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Im Rückblick erscheint
es so, dass die doch recht massiven ideologischen Unterschiede zwischen den Fraktionen:
Linke, Radikallesben, Mütterbewegte, Esoterikerinnen, SM-Lesben, Sponti-Anti-AKW-Frauen
usf. über mehrere Jahre produktiv bewältigt wurden eine erstaunliche Leistung,
die nur durch das gemeinsame Ziel zu erklären ist. Der Konflikt, der das Ende
dieser enthusiastischen Hochphase mit sich brachte, kam einfach zu früh: Das
Transsexuellenproblem. Physisch als Mann daherkommende Wesen standen Ende der 70er
Jahre vor der Tür des mühselig erkämpften Freiraums im Patriarchat
und behaupteten, sie seien eigentlich Frauen und sogar Lesben und sie wollten jetzt
mitmachen. Heute, in Zeiten von Transgender-Debatten und der Frage, ob es überhaupt
Frauen gibt, keine wirkliche Herausforderung mehr, aber damals führte die sich
anschließende Auseinandersetzung zur Spaltung in Befürworterinnen und
Gegnerinnen, Integrationswillige und Ausschluss-Fordernde.
"Die Transsexuellendebatte traf uns breitseitig", resümierte Gertraut.
Ihrer Meinung nach ging es vielen Fürsprecherinnen der Transssexuellen gar nicht
um deren schwierige Situation, sondern um den Machtkampf der Flippiegruppe bzw. Spontifrauen
mit ihr, dass diese nun endlich einen Hebel gefunden hatten, um zurückzuschlagen.
Über die dahinterliegenden sprengstoffgleichen Inhalte wie Geschlechter, Rollen,
Veranlagung, Wahlfreiheit usf. wurde fast gar nicht gesprochen. Dagegen wurde eine
auf beiden Seiten verbiesterte Redeschlacht geführt. Gertraut fühlte sich
schließlich bedroht, "und das war mein letzter Abend im Zentrum".
Ihre bisherige Kraft war über diesen "Transikonflikt" an einem vorläufigen
Ende angelangt, sie wollte keine weiteren Belastung mehr. Mit ihr verliessen 18 Frauenbewegte
die FBA mit dem Ziel, ein Lesbenzentrum zu gründen, aber daran hatte sie kein
Interesse. "Heute würde ich klar alles ganz anders machen", wusste
sie im Interview 1994, aber damals zog sie sich enttäuscht zurück, verließ
sogar im 42. Lebensjahr ihr geliebtes Köln, machte nichts mehr mit Frauen, dagegen
legte sie den Schwerpunkt nun auf den beruflichen Werdegang. Sie begann, an der Vollzugsschule
in Wuppertal zu unterrichten und legte ihr Herz in die Justizpolitik. Sie lernte
In-Frauen der deutschsprachigen Esoterikszene kennen "und eine der Damen auch
lieben" (abermals eine wichtige Ute in ihrem Leben), verbrachte längere
Zeit mit der Schiran-Community in Cornwall, konnte sich vorstellen, dafür auch
ganz auszusteigen, aber auch dieses Milieu war ihr letztlich zu unprofessionell.
Klare Finanzabsprachen, Dienstleistungen anbieten und bezahlen lassen, Tagungshäuser
kaufen, - das alles war den Ladies zunächst zu gewaltig. Gertraut zog nach Frankfurt,
wagte erstmals, in einem Frauengefängnis zu arbeiten. Die Leiterin der Haftanstalt
in Preungesheim "wusste, wer ich war und kannte die Risiken", üblich
sind z.B. Situationen, in denen Unterstellungen getätigt werden, wenn Gefangene
nicht kriegen was sie wollen. Acht Jahre war sie dort tätig. Besonders das Schicksal
von Monika Weimar ging ihr nahe, die neuerliche Hexenjagd auf eine Frau.
