Katharina Franck - Immer in Bewegung

 
   
  "Immer in Bewegung! Immer weiter voran!" Die Textzeile aus "Brief nach Merzouga - oder die Reise ans Ende meiner Welt" gibt das Motto für Katharina Francks neue CD vor. Denn Stillstand, Wiederholungen, Langeweile gibt es hier nicht. "Zeitlupenkino" schafft eine ganz eigene Komposition aus Ton und Text, aus Worten und Sounds - Musik im herkömmlichen Sinne ist das nicht. Katharina Franck liest ihre Texte mal atemlos, mal zärtlich leise, immer intensiv und expressiv, während die Sounds und Töne dafür den Hintergrund bilden und die Atmosphäre unterstreichen. "Gesprochene Popsongs" nennt Katharina Franck das.
Sie erzählt fragmentarische Geschichten - aus dem Alltag, aus dem Großstadtdschungels Manhattans, von einer Postkarte aus Cardiz. Man muss zuhören, genau hinhören, dann ist das Album wirklich wie Kino, weil es Bilder entstehen lässt. Lespress wollte wissen, wie Katharina Franck selbst zu ihrem neuen Werk sagt.

-Was meinst Du mit "gesprochene Popsongs"?
Katharina Franck: Mit dem Begriff will ich für das Publikum eine Verbindung zu meiner popmusikalischen Herkunft herstellen. Die Texte sind außerdem sehr songhaft vertont. Der Ausgangspunkt ist aber wiederum ein filmmusikalischer. Da sind dann Inhalt oder Kernaussage, oder auch die eigentliche Notwendigkeit, diesen oder jenen Text zu schreiben, eine eben so große Inspirationsquelle, wie der Sprachfluss des gesprochenen Textes, mit seiner eigenen Rhythmik und Melodik.
Ich habe ja nicht ganz alleine gearbeitet, und die Lieder sind unterschiedlich zustande gekommen. Yoyo Roehm hat sich von einigen Texte inhaltlich oder auch nur vom Sprachrhythmus inspirieren lassen ("Den Fluss hinunter", "NYC Marathon"). Thomas Stern wiederum hat musikalische Grundlagen geliefert, zu denen ich mir dann aus meiner Textesammlung die passende Geschichte ausgesucht habe ("15 Minuten"). Von da an ging es dann alleine oder gemeinsam weiter.

-Wie hast Du die Texte vertont?
Ein Beispiel ist der "Brief nach Merzouga", anhand dessen ich gut beschreiben kann, wie viele der Vertonungen entstanden sind: Ich will die Musik auf dem Klavier komponieren, aber ich bin keine Pianistin. So spiele ich kleine Melodien, benutze das Klavier als Klangquelle jedweder Art, wie ich es bei Ulrike Haage gesehen und gehört habe, mit Bogenhaar, mit Klöppeln. Den Rhythmustrack dafür mache ich, indem ich versuche den Klang eines Deckenventilators zu imitieren, in den irgendjemand einen Spielkarte geklemmt hat, die ein flappendes Geräusch macht, während der Ventilator leise surrt (Ganz pur ist das bei "r.s.v.p" zu hören). Es gibt eine Szene in einem Film mit Jack Nicholson und Maria Schneider: "Beruf Reporter", oder so. Dieses Zimmer, mit den heruntergelassenen Jalousien, durch deren Ritzen Lichtstreifen scheinen, und die den Anschein erwecken, dass draußen unmenschlich heiße Temperaturen herrschen, das will ich sehen beim Hören. Mit einem muffig eingestellten Mikrophon, das ich auf meinem Schenkel ablege, auf den ich dann mit der hohlen Hand klatsche. Ich nehme alles analog auf, daher das schöne Rauschen. Bass, Wurlitzer, E-Gitarre kommen hinzu.
Auf der Suche nach etwas, was die Reise, die dort getan wird, noch auf einer anderen, phantastischen Ebene beschreiben könnte, wühle ich in meinen Schallplatten und finde eine Hörspielaufnahme von Alice in Wonderland. Der Zufall will es, das sich die kurze Passage, während der Alice den Hasenbau hinabfällt, auch harmonisch zu meiner Musik passt. Also "scratsche" ich es an die für mich richtigen Stellen. Eine Vorstellung davon, wie das Schlagzeug gespielt werden soll, entsteht. Und während das dann einige Zeit später auch tatsächlich aufgenommen wird, höre ich die Trompeten, die das Gitarrenthema aufgreifen. Damit ist es dann aber noch nicht getan, und ein wichtiger Teil der Arbeit setzt sich fort, nachdem alle Tracks in den Computer überspielt wurden, an den Sounds gefeilt und die Tracks editiert werden.

