, und damit wir so unabhängig wie möglich von Unternehmensinteressen leben können."

Heute sehen sie das anscheinend ganz anders: seit kurzem sind Le Tigre bei dem Konzern Universal unter Vertrag. Am 1.11. erscheint dort ihr Album "This Island". Eine Promoterin vermutet lächelnd: "Vielleicht brauchen sie einfach Geld." Doch die drei von Le Tigre hätten Gespräche mit Labels weltweit geführt und lange um diese Entscheidung gerungen, erzählten sie Irene Hummel im Interview.


Was sprach für den Wechsel zu einem Majorlabel?
Johanna Fateman: Wir wollten eine größere Plattform haben, um mehr Leute zu erreichen. Nicht nur um unsere Message zu verbreiten, sondern auch um als Künstlerinnen zu wachsen. Ich denke, dass feministische Künstlerinnen immer noch von vielen Möglichkeiten abgeschnitten sind, um die Kunst zu machen, von der sie träumen. Wir sehen es als eine Äußerung von Selbstvertrauen: wir sind es wert! Wir sollten ein tolles Video haben, wir sollten diese Platte exakt so produzieren dürfen, wie wir wollen - und es ist okay, das Geld dafür zu nehmen. Wir glauben nicht an weibliche Selbstunterdrückung als einzig politisch korrekte Position.

Entspricht die Arbeit mit Universal euren Vorstellungen?
JD Samson: Wir entschieden uns für Universal, weil es schien, als würden sie uns genau das tun lassen, was wir wollen. Außer dass wir jetzt viel mehr Interviews geben, hat sich für uns nicht viel geändert bei Universal. Sie reden uns nicht rein, nicht in die Texte, nicht ins Cover, nicht in unser Aussehen - nichts. Das hat mich echt überrascht, und das macht mich sehr glücklich: wir bleiben wir und sind dennoch auf einem großen Label. Ich glaube, die Leute sind bereit. Vielleicht hat ja der Hass gegen Frauen und Queers tatsächlich abgenommen. Immer mehr Leute wollten uns sehen, und mit einem Majorlabel im Rücken erreichen wir viel mehr Leute. Wir müssen sichtbar sein!

JD, von Sichtbarkeit handelt ja auch dein Song "Viz"?
JD: Ja, es ist eine Geschichte über eine Lesbe auf einer Heteroparty. Zuerst fühle ich mich sehr einsam und bin nervös, bis ich noch eine Lesbe entdecke. Dann beginne ich meine Rolle dort positiv zu sehen, als eine Art Sichtbarkeits-Service für andere Lesben und Queers.

Hierzulande sind in den letzten Jahren Lesben und Schwule viel sichtbarer geworden, in Fernsehserien usw. - ist das in Amerika ähnlich?
JD: Ja, aber sie werden immer so klischeehaft dargestellt! Die Lesben sind alle sehr femme, also Lipstick-Lesben. Man hält darum Lesben allgemein für femme, für hot und sexy. Ich hoffe, dass ich an diesem Bild mit meinem Beispiel etwas verändern kann.

Hattest du früher Vorbilder, an denen du dich orientieren konntest?
JD: In der Highschool war ich regelrecht besessen von Lynn Breedlove von Tribe 8. Sie war die Größte für mich. Als ich sie später kennen lernte, dachte ich: oh mein Gott, das ist der verrückteste Moment in meinem Leben. Es ist wirklich überwältigend, wenn man sein lebenslanges Vorbild persönlich trifft.

Ihr seid erklärte Feministinnen. Das ist unverändert wichtig, nicht wahr?
Johanna: Absolut. Manche Leute denken, die Zeiten des Feminismus sind vorbei, weil die Frauen jetzt wählen dürfen oder so. (Sie lacht) Aber unsere extrem rechtskonservative Regierung möchte in Bezug auf die Selbstbestimmungsrechte der Frauen die Zeit am liebsten noch zurückdrehen. Und Frauenfeindlichkeit, Sexismus, gender-bedingte Unterdrückung - all das ist noch lange nicht aus unserer Gesellschaft verschwunden. Es geht uns nicht nur um die im Gesetz verankerten Rechte bzw. deren Durchsetzung, sondern auch darum, als Frauen in der Kunst beharrlich präsent zu sein und damit wieder andere Frauen zu ermutigen, ihre Stimme zu finden.