Dann gab sie erschöpft ihre Berufstätigkeit auf und zog ins einheitsbrodelnde
Berlin. Flexibel setzte sie neue Schwerpunkte: Für die BürgerrechtlerInnen
führte sie z.B. Verhandlungen, um ihnen das Haus der Demokratie zu erhalten.
Wieder einmal wies sie ihr ganzes Geschick in Verhandlungsführung auf, ging
mit der ihr eigenen Intuition für das Gegenüber vor, setzte ihre bei aller
argumentativen Härte spürbare Warmherzigkeit ein - und konnte das Haus
für einige Zeit sichern helfen. Sie unterstützte die Olga-Benario-Galerie
ebenso wie den Ostberliner schwul-lesbischen Sonntagsclub. Im Osten verwurzelte sie
sich auch ideologisch neu, wurde mehr und mehr zur PDS-Anhängerin.
Erst hier stieg sie wieder in Frauenzusammenhänge ein, wagte sie es wieder,
politische Erwartungen zu entwickeln. Besonders die Arbeit im Frauenkrisentelefon
bereitete ihr - neben allen thematischen Belastungen - Befriedigung. Bald aber vermeinte
sie wieder den gleichen Strukturen zu begegnen, die ihr Engagement immer wieder überschatteten:
Selbstgestricktes Vor-sich-Hinwurschteln, Geld- und Zeitverschwendung. Gertraut ertrug
es nicht. Auch als Aufsichtsratsvorsitzende der Weiberwirtschaft - eines stolzen
Projektes, um Frauen wirtschaftlich autonom zu machen- trat sie nach einiger Zeit
zurück, weil die Organisationsform zu wenig durchschaubar wirkte und Freundinnenwirtschaft
ein besserer Name gewesen wäre. Im Frauenlokal Golden Girls begrub sie ihre
letzte Hoffnung, mit ihrem - auch finanziellen - Engagement Frauenkultur fördern
zu können und Arbeitsplätze für Frauen zu schaffen. Der Frauenort,
an dem sie sich auch selbst wohl fühlen wollte, existierte nur recht kurz, danach
war ihr Geld in den Sand gesetzt, ihre politische Geduld am Ende. Immerhin: Die Weltgesundheitsorganisation
hatte Homosexualität zum 1.1.1993 aus der Liste der Krankheiten gestrichen.
(vgl. Die Welt, Ausgabe Bonn, 18.12.1991)
Nun zog sie sich ins Private zurück: Beim geplanten Lesben-Hausprojekt agierte
sie nur noch zu zweit, mit ihrer neuen Freundin Uta, und freute sich, Lesben/Frauen
relativ günstigen Wohnraum zur Verfügung stellen zu können. In den
1990ern lernte sie, stärker an sich zu denken. Gertraut war nie eine Märtyrerin
gewesen, alle ihre Frauenprojekte beinhalteten den Wunsch, Frauenkulturorte zu schaffen,
an denen sie auch selbst verkehren wollte. Aber nun unternahm sie mit ihrer Freundin
Reisen, richtete sich ihre Wohnung schön ein. Gertraut leistete ansonsten immer
noch "Einzelfallhilfe", gab jedem Bettler Geld, kaufte jedem Obdachlosen
eine Zeitung ab, unterstützte auch frühere Widersacherinnen, wenn es ihr
möglich war. Verdammt viel Zeit verbrachte sie damit, sich den Kopf zu zermürben,
wie sie jemand helfen könne. Wenn die Idee nicht angenommen wurde, litt sie.
Noch einmal wollte sie sich einen Traum erfüllen: Köln - die Heimatstadt
mit ihrer spezifischen Festkultur während der 5. Jahreszeit (Karneval)- hatte
sie nie wirklich losgelassen. Nun war es denkbar, die zwei wichtigsten Komponenten
ihres Lebens in Einklang zu bringen: Das Kölsche und das Lesbentum. Einmal in
die Bütt! [das faßrunde Rednerpult], wünschte sie nun. Endlich etwas
für sich tun. Leider konnte sie ihre Vision nicht so verwirklichen, wie geplant.
