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Eine kurze Historie
der Frauen im rheinischen Karneval
Ein einziges Mal musste die Kölner Jungfrau, Teil der drei Tollitäten Bauer,
Prinz und Jungfrau, eine echte Frau sein. Paula Zapf lief weinend weg, als eine Festkomitee-Delegation
deswegen bei ihren Eltern vor der Tür stand. Doch Vater Zapf überzeugte
sie vom ehrenvollen Jungfrauenamt und Paula nahm den Posten an. Die Nationalsozialisten
bescherten Paula im Jahre 1938 diese Freude, denn sie wollten dem homosexuell wirkenden
Männerkarneval mit seinen Transgender-Kostümierungen und der Schminke ein
Ende machen. Die NSDAP-Spitzen in Köln wählten geeignete Damen aus, um
ausschliesslich das "gesunde völkische Brauchtum" zu fördern.
Auch die Karnevalskorps, die alljährlich ein männliches Tanz-Mariechen
hatten, mussten sich nun echte Mädchen besorgen. Die Kölner Frauen haben
es also den Nazis zu verdanken, sich als Majestät repräsentiert zu sehen.
Aber mit dem Krieg war 1940 der Frauen-Spuk im Karneval vorbei. Die Karnevalisten
warfen 1945 die NSDAP-Parteiabzeichen in den Ofen und organisierten ihren militärischen
Männercorps-Karneval wieder damenfrei. Korps, Regimenter, Herrensitzungen und
Festausschüsse, die gesamte Organisation und Durchführung des Kölner
Karnevals ist bis heute Männersache. Doch manche kölsche Mädcher haben
immer weniger Lust, die passende Damenbegleitung abzugeben. Fast jede der 100 Kölner
Karnevalsgesellschaften hat inzwischen männerfreie "Mädchensitzungen".
Da hätten jecke Lesben also noch einiges zu entdecken. Aber auch die matriarchalen
Urkarnevalsfeste könnten wieder interessant werden.
Karneval wird in Köln zum ersten Mal 1348 erwähnt. Am Donnerstag vor dem
Aschermittwoch, Beginn der Fastenzeit, war der Tag der Weiberfastnacht. Es wird in
den Chroniken beschrieben, wie die "Möhnen" und Marktweiber auf den
Plätzen tanzten. Wagte sich an Weiberfanacht ein Mann auf den Platz, rissen
sie ihm begeistert die Mütze herunter. Sie rissen sich auch selbst ihre Hauben
ab: mit dem Ruf "Mötzebestot" Denn die Haube war das Standeszeichen
der verheirateten Frauen. Sie übernahmen an diesem Tag die Macht der Strasse
und ihre langen ungebändigten Haare waren Zeichen ihrer kurzfristigen Eigenmächtigkeit.
An Weiberfastnacht übernehmen Frauen heute symbolisch die Männer-Macht
mit dem Schlüssel vom Rathaus.
Dieser Rollentausch ist älteren Ursprungs. Vorchristliche römische Festtage,
die Saturnalien, enthielten ihn: ausgelassene, lärmende und klingende Freudenfeste
zum Jahreswechsel kurz vor Frühjahrsanbruch. Die Römer brachten sie an
den Rhein. Spott, Freude, Gleichheit und Lust sollten zu Beginn des neuen Lichtjahres
triumfieren und die Menschen über Ungerechtigkeiten und Hierarchien erheben.
Herr und Sklave, Herrin und Sklavin, Frau und Mann waren gleichgestellt für
einen Tag. Diese Festtage, die Saturnalien, hatten noch ältere Vorgänger:
Fruchtbarkeits und Reinigungsfeste mit keltisch-matriarchalem Charakter. Sie waren
auf Mutter-Gottheiten bezogen.
Isis war die Schiffsgöttin, Kybele liess alljährlich die Natur auferstehen.
Beide Göttinnen verliessen im Herbst die Welt des Lichtes. Auf einem Schiff
den Fluss hinab fuhren sie in die Mutter Erde, also in die Unterwelt, das Totenreich.
Dort erweckte sie ihren getöteten Bruder / Gemahl zum Leben und zum Neubeginn.
Zu Beginn des Frühjahres kam sie zurück in die Welt des Lichtes. Musikalische
Umzüge begleiteten ihre Rückkehr: auf einem Holzschiff auf Rollen, auf
dem die Göttin dargestellt war. Die "Medien" dieser Gottheiten waren
die Frauen. Ekstatisch berauschte, grellfarbige, lärmende Festumzüge bestanden
aus ausgelassenen und musizierenden Menschen. Sie trugen Masken, Tierverkleidungen
und Frauenkleider und umtanzten das Schiff. Dieses Schiff gab dem Karneval den Namen:
Carrus Navalis ñ das Karrenschiff ñ wurde im Lauf der Zeit zum heutigen Narrenschiff,
den Karnevalswagen. Auch in der christlichen Zeit wurden diese Schiffskarren gebaut.
Die Kirche verwandelte die heidnischen, "unflätigen" Feste in kirchliche.
Aus dem germanischen Frauenfest wurde Maria Lichtmeß. Aber noch im Mittelalter
glaubten die Menschen, Hopfen, Flachs (Leinen) und Getreide würden so hoch wachsen,
wie die Mädchen bei den Frühjahrsfesten sprangen, um den Riemen-Schlägen
der jungen Männer an ihre Beine auszuweichen. Dieses Riemenschlagen war ursprünglich
ein matriarchaler Fruchtbarkeitsritus. Mit dem Erstarken der katholischen Kirche
im 11. und 12. Jahrhundert steigerten sich die Verordnungen, alles zu unterdrücken,
was unchristlich war. Frau, Natur und Sinnlichkeit galten als "fleischlich".
Alles Fleischliche war von innen her faul und verdorben. Die Welt trennte sich in
die helle männliche und die dunkle weibliche. Verstand, Wissenschaft, Orientierung
auf das Leben nach dem Tod und Abstinenz von allem Sinnlichen war männlich und
erstrebenswert. Starke Frauen, als Trägerinnen der Erbsünde und als sinnliche
Bedrohung wurden des Bundes mit dem Teufel, also der Hexerei verdächtigt und
zum Tod verurteilt. Maria wurde als Jungfrau und Mutter verehrt, ein Unding bis heute.
Trotzdem haben selbst Nonnen es fröhlich getrieben. Eine junge Benediktinernonne
schreibt 1729 in Köln:
"Wir haben die Fastnacht in aller Lust passiert und seindt alle Geistliche verkleidet
gewesen und uns recht lustig gemacht, dann in Tag haben wir gedanzt und gesprungen,
des Nacht, wenn die Frau Äbtissin schlafen ist gewesen, haben wir Thee Kaffe
und Chokolade getrunken, mit der Kart gespielt und auf der Dame gespielt....das haben
wir bis zwei Uhr gedahn in der Nacht."
Seit der Gründung des "festordnenden Comitees" 1823, das dem wilden
zügellosen und unflätigen Treiben des Volkes, also auch dem der Frauen,
ein Ende setzen sollte, ist der Karneval fest in männerordnender Hand. In der
langen Geschichte der Stadt Köln gibt es aber jede Menge Gestalten zu entdecken,
die jecke Lesben inspirieren könnte. Zum Beispiel die Stadtgründerinnen
Agrippina und Colonia, die mit kölscher Erotik durchs Programm führen werden...
Cornelia Gürthler
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