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  Die Blauen Engel von Natalie Hartmann
     

"All on board!" Vergessen Sie jede herkömmliche garzu alltägliche Form des Reisens.
Verlassen Sie den Kontinent und fliehen nach Übersee.
Getragen vom closed-harmony-Gesang dreier anmaßend reizender Damen, die da heißen: Maria Thura, Tildie Abendrot und Selda Kowalczyk.
Reanimieren Sie die Verruchtheit einer vergangenen Ära.
Lassen Sie einen Hauch von Glamour glitzern auf ihrer Stirn und schätzen Sie sich glücklich, ein Ticket für diesen prachtvollen Passagierdampfer ergattert zu haben.
Ausnahmsweise träumen sie nicht.
Drei berauschend swingende Engel entpuppen sich als gnadenlose Entführerinnen in die Welt des Swing ala Andrewssisters.
Einzig erschreckend ihr wahres Alter: Maria Thura geboren 1904 in Buenos Aires, Tochter aus alteingesessener Schauspieler- und Künstlerfamilie, provozierte bald schon durch ihre wahrhafte Darstellungskunst phrenetische Begeisterungsstürme des Berliner Theaterpublikums. Nur um ihre Liebe zu ergattern wurde ein Fan zum Mörder. Eine spätere Blitzehe mit dem Schauspieler Hendrik Höfgen scheiterte nach nur zwei Tagen. Der Ausweg hieß: Flucht nach Paris.






     
  Tildie Abendrot erblickte 1906 in Stettin das Licht der Welt. Nach einer kurzen mißglückten Ehe mit ihrem gleichnamigen Cousin entfloh sie der bürgerlichen Idylle, brach der Bratsche den Hals, den Eltern das Herz und floh nach Paris um die illustre Gesellschaft einer Djuna Barnes, Suzette Cocteau und eines damals noch unbekannten Yves Monteau zu genießen.
Der Lebenslauf von Selda Kowalczyk (geb. Goldfaden) hört sich nicht weniger abenteuerlich an. Sie wurde 1905 in Brooklyn New York in eine Künstlerfamilie hineingeboren, die kurz nach der Jahrhundertwende nach Amerika auswanderte und in Woodville-Theatern an der Ostküste Aufsehen erregte.Auch ihr Eheglück hielt nicht lange. Ein Milchwagen, der ihren Mann überfuhr, setzte dieser Ehe ein Ende. In ihrer Trauer machte sie sich auf den langen Weg nach Europa und traf dort Maria Thura.

  Bei einem ausschweifenden Landgang überraschte Natalie Hartmann zwei der beiden Weltreisenden, nämlich Katharina Müller-Elmau (Maria Thura) und Stefanie Vogler (Tildy Abendrot) und konnte ihnen ein paar Begebenheiten ihres wirklichen Lebens entreißen.  
     
     
  Wann wurden die Blauen Engel gegründet?  
  Stefanie: Im November 1996 waren alle Musiker komplett. Die Idee von uns beiden, generell mal wieder was zu machen, war schon früher da. Wir haben aus Spaß auf Partys gesungen und so das Ganze mal angetestet.
Katharina: Steffi und ich haben uns vor acht Jahren über eine gemeinsame Freundin kennengelernt. Wir haben dann angefangen, miteinander Sachen auszuprobieren und veröffentlicht.
Stefanie: ... super nette unter anderem auch Theaterproduktionen und Revuemusiken geschrieben.
Katharina: Plötzlich kam wieder der Wunsch auf, vokal etwas zu machen, ein verstärkte Interesse sehr viel zu hören. Wir sind immer weiter zurückgegangen, zunächst in die 40er und 50er Jahre bis hin in die Tradition der mehrstimmigen Sachen. Und da gab es dann auch die wirklich tollen Sachen, die musikalisch-stimmlich interessanten.
 
  Katharina, du bist doch eigentlich eine erfolgreiche Schauspielerin. Was hat dich bewogen, in die Musik einzusteigen?  
  Katharina: Das war eine totale Entscheidung. Ich war 10 Jahre am Residenztheater in München, nebenbei noch bei Film und Fernsehen, wobei das nie mein Steckenpferd war.
Ich hab schon als Teenager mit der Musik geliebäugelt, wobei das noch ganz andere Musik war. Wenn im Theater Produktionen waren, wo Musik dabei war, war ich sofort Feuer und Flamme. Das hat mich nie losgelassen. Und dann kam das eben zustande, daß ich gesagt habe, ich wage jetzt den Sprung. Ich habe im Theater gekündigt und meiner Agentin gesagt: Schluß mit Film und Fernsehen. Ich muß jetzt mein Kind auf die Welt bringen und die "Blauen Engel" machen. Wir sind alle ganz anders gefordert. Musikalisch und auch schauspielerisch. Ich habe auch vorher nie inszeniert, das machst du im normalen Schauspielerdasein ja gar nicht, und diese neue Verantwortung hat mich gereizt.
 