Ihr habt euch in der "Bands Against Bush-Tour" engagiert, und viele Leute als WählerInnen gewonnen. Was wünschst du dir für Amerika?
Johanna: Ich hoffe sehr, dass George W. Bush aus dem Amt herausgewählt wird und dass unter einer neuen Präsidentschaft einiges wieder aufgebaut werden kann, was in den vergangenen vier Jahren zerstört oder abgeschafft wurde - sowohl inneramerikanisch als auch global gesehen.

JD erzählte, dass viele bei einer befürchteten Wiederwahl von Bush die USA verlassen wollten. Du auch?
Johanna: Ich denke tatsächlich darüber nach. In Europa bin ich immer sehr beeindruckt von ganz einfachen Dingen, die für Europäer wahrscheinlich selbstverständlich sind, wie die viel höhere Qualität der Medieninformationen. Du kannst den Fernseher einschalten und zwischen ganz verschiedenen Sichtweisen wählen. In den USA muss man nach Alternativen und nach wahrhaftiger Berichterstattung richtig suchen! In so einem Land möchte ich eigentlich nicht leben, aber auf der anderen Seite fühle ich mich meiner Stadt und vor allem meiner Community in New York sehr verbunden. Deshalb möchte ich nicht die USA, sondern die feministische Community als meine Heimat, mein Land ansehen.

Beschäftigt sich dein Song "Don´t Drink Poison" mit dieser Community?
Johanna: Es könnte ein Song über unsere Band und unsere Kommunikationsstrukturen sein. Im weiteren Sinn geht es um Codes und Signale, die Leute "unter Überwachung" entwickeln, wenn sie nicht frei sprechen können. Ein bisschen Spaß ist auch mit drin: wir als Spione in einem Abenteuer, einem Kampf. Die ernste Warnung dahinter bezieht sich auf die tradierte Frauenrolle: obwohl immer wieder dieselben sexistischen Sachen passieren, wird uns beigebracht, niemandem zu misstrauen - und so gehen wir immer wieder in dieselben Fallen. Frauen, erinnert euch und macht die gleichen Fehler nicht immer wieder!

Zum Abschluss noch, da das auch ein Thema im Wahlkampf ist: JD, was hältst du von der "Homo-Ehe"?
JD: Das ist eine sehr komplizierte Frage. Ich bin da sehr ambivalent. Alle sollten das Recht haben zu heiraten, wenn sie wollen. Auf der anderen Seite halte ich die Ehe an sich für ein unterdrückerisches Instrument. Aber man könnte ja auch denken, dass das genau deshalb so ist, weil manche davon ausgeschlossen sind. Auf jeden Fall wäre die Einführung der Homo-Ehe eine ganz erstaunliche Veränderung für Amerika und die Welt.


Irene Hummel
 
  Discographie Le Tigre:
This Island, 2004, CD (Universal)
This Island, 2004, Vinyl (Chicks On Speed Records)
Feminist Sweepstakes, 2001, CD / Vinyl (Le Tigre Records / Chicks On Speed Records)
Le Tigre Remixes, 2002, CD / Vinyl (Le Tigre Records / Chicks On Speed Records)

www.letigreworld.com





Le Tigre - Audiofiles (je 90 sec Streams) aus "This Island":

1.
on the verge
2.
seconds
6.
tko
9
viz
11
i'm so excited 
12
yaz slow

Le Tigre-Video:
"new Kicks" (60)
"new Kicks" (300)

Le Tigre im TV:
Do. 09.12.2004, arte, 23.35 Uhr: "Tracks" (->
TV-Tipps)
 
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