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Poetischer Führer durch die Automobilbranche
Meine Freundin knurrt mich seit geraumer Zeit an, doch mal eine Geschichte zu schreiben, die nichts mit Sex zu tun hätte. "Zotig" nannte sie meine letzten Veröffentlichungen. Ob denn alle denken sollten, daß ich ein triebgesteuertes Wrack sei? Das saß. Auch wenn ich jetzt natürlich argumentieren könnte.
Zum Beispiel glaube ich wirklich an Freuds Idee, daß Sexualität und Aggression die bestimmenden Pole eines Menschen sind. Und Pole verlieren nie an Attraktivität, selbst wenn sie schon längst entdeckt und saukalt sind. Sonst würden brave Oberstudienräte kein Vermögen darauf verschwenden, einmal das Nordkap zu sehen.
Aber es gibt wirklich sanftere Landschaften in der Seele, die ich nicht ignorieren sollte. (Sollte! Ich habe keine Lust! Ich möchte weiter über perversen Sex schreiben!) Was ist für Freud das Nächstwichtigste? Arbeit. Ich werde über Arbeit schreiben. Ich schreibe halbtags Briefe in der Kundenbetreuung eines Automobilherstellers, und wenn es auch keine Liebesbriefe sind, die ich aufsetze - die Nöte von Diplomarchitekten haben es in sich. So viel Geld, und so unglücklich.
Von den technischen Fakten weiß ich natürlich nichts. Ich vertraue da einfach auf die Informationen meiner Kollegen und lasse mich ansonsten vom Klang der Worte inspirieren. Bei "Nockenwelle" kriege ich zum Beispiel immer tierischen Hunger. Das klingt irgendwie nach "Salzburger Nockerln". Was auch immer das nun wieder ist; ein Gericht aus Teig, glaube ich.
Bei Teigwaren in Wellenform denke ich dann an Fusilli, diese gedrehten Nudeln, mit einer köstlichen Sauce aus Blauschimmelkäse und Sahne. Einen grünen Salat dazu und ein Glas Rotwein - fertig ist der schöne Abend. Auf jeden Fall stimmt mich die bloße Erwähnung der Nockenwelle ausgesprochen zärtlich.
Ein Wort, das mir auch gut gefällt, ist die "Drosselklappe". Wahrscheinlich würgt sie ja irgend etwas regulierend ab, das ist mir schon klar, aber ich muß dabei immer an Singvögel denken, die sich um einen Meisenknödel scharen. Weniger an Drosseln, weil die ja eher farblos sind, aber zum Beispiel an einen entzückenden kleinen Zaunkönig, der sich das Herz aus der Gurgel singt. Oder an die Vögel mit roter Brust, ein Rotkehlchen oder ein fetter, kleiner Dompfaff.
Dann sitze ich in meinem kargen Schreibbüro und stelle mir vor, wie ich des abends auf einer frühsommerlichen Terrasse sitze und diesen köstlichen Nockenwellensalat esse, während vor meinen Augen die ersten Singvögel in den Beeten picken. Ich bin ein wenig besoffen vom Rotwein und werde ganz sentimental.
Als Kind war ich nämlich verrückt nach Singvögeln, einfach so, weil sie süß waren. Diese einfachen Freuden halt, für die man dann lange Zeit zu cool ist. Deshalb finde ich das Wort "vögeln" übrigens auch nicht unanständig. Aber ich komme vom Thema ab. Ich muß übrigens betonen, daß ich eine sehr tüchtige Mitarbeiterin bin, die gerade ihre Probezeit als Festangestellte mit Glanz und Gloria bestanden hat. Ich träume nicht die ganzen vier Stunden von irgendwelchem Quatsch, statt zu arbeiten.
Die deutsche Automobilsprache hat in jedem Fall noch mehr solcher mehrsilbigen Leckerbissen parat: Ein "Zahnriemenspanner" könnte zum Beispiel ein kleiner Schmetterling sein; es gibt eine Reihe von Schmetterlingen, die alle das Wort "-spanner" als Suffix tragen. Nix besonderes, irgend so ein mäßig bunter Wald- und Wiesenschmetterling, dessen Fehlen nicht groß auffallen würde, bis dann schließlich alle Spanner dieser Welt weg sind, und dann fehlen sie einem doch.
Der "Auspuffkrümmer" ist für mich ein buckliges, altes Männchen, der im Motorraum sein Gnadenbrot findet. Den ganzen lieben Tag tut er nichts als Krümmen, wie ein alter Hotelpage. "Felge" zergeht auf der Zunge und paßt vorzüglich zu den rotierenden, silbernen Scheiben, für die die Jungs ein Schweinegeld ausgeben. Und dann nörgeln sie! Sie hätten bei der Bestellung ihres Neuwagens ausdrücklich die Felge "Alhambra" gewünscht, und was hätten sie bekommen? "Madrid", dieses fiese Billigmodell, das aussähe wie ein Gehirntumor!
Jedenfalls schlägt es mir immer hart ins Gesicht, wenn ich mal einen englischen oder amerikanischen Kunden am Telefon habe. "Klatsch!" sagte die junge Offiziersfrau aus dem Taunuskreis, die ursprünglich aus Delaware kommt. "Klatsch?" fragte ich unsicher zurück. Eine wohlmeinende Kollegin, die auch ein wenig technisches Englisch versteht, schob mir dann einen kleinen weißen Zettel hin, auf dem das Wort "Kupplung" stand. Ah so, ja, das macht natürlich Sinn. "Probleme mit der Kupplung" notierte ich mir also auf dem Block für die Telefonnotizen, auf die ich den jeweiligen Meister in der Werkstatt dann ansprechen könnte.
Aber ich bitte Sie, welche Poesie soll schon in dem Wort "Klatsch!" liegen! Während Sie bei dem Wort "Kupplung" doch deutlich jene skrupellose, alte Matrone sehen können, diese Puffmutter, die ihre Mädchen, die Gänge, jeweils nach dem Geschmack des Freiers am Schalthebel ausrichtet! Ja, da fährt man doch gleich viel lieber Auto! Wobei ich schon sagen muß, daß mich diese ganzen Vögel, Nudeln, Hotelpagen, Schmetterlinge und Puffmütter beim Fahren doch sehr in Anspruch nehmen würden. Deswegen fault mein Führerschein auch vor sich hin.
Stephanie Sellier

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