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Gertraut
Müller (1942 geboren, ab 1944 in Köln, 1999 in Berlin verstorben) - in
ihrer Biographie vereinen sich auf außergewöhnliche Art Elemente eines
zaghaften Coming out in katholischen Mädchen-Zusammenhängen, Erlebnisse
in halbkriminellen Subs, 68er-Politisierung, Teilnahme an der frühen Frauenbewegung
und Initiierung einer politischen Lesbenbewegung.
In den vorangegangenenen Ausgaben schilderte Irene Franken Gertrauts Kindheit und
Jugend, die Isoliertheit als frauenliebende Frau und ihre Flucht in die Ehe, Kontakte
mit Gleichgesinnten im halbseidenen Milieu, die erste Frauenbeziehung, ihr Engagement
in der Frauenbewegung und schließlich der aufkeimenden Lesbenbewegung, zu deren
Motor u. a. auch sie wurde.
Ihre neue Freundin las trotzkistische Texte von Mandel, Gertraut hatte keinen Zutritt
zu ihrem elitären Zirkel, denn "sie würde das eh nicht verstehen",
später qualifizierte Gertraut die Gruppe dahingehend ab, dass die Frauen zugegeben
hätten, selbst nichts verstanden zu haben. In der Tat waren ihr die Auseinandersetzungen
der linken Frauen um die richtige Linie der Marxistinnen-Leninisten, Anarchistinnen,
Trotzkistinnen und Maoistinnen unzugänglich. Dagegen machte sie Rabatz, als
ihr in der Eckkneipe verwehrt wurde, ihr Bier an der Theke zu trinken, weil sie eine
Frau sei. Gertraut und ihre Freundinnen und Kampfgefährtinnen stürmten
die Kneipe und brachten es zu Artikeln in der Lokalpresse. Die Frauenbewegung wurde
größer, zu den Plena kamen inzwischen locker um die 100 Interessierte.
Frau traf sich nun im Hinterzimmer einer ausgewählten Kneipe - nicht mehr im
Kellergewölbe. Es wurde sogar extra eine Kellnerin eingestellt, damit es keine
Kollisionen mit frauenfeindlichem Personal gäbe.
Ihre Vision
zu der Hochzeit der Bewegung Anfang/Mitte der 70er war weniger die Abschaffung des
Patriarchats - soviel Platz hatte sie Männern eh nie in ihrem Leben gegeben:
mit den vorhandenen Freunden kam sie gut klar, von ihrem Mann ließ sie sich
nun einvernehmlich scheiden ñ sondern vielmehr ein Raum für Frauen zu schaffen.
Um diesen Traum zu realisieren galt es ein Frauen[Lesben-]Zentrum zu schaffen.
Die Band Flying Lesbians hatten gerade ihre erste (und einzige?) LP besungen, u.a.
mit dem Song "Habt ihr schon gehört, es gibt ein Zentrum". Gertraut
nahm dem Vertrieb 50 Platten zum Einkaufspreis ab und verkaufte sie zum Ladenpreis,
inclusive Solidaritäts-Beitrag. Als sie in einer Bank in Domnähe das erste
Konto eröffnete, war dies für sie der Beginn des Frauenzentrums. Sie warb
unter den Frauen für regelmäßige Daueraufträge, einige Monate
suchten sie eine geeignete Räumlichkeit, konnten dann schon Sicherheiten in
Form von regelmäßigen Einnahmen vorweisen.
Dieses Zentrum - 1976 in der Eifelstraße eröffnet - sah rauschende Feste,
bundesweite Tagungen, wöchentliche Arbeitskreise vom Arbeiterinnenthema bis
zum Kräuter-AK, heftige Diskussionsabende mit der inzwischen von der Szene abgelehnten
Alice Schwarzer, Vorträge von Linguistinnen oder auch provozierende Pornofilme,
die träge Feministinnen zum Kampf gegen Männergewalt aufstacheln sollten.