Das einzige Ergebnis war ein kurzer Auftritt im Piccolo-Theater der früheren
218-Aktivistin Mewes. Die folgende Frustration war tiefer als alle vorhergehenden.
Auch den Kosovo-Krieg hat sie emotional nicht verkraftet. In Berlin und Köln
suchte sie Demonstrationen und Veranstaltungen auf - letztlich ein hilfloser Versuch
des Agierens.
Ihr politisches Feuer war verschossen, persönliche Utopien hatte sie keine mehr.
Sie empfand, dass ihr Leben nun auch enden könne, sie wurde krank. In ihren
letzten Wochen und Tagen wurde Gertraut intensiv und liebevoll von ihren Freundinnen
betreut: Sie war trotz ihrer Beschwerden erstaunlicherweise überwiegend positiv
gestimmt, die Begleiterinnen spürten ihren Zuwachs an Toleranz und Gelassenheit.
Irene Franken
Dieser Biografie liegen mehrere Quellen zugrunde:
u Eine Frau aus dem Rheinland"
(Ein anonymer Text): Lesben gemeinsam sind stark, in: "Frauenjahrbuch 75, Frankfurt
1975 (laut Gertraut von ihr verfasst)
u Julia Bähr: Klatschmohn. Eine Geschichte aus
der Frauenbewegung, Köln Kiepenheuer & Witsch, Köln 1984 (Schlüsselroman
über die Kölner Frauenszene der 70er Jahre von Gertrauts Freundin Claudia;
Thema ist auch Gertraut Müller selbst ("Ulrike")
u Interview mit Gertraut Müller durch Irene
Franken im Jahr 1994 / aufbewahrt im Kölner Frauengeschichtsverein, Nachlassteil
Gertraut Müller (drei MC-Kassetten)
u Zehn Uhr pünktlich Gürzenich. Hundert Jahre
bewegte Frauen in Köln ó zur Geschichte der Organisationen und Vereine, hrsg.
vom Kölner Frauengeschichtsverein, Münster 1995- darin:
- Heike Rentrop: A Room of Their own. Das Kölner Frauenzentrum in der Eifelstraße,
S. 332- 339
-Verena Krieger: Vom Kampf gegen
den § 218 zur Frauenbefreiungsaktion,
S. 319-330
- Andrea Pracht "Uns über den Mut zur Konfrontation überall frei bewegen",
S. 354-362 (über die Lesbenbewegung in Köln)
- Claudia Pinl: Der Charme der frühen Jahre. Rückblick einer Betroffenen,
S. 316-318
- Carolina Brauckmann: Ein Haus für uns
allein. Ma Braungart, die Frauenfrage und die fünfziger Jahre, S. 312-314
(Restexemplare über Kölner Frauengeschichtsverein, Marienplatz 4, 50676
Köln)
u Lesben und Schwule in Köln.
Das andere Stadtbuch. hrsg. von Marianne Rogler und Michael Meiger, Köln 1996,
darin:
- Gertraut Müller: Cafe Wüsten ó
eine Erinnerung, S. 34-35
- Wera Reusch: Schappo Klack.
Das Interview, S. 36-39
- Claudia Pinl: "Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus die Praxis",
S. 42-45
u Informationen von der Internetseite
http://schwulfunk.regenbogen.ac-net.dehlmass.htm zu Lesben und Schwule in der jüngsten
(Medien-)Geschichte o.D.
u Mündliche Erinnerungen von Uta Herz, Birgit
Schiran, Dorle Schiran und Claudia Pinl, Berlin, Ende September 1999
Weitere Hinweise,
Fotos und Reaktionen gerne an:
Kölner Frauengeschichtsverein
Irene Franken
Marienplatz 4
50676 Köln,
Tel. 0221/248265
Fax 0221/2403587
email kfgv@netcologne.de
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