Transgender oder: Ich bin Beides, Mann und Frau  
  Interview  
 





Transgender - das meint, die Grenzen zwischen Mann und Frau bewusst zu mißachten und seine Geschlechtsidentität neu zu definieren. Aus dem Baukasten dessen, was als "männlich" und "weiblich" gilt, konstruieren sich TransgenderóMenschen eine neue, selbst gewählte Identität.
Durch Veränderung von Kleidung und Verhalten, mit Hormonen oder operativ suchen die "Gendernauten", wie sie die Filmemacherin Monika Treut in ihrer Dokumentation beschreibt, die Angleichung an ihr wahres Ich.
Auch Chris versucht sich aus den Zwängen der Konventionen zu befreien.
Als Mädchen geboren, als Lesbe gelebt, in zahlreichen "Männerberufen" gejobbt, irritiert er heute mit Bürstenhaarschnitt, Anzug und Krawatte als sogenannter Trans-Boy (Frau-zu-Mann-Identitätswechsel) die Passanten in der Frankfurter City. Aber auch die Szene reagiert befremdet und die kleine Nichte weigert sich standhaft, Chris mit seiner "neuen" Identität zu akzeptieren
.

? Wie würdest du deine Identität beschreiben?

! Chris: "In den letzten Monaten sind mir sämtliche Definitionen entglitten. Also ich bin weder ein Mann, noch eine Frau, ich bin auch keine Lesbe mehr. Ich hab eine männliche Identität, ich denke, auch eine männliche Sexualität und einen Körper der sehr vermischt ist. Der Versuch aber, sich außerhalb von Binaritäten zu bewegen, ist mühsam."

? Welche Kleidung bevorzugst du?

! "Also Anzug und Krawatte und Hemd ist so mein Lieblingsding."

? Spätestens seit Mick Jagger wissen wir, dass zum richtigen Mann auch eine ordentliche Beule in der Hose gehört, was ihr mit dem englischen Packen bezeichnet.

! "Es geht insgesamt darum zu passen, also die männliche Rolle richtig zu verkörpern. Und Packen meint, die Form des Penis so nachzuempfinden, dass es diese Beule in der Hose gibt, die einem dann hilft, nicht aufzufallen Es gibt da auch richtige Prothesen. Man kannís auch mit Dildos machen, aber die sind meistens nicht so flexibel. (lacht). Socken machen sich dagegen immer gut. Und in fröhlicher Bastelrunde mit den anderen Trans-Männern werden dann die verschiedenen Techniken probiert."

? Du hast trotzdem immer das Gefühl, nicht sehr gut zu passen?

! "Über meine heulende Klage, dass ich überhaupt nicht passe, weil ich doch angeblich so weiblich aussehe, haben die anderen Trans-Männer gesagt, das stimmt ja gar nicht, das tun wir ja auch und guck dir die türkischen Jungs an, wie die sich setzten, wie die gehen und wie die stehen und wie die reden und dann imitierst du das einfach. Aber ich muss sagen, ich bin da nicht ganz so erfolgreich wie andere, weil ich es teilweise sehr abstoßend finde, (lacht) das irgendwie nachzumachen.

? Was ist für dich typisch männlich?

! Also es gibt 'ne Art und Weise zu gehen: ich hab das Gefühl Männer schieben ihre Schwänze raus beim Laufen schon, es wird nicht so gebückt gegangen, sondern die Brust rausgestreckt. Das geht für mich halt nur wenn ich gebunden bin, dann kann ich diesen aufrechten Gang haben."

? Zwei drittel der Geschlechtsidentität wird nicht über Sprache, sondern über Gesten vermittelt.
! "Ja, Männer lachen zum Beispiel anders. Sie lächeln nicht nur weniger sondern auch so, dass sie härter aussehen und sehen Leuten sehr gerade in die Augen. Das ist was, was ich lernen musste und was mir beim Passen extrem hilft. Es auszuhalten, ihnen gerade in die Augen zu schauen, ohne den Blick abzuwenden. Denn wenn ich den Blick schnell abwende, dann wissen die auch sofort, dass ich 'ne Frau bin."

? Und die klassische Psychologinnenfrage: Wie fühlt sich das an?

! Ich hab sehr oft diese widerstreitenden Gefühle - nicht nur vom Kopf her sondern ganz emotional - wenn ich dann in der U-Bahn sitze und meine Beine so breit gestellt hab und es fast unmöglich mache für die Frau neben mir, noch anständig auf der Bank zu sitzen (lacht), dann ist es immer auch schnell vorbei, weil ich mir dann wirklich auch doof vorkomme. So großkotzig bin ich jetzt auch nicht, so bedeutend bin ich auch nicht."

? Andererseits bedeutet "männlich sein" auch einen Machtzuwachs.

! "Eigentlich denke ich, dass die Unterscheidung in Männlich und Weiblich eine diskursive Festlegung der Gesellschaft ist, durch soziale Bedingungen geschaffen, kann mich aber andererseits nicht erwehren, das Männliche als attraktiver zu leben. Als Kind hab ich schon immer gedacht, Jungs können halt Sachen machen, die Mädchen nicht machen können - was natürlich nicht stimmt - trotzdem ist es eben so, dass ich weiß und auch gehört habe von anderen Trans-Männern, daß es schon extrem ist, wenn man als Mann durchgeht, was für ne Machtzusprechung das im Alltag bedeutet. Wie man auf einmal ein Mensch 1. Klasse wird, wenn man es ja so gewohnt war, ein Mensch 2. Klasse zu sein."

? Und wie wirkt sich die männliche Identität auf deine Beziehungen aus?

! "Die Heterafrauen finden das halt einfach toll, dass sie jetzt sogar das ganze nette am Heterosex kriegen von mir und trotzdem aber einen als Frau sozialisierten Menschen, mit dem man sich nicht ums Spülen streiten muss."

? Und wie reagieren die Menschen rundum?

! "Ich hab schon erlebt, dass sich im Zug um mich herum so 'ne französische Schulklasse dreieinhalb Stunden über mich unterhalten hat. Lautstark. Ich weiß nicht, ob die gedacht haben, ich kann kein französisch - aber, das war superunangenehm. Das war für sie die permanente Beschäftigung, festzustellen was ich für eine Geschlechtsidentität bin: Das war für sie nicht feststellbar und darüber haben sie sich die ganze Zeit mokiert.

? Aber solche Erfahrungen machst du auch in der Szene.

! Ja. Alle haben das Recht, dich einzuordnen und notfalls fassen sie dich an, um dich einzuordnen. (lacht, wird wieder ernst) Wir streben diesem komischen Ideal auf den Toilettentüren hinterher. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so aussieht wie die Symbole auf den Toilettentüren und trotzdem dackeln alle diesen Zeichen hinterher."

Annelu Küsters
Photos: Flora Jörgens
 
 

zum Artikel

 
  zurueck zum Inhalt