Bald kristallisierten sich zu Gertrauts Leidwesen zwei Fraktionen von Lesben heraus:
die "Lesben von Anfang an" (Uries) und die "durch die Frauenbewegung
politisierten Lesben" (Movies). Die Bewegungslesben hatten laut Gertraut "über
den Kopf" begriffen, dass sie nur noch Frauen lieben könnten, und vertraten
ihre neue Erkenntnis recht massiv. Eine bis dato heterosexuelle Lehrerin namens Ute
warf Gertraut vor, sie habe kein feministisches Bewusstein. Die Zeiten waren freier
geworden, die politisierten Neu-Lesben überholten die bisher krampfhaft versteckt
lebenden homosexuellen Frauen mit Links und gaben sich schon nach einer Nacht mit
einer Frau das Etikett lesbisch. Sie organisierten sogleich so öffentlichkeitswirksame
Aktionen wie "lesbisches Straßenbahn-Fahren" und brachten die Uries
zur Weißglut oder in die Defensive. Wenn Ute Gertraut vor einer Arbeitskollegin
dazu einlud, sich doch an der Knutschaktion in der Straßenbahn zu beteiligen,
dann fühlte sich die Knastsozialarbeiterin blamiert. Immerhin fiel ihr noch
ein: "Mach doch, ñ ich fahre jeden Tag lesbisch Straßenbahn!"
Ute - die neue moralische Übermutter - wollte allen beibringen, wie sie zu leben
hätten, mit einer eigenen Frauenkultur und eigener Frauensprache. Die Aktivistinnen
empfanden es ja auch als sinnvoll, aber Gertraut z.B. fragte sich, warum das immer
mit so einer dramatischen Pose abgehen müsse. Ute wollte gar den Kontakt zu
ihr abbrechen, " Ich kann mit dir nicht mehr reden, solange du in solch männlichen
patriarchalen Organisationen wie dem Gefängnis arbeitest", wobei bedacht
werden sollte, dass dieser Meinungsaustausch zu Zeiten von RAF-Hetzjagden erfolgte.
Gertraut konterte zwar: "Du arbeitest doch als Lehrerin selbst in einer, in
der Schule!", aber das galt nicht. Getraut fühlte sich überwacht und
kontrolliert, der Kampf wurde ihr zu radikal geführt: "Du kamst dir vor
wie bei einer Sekte. Nichts entging ihren Augen, jedes Flugblatt wurde daraufhin
abgeklopft, inwieweit es patriarchale Denkstrukturen aufweise. Auch wurden die herkömmlichen
erotischen Praktiken in Frage gestellt. Mit dem Buch "Der Mythos vom vaginalen
Orgasmus" und der These, dass die Vagina völlig unempfindlich sei und es
nur eine Männerbehauptung sein könne, dass bei einer Penetration Lustgefühle
erzeugt würden, war die Frage der Phallus-(Hetero)-Orientiertheit der Lesben
auf dem Tisch. In manchen Selbsterfahrungsgruppen fragten die Teilnehmerinnen sich
mit fast inquisitorische Fragen aus. Jede Lesbe musste sich nun selbst zermartern:
Welche Sexualgewohnheiten habe ich? Sind sie richtig? Die Movies wussten anscheinend
besser, wie Lesben miteinander schlafen sollen, die Uries schwiegen laut Gertraut,
konnten nicht darüber reden, hatten nur ein schlechtes Gewissen, weil sie schon
wieder auf der Seite der Unbewussten waren... (Und gerade von diesen Movies erwiesen
sich später so viele als Rückkehr-Kandidatinnen in die Heterowelt!). Bevor
es zum Kampf bis aufs Messer kam, wurde ein Vermittlungstermin zwischen Uris und
Movies durchgeführt.
Die Fronten weichten wieder etwas auf, Ute zog sogar bei Gertraut aufs Grundstück
und sie gründeten eine Art "Frauenhof" an der Kölner Peripherie.
Radikal wie sie war, forderte Ute nun, Gertraut dürfe keine männlichen
Handwerker mehr beschäftigen, obwohl es damals kaum ausgebildete bzw. erfahrene
weibliche Baufrauen gab. Diesmal gab Gertraut nicht nach.
Für die so moralisch erzogene Gertraut war der Konflikt unter den Lesben sehr
schlimm, weil sie empfand, dass nun auch noch Frauen ihr vorschreiben wollten, wie
sie zu leben hatte. Sie fand die intellektuelle Überlegenheit und Besserwisserei
der Movies mit ihrer Parole "Wir machen jetzt alle Frauen zu Lesben" unerträglich.
Als weiteren Affront begriff sie die Gründung der ersten SM-Gruppe innerhalb
der FBA. Manche Frauen kamen nun nur noch in Leder, redeten davon, dass sie ihre
Wünsche ausleben müssten und betrieben euphorisch einen neuerlichen Missionierungsversuch.
Insgesamt schätzte Gertraut die Reibereien als hilfreich ein, sie lernte darüber
viel, was sie sich nie