-Ich bin über den Albumtitel "Zeitlupe" gestolpert, weil in vielen Songs eher der Eindruck eines "Zeitraffers" entsteht.
Ja, das stimmt. Die Zeitsprünge sind kolossal. Das ist etwas, das beim Schreiben passiert, wenn sich bestimmte Situationen in Erinnerungen bemerkbar machen. Wenn man plötzlich Bilder, Sätze, Gefühle aus ganz anderen Zeiten wieder erlebt, weil man auf der Suche nach der richtigen Assoziation ist, nach der stimmigsten Beschreibung. Ich bilde mir aber ein (manchmal bezweifle ich es auch wieder), ein sehr langsamer Mensch zu sein, der sich sehr langsam, dafür aber tiefgehend entwickelt, seine Persönlichkeit bildet. Zumindest fuchtele ich damit nicht permanent anderen Leuten vor der Nase herum, sondern erst dann, wenn ich einen wichtigen, wesentlichen Sprung gemacht zu haben glaube.

-Kannst Du etwas zu den Texten sagen - zum Beispiel zu "Jetzt hat sieís"?
"Jetzt hat sieís" ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich erfundene Elemente mit tatsächlichen Begebenheiten meines Lebens beim Schreiben miteinander vermischen. Und wenn ich bei dem Stück "Winter" (CD "Hunger") sage, dass ich meine gesamte Korrespondenz im Laufen erledige, so erzähle ich hier eine Geschichte, die mir eingefallen ist, während ich aus dem S-Bahnfenster schaute.
Hier ist auch wieder der Zeitraffer eingeschaltet: Während mir die Geschichte auf einer zwanzigminütigen Fahrt einfällt, bin ich mehrere Jahre meiner Erinnerungen durchgegangen.
Ich möchte schon Geschichten erzählen, die ich gelebt oder miterlebt habe. Und ich suche mir dafür Worte und Bilder, die auch eine Alternative zu denen darstellen, die uns alltäglich um die Augen und Ohren geknallt werden, ob wir wollen oder nicht. Ich versuche dann auch eine erzählerische Ebene zu finden, mit der sich viele, manchmal zu viele Gefühle, leichter ertragen lassen.

-Gibt es einen roten Faden auf dem Album?
Der rote Faden, der sich durch diese CD zieht, der hat schon lange vor meinen ersten Veröffentlichungen begonnen. Meine künstlerische und meine persönliche Biografie sind sehr eng miteinander verknüpft. Ich sehe all dies durch eine Lupe sich ganz langsam entwickeln, während die Zeit rast ("Time comes round to pass" vom Album Rainbirds "Forever"). Ich finde, Tagebuch schreiben ist ein schier unmögliches Unterfangen. So sind meine Notizen und Einträge eher Skizzen, die gleich oder erst viele Jahre später mal in einem Text auftauchen können. Und ich merke mir die skurrilsten Dinge, die mir auch mal in traurigen oder sogar verzweifelten Lebenslagen die Lachtränen in die Augen treiben.

- "Zeitlupenkino" ist nicht Deine erste Platte mit gesprochenem Wort. Was reizt Dich daran?
Es gibt einiges was man sagen möchte, aber nicht wirklich singen kann, aus klangästhetischen oder rhythmischen Gründen, obwohl ich mich bei "Sie schickt mir eine Karte aus Cadiz" schon weit vorgewagt habe. Ich werde mich auch noch weiter hinauslehnen, Wortschöpfungen in die Popmusik einführen, die so bisher noch keiner gesungen hat. Wobei es mir dabei nicht um den Effekt geht. Es ist immer die beste und stimmigste Beschreibung dessen, was ich gesehen habe. Für mich ist es außerdem noch ein richtiges Abenteuer, Songtexte auf deutsch zu singen.

- Verrätst Du uns, wie Du "Zeitlupenkino" live präsentierst?
Während der Showcases im Juli präsentieren wir das Album in einer kleinen Live-Besetzung, die aus Yoyo Roehm an E-Bass, Kontrabass und Gitarre, Tim Lorenz an den Drums, und mir mit Stimme und Gitarre, besteht. Thomas Stern macht den Ton. Wir spielen zu den ausgedünnten Playbacks des Albums, um nicht auf die Vielfalt der Klänge und die teilweise sehr komplexen Arrangements verzichten zu müssen. Das Mandolinen-Orchester beim "Fluss..." zum Beispiel besteht aus 16 übereinandergelagerten Konzert-Gitarren. Einige Titel spielen wir aber auch im Trio. Hinzu kommen mindestens zwei Stücke von "Hunger", die ich zu den alten Playbacks mit der Musik von Ulrike Haage spreche.

- Kannst Du die oft sehr langen und komplexen Texte auswendig?
Ich habe die Texte sehr gut im Gedächtnis, aber da ich auf sogenannte "Stichsounds" achten muss, die mir sagen, ob ich mit meinem Vortrag richtig liege, oder das Tempo anziehen oder drosseln muss, kann ich mich nicht komplett vom Textblatt lösen. Doch die Darbietung ist alles andere als steif. Bei der Live-Premiere von "Zeitlupenkino" vor wenigen Tagen habe ich eine bisher so noch nie gekannte Selbstverständlichkeit empfunden, auf der Bühne meine Geschichten und Lieder so zu erzählen, trotz des anspruchsvollen Pensums, das ich da absolviere, das äußerste Konzentration erfordert. Es mag an der Unmittelbarkeit meiner Sprache liegen. Es mag auch daran liegen, dass ich langsam beginne, mich selber zu verstehen.

- Wie sind die Reaktionen auf Dich als Lesbe im Musikbusiness?
Ich habe erst kürzlich erfahren, dass, zum Beispiel auf Tour, meine männlichen Kollegen gelegentlich gefragt werden, wie es denn käme, dass sie mit so einer (.... das eigentliche Wort ist nicht überliefert, vermutlich aus Taktgefühl) unterwegs seien. Meine Lieder sind doch Liebeslieder, und von Männern wie Frauen gleichermaßen zu genießen, wenn sie wollen. Wir haben hier in Berlin einen schwulen Bürgermeister, bei den Teenies heutzutage geht es drunter und drüber, und Liebe will riskiert werden.

- "Zeitlupenkino" erinnert mich in nichts mehr an die Rainbirds - oder doch? Wie betrachtest Du heute die Rainbirds-Zeit?
Jetzt muss ich zurückfragen: Welche Zeit ist für Dich die Rainbirds-Zeit? Meine Rainbirds-Zeit beginnt spätestens 1985, als ich mich zurückzog um Songs für meine eigene Band zu schreiben, die es damals noch nicht gab. Aber ich habe schon 1979 einen Song in einem Studio eingespielt, der inhaltlich eine frühe, kindlichere Version von "Blueprint", "Kino" (CD Hunger) oder auch von "Hudson Bay" oder "NYC Marathon" sein könnte. Er heißt "With or Without Me". Es geht immer um Entscheidungen und Konsequenzen, und es ist immer die Suche nach der passenden Frage zu der Antwort, die man sich selber im Laufe der Jahre gegeben hat. Und meine Rainbirds-Zeit hört Ende 1999 auf, als definitiv feststand, dass wir keine Pause, sondern gar nicht mehr weiter machen.
In dieser Zeit habe ich eine extreme persönliche Entwicklung durchgemacht, gepaart mit tiefgreifender Erschöpfung und gleichzeitigem unbändigen Drang, einfach weiter zu machen. Das geht aber nicht. Ich stecke mit Haut und Haaren in jeder meiner Arbeiten drin, und verausgabe mich oft bis an den Rande eines Nervenzusammenbruchs. Man muss mich schon sehr gut kennen, um das zu bemerken, denn ich mache kein großes Gewese darum. Dass ich hin und wieder einfach mal verschwinde, gestatte ich mir auch erst seit kürzerer Zeit.

- Wünscht Du Dir manchmal den Erfolg von damals zurück?
Ich wünsche mir immer für alle meine Alben den größtmöglichen Erfolg, bleibe dabei aber Realist. Doch ich habe ja insgesamt weit über eine Millionen Schallplatten alleine in Deutschland verkauft. Trotzdem "Two Faces" schon vor seiner Veröffentlichung von einer ganzen Bande beleidigter Leberwürste geschlachtet worden ist, und das wunderbare Album "Forever" als zu intellektuell abqualifiziert wurde. Aber natürlich kann ich nicht immer so weiter machen, und ein richtig schönes Erfolgserlebnis, dass sich auch in finanzieller Hinsicht bemerkbar macht, wäre mal wieder nicht schlecht.

- Deine Pläne für die Zukunft?
Ich möchte demnächst einmal wieder ein paar Solo-Performances machen. Ich werde meine "Coverversion-Hitparade" von Songs im Dreivierteltakt weiter ausarbeiten, und dabei mein neues Songrepertoire vergrößern. Ich habe noch keine Ahnung, was zuerst kommen soll, und vor allem wann und wie, mit wem und wo. Einiges von dem was wir jetzt schon spielen, werde ich auch in dieser Besetzung fertig stellen.
Aber ich bin sehr offen, und neugierig auf neue musikalische Konstellationen. Auch mit Rosanna & Zélia möchte ich weiter arbeiten.
Ich hoffe doch sehr bald mal wieder mit Ulrike Haage zusammen zu kommen. Sie arbeitet sehr viel mit und für andere, schiebt ihr eigenes Solo-Album immer wieder vor sich her. Ich werde wohl zunächst erst einmal nur dafür da sein, sie immer wieder daran zu erinnern, dass nicht nur ich es endlich hören will.

Interview: Claudia Frickel
Photos:
Mute Records

Discografie: Rainbirds; Call Me Easy, Say I`m Strong, Love Me My Way, It Ain`t Wrong; Two Faces; In A Different Light; Making Memory; Forever; Hunger; rainbirdslive3000; Bei unserer Lebensweise ist es sehr angenehm, lange im voraus zu einer Party eingeladen zu werden (Hörspiel); Zeitlupenkino; Mitwirkung an: Stein: Steinzeit; König Zucker; Seven Dances Of The Holy Ghost (Hörspiel von Ammer/Haage); Rosanne & ZeliCoisário


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