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Ein Musical ist ein Musical ist - eine Rockoper. Während der Großproduzent des Deutschen Musicalerlebnisses, das Unternehmen Stella, noch in diesem Jahr zwei Musicals in NRW einstellt ("Les Miserables" Duisburg, "Joseph" Essen), versuchen die Betreiber des Düsseldorfer Capitols eine neue Ära des Musicals in Deutschland zu etablieren.
RENT feierte Ende Februar seine Deutschlandpremiere. Das Musical von Jonathan Larson war 1996 die erfolgreichste Premiere, die New York in den letzten 20 Jahren erlebt hat. RENT wurde mit dem Pulitzer Preis und dem Tony Award geehrt. Es ist die moderne Adaption von Puccinis "La Bohème". Die Künstler- Romanze des 19. Jahrhunderts wurde von Paris ins East Village verlegt. Rudolfo, Puccinis Poet, wird zu Roger, einem Rock-Gitarristen. Mimi, das Tuberkulose-Opfer der Oper, wird transformiert in eine süchtige Tänzerin. Beide kämpfen gegen den Zeitzünder ihrer AIDS-Infektion. Die La-Bohème-Musetta
erinnert an Maureen, eine Performance-Künstlerin, die Mark verläßt, um mit der Yuppie-Anwältin Joanne zusammen zu leben. Aus Puccinis philosophischer Colline wird der College Professor Tom Collins, der sich in Angel, einen Straßenkünstler und Transvestiten verliebt. Es geht um Liebe, Tod, Homosexualität, Geldsorgen und vor allem um das Leben.
Heiligabend in New York. Früher wohnte Benny mit Mark und Roger zusammen. Mit Hilfe seines reichen Schwiegervaters hat Benny das Gebäude gekauft, in dem Mark und Roger noch leben. Das Gelände wird auch von Obdachlosen gewohnt. Aber
Benny will ein High-Tech-Cyber-Kunststudio erbauen und die Obdachlosen und auch seine ehemaligen Mitbewohner notfalls mit Gewalt vertreiben. Marks ehemalige Freundin Maureen will gegen das Vorhaben protestieren und plant für den Heiligabend eine Protest-Performance. Benny versucht einen Deal mit Roger und Mark, sie können bleiben, wenn sie Maureen von ihrem Vorhaben abbringen. Doch Maureen tritt auf und es kommt zu Krawallen mit der Polizei, Benny läßt das Gebäude absperren, die Freunde stehen auf der Straße. Roger interessiert sich nur am Rande für die Proteste, er will, bevor er stirbt, noch seinen Song
schreiben. Während des ganzen Chaos lernt er die Drogenabhängige Mimi kennen und verliebt sich in sie.
Im zweiten Akt geht alles, was gewonnen wurde in die Brüche. Weggewirbelt werden Bekanntschaften, Freundschaften und Liebschaften. Angels Infektion bricht aus und er stirbt. Mit seinem Tod bricht auch der Zusammenhalt der Freunde. Roger zieht nach Santa Fe, Mimis Sucht treibt sie auf die Straße, die Beziehung zwischen Maureen und Joanne geht immer weiter auseinander und Mark läßt sich von der Industrie kaufen, ist zwar erfolgreich aber einsam. Am Schluß fügt sich aber doch zusammen, was zusammen gehört.
RENT entspricht in keinster Weise den Vorstellungen eines Musicals, den die deutschen Besucher haben. Es gibt keine Heile Welt, die Musik ist keine Weichspülkomposition a la Webber. Vielmehr wird gerockt, gegroovt und gejazzt. Hauptinstrumente sind Gitarre und Schlagzeug und einen Ohrwurm, wie man ihn vielleicht aus Cats oder Evita kennt, sucht man vergebens. RENT spricht ein jüngeres Publikum an. Die Betreiber des Capitols hoffen, damit auch eine neue Zielgruppe zu erreichen. Die Geschichte ist anspruchsvoll, vor allem in der ersten Stunde kann man leicht den Überblick verlieren und wegen der lauten Musik und den vielen verschiedenen Handlungssträngen kann es sein, daß man überfordert wird. Das ganze erinnert vielmehr an ein Theaterstück oder eine Rockoper. Und die amerikanischen Schauspieler - so gut sie zum Teil auch sind - tragen nicht immer zum Verständnis bei. Zu undeutlich werden die Texte gesungen und gesprochen.
Inszeniert wurde die Deutsche Produktion von der amerikanischen Regisseurin Martha Banta, die weltweit die Produktionen leitet. Die deutsche Übersetzung stammt von Heinz Rudolf Kunze. Obwohl seine Texte in der deutschsprachigen Popmusik zu den besseren zählen, hat er sich, vor allem im ersten Teil, einige Klopse erlaubt. Da reimt sich Arm auf Charme, Mark auf Quark oder okay auf Money. Zwischendurch wirkt der Text doch sehr gezwungen - Reim dich oder ich schlag ich tot.
Trotz allem - ein Besuch des Musicals lohnt sich. Die Produktion bietet einige Überraschungen, die Ensemble-Szene sind phantastisch choreographiert und einige der jungen DarstellerInnen sind wahre Entdeckungen (Irina Alex als Maureen, Pheton D. Quirante als Angel, Peti van der Velde als Mimi). Die Musik macht Spaß. Und am Verständnis wird gearbeitet, so sollen zum Beispiel die Texte der wichtigsten Songs vorab an das Publikum verteilt werden. Der erste Akt ist zwar anstrengend aber im zweiten Akt wird man für vieles entschädigt. Ob die Capitol Events GmbH mit RENT eine ähnlich hohe Auslastung schaffen wie mit der vorherigen Produktion Grease - die Auslastung lag bei 83 Prozent - ist eher fraglich. Dazu ist RENT zu wenig Musical und löst zu viel Verstörung aus. Das Capitol hat aber einen Vorteil: es wurde kein Hochglanz-Musical-Dome gebaut, so daß die Kosten vergleichsweise gering sind. Es wird versucht, bei einer Auslastung von 50 Prozent kostendeckend zu sein. Trotz der Schließung der Stella-Musicals in Essen und Duisburg spricht der Geschäftsführer der Capitol Events GmbH Thomas Krauth nicht von einer Krise. "Die Branche ist in einem Umbruch. In diesem Geschäft wird nur überleben können, wer solide wirtschaftet und überlegt plant." Krauth will mit RENT einen neuen Weg in der deutschen Musical-Szene beschreiten. "RENT gilt als wegweisend für das Genre, als Revolution des Musicals, das auch in Deutschland viel Aufmerksam erregen wird."
Ob RENT die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient, wird sich zeigen. An einigen Stellen der Produktion muß noch gefeilt werden, aber RENT ist ein spannendes Musical, das einige Herausforderungen an das Publikum stellt und einen Besuch wert ist.

Andrea Malcher
Aufführungen im Capitol, Erkarther Straße 10, Düsseldorf: dienstags bis
sonntags 19.30 Uhr, samstags und sonntags auch um 15 Uhr. Tickets unter
0211/73440

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