  Stefanie, du hast ja mal als Kunsthändlerin und Musikagentin gearbeitet, machst du das noch nebenbei?  
  Stefanie: Nein, das habe ich alles für die "Engel" aufgegeben. Natürlich habe ich auch schon immer Musik gemacht. Zwischendurch auch mal BWL studiert, was uns jetzt zugute kommt, da ich die ganze Koordination und auch das Verwaltungstechnische der "Engel" bearbeite. Die "Blauen Engel" sind ein Fulltimejob, und da können wir nichts mehr nebenher machen.  
  Was ist der Motor, der euch antreibt?  
  Katharina: Die unglaubliche Liebe zur Sache ist der absolute Motor. Und so wie die Show konzipiert ist, hat man abends auf der Bühne das Gefühl: "Das bin ich." Und wir haben wieder das Glück und die Möglichkeit, euch das zu zeigen.  
  Was bedeutet darüber hinaus die Bühne für euch?  
  Katharina: Die Bühne ist mein Leben und das ist beinahe immer schon so gewesen, meine Großmutter und mein Großvater waren auch schon auf der Bühne.... natürlich ist es auch ein Traumtänzerleben, aber es ist mein Leben.
Stefanie: Ich bin jetzt an dem Punkt angekommen; nach einigen Umwegen weiß ich jetzt, daß ich hier jetzt genau richtig bin.
 
  Ist die Idee der blauen Engel an den gleichnamigen Film angelehnt?  
  Katharina: Wir haben verzweifelt nach einem Namen gesucht. 90 % der Lieder, die wir singen, sind englisch, aber wir leben in Deutschland, und die ganzen szenischen Geschichten und die Mode, die wir tragen, sind deutsch. Und wir sind auch mehr als eine Vokalformation, die Soundsosisters, die alte Schoten singen, sondern wir tun es auf unsere Weise.  
  Was habt ihr für musikalische Vorbilder?  
  Stefanie: Unsere absoluten Vorbilder sind die Boswell-Sisters schon Ende der 20er Jahre, die geistigen Urmütter des closed-harmony-Gesangs sind. Das waren die Heldinnen, und die hatten es einfach drauf. Und wir versuchen mit unseren Möglichkeiten, diese Musik am Leben zu erhalten.
Katharina: Ich würde Jahre meines Lebens dafür geben, wenn ich einmal die Boswellsisters live sehen könnte. Nicht daß Jesus kommt, sondern die Boswellsisters.
 
  Wie entwickelt ihr eure Figuren?  
  Katharina: Ich habe mir das ausgedacht. Ich habe uns als "drei" vorgestellt und mir überlegt, wie jeder am besten sein könnte. Es mußten drei Charaktere sein, die sich die Bälle zuspielen können. Da müssen Gegensätze sein, sonst wird's langweilig. So bleibt es lebendig. Natürlich habe ich auch mit den Mädels gesprochen, was sie darüber denken.  
  Wie hast du die Figur Maria Thura konstruiert?  
  Katharina: Von meiner Großmutter habe ich mir viel abgeguckt, und da ist sicherlich auch etwas von Marlene Dietrich dabei. Dieses typisch egomane divenhafte Auftreten fasziniert mich. Ich habe mein Leben lang schon die Kollegen meines Vaters und auch Großvaters studieren können. Da hat sich ein Fundus angesammelt, und ich hab gedacht, das darf ja gar nicht wahr sein, wie diese Menschen sich inszenieren. Bei den großen alten Damen wehte ein alter Wind, wenn die durch die Gänge stolzierten.
Stefanie: Matilde, Tildy Abendrot ist auch ein herrlich altmodischer Name, der gut aus dieser Zeit sein kann. Und Selda Kowalczyk ist eben die Sugar aus "some like it hot". Und Selda ist ein schöner alter jüdischer Name.
 
  Habt ihr einen Hang zum Nostalgischen?  
  Katharina: Klar, haben wir auch ein verklärtes Bild: Früher waren Frauen noch Frauen und so. Es ist schon viel verloren gegangen. Aber in den Filmen werden sie auch anders dargestellt. Wir tragen im ersten Teil Hosen, das war früher en vogue und gehörte zur emanzipierten Frau, aber im zweiten Teil tragen wir Abendkleider um sich wie eine Frau bewegen zu können. Ich hab's in mir, und ich liebe das sehr. ..... Ich möchte den Mythos der 20er, 30er Jahre wieder aufleben lassen.
Stefanie: Wenn man Geschichten aus dieser Zeit liest, dann ist das alles so spannend, unglaubliche Lebensgeschichten in einer aufregenden Zeit.
Da ist eine Sehnsucht da heutzutage, nach Eleganz, was man auch in der Mode sieht, da kommt das alles wieder. Obwohl das Alltägliche und Schreckliche wirtschaftlich und politisch aus dieser Zeit gar nicht betrachtet wird, sondern auch verklärt.
 
  Wo ordnet ihr euch ein in der bundesdeutschen Musikszene?  
  Katharina: Ich kenn mich da gar nicht so aus, aber zu Wolfgang Petry gehören wir nicht. Es gibt im Moment nichts vergleichbares, wer weiß, was sich in den Kellergewölben tut.  
  Wie harmoniert ihr untereinander?  
  Katharina: Steffi ist meine beste Freundin
Stefanie: Kann ich das jetzt auch sagen? (Lachen) Wie haben die gleiche Wellenlänge, und da muß nicht lange debattiert werden.
Katharina: Es gibt für uns eine Ebene, und die heißt "miteinander" und sonst gar nichts. Bei den "Engeln" hat jeder seinen Bereich, den er abdeckt, und wir vertrauen einander, was das angeht.
 
  An dieser Stelle möchten wir uns recht herzlich für das Interview bedanken und senden liebe Grüße nach Berlin zu Zelda Kowalczyk, die heute nicht dabei sein konnte.  
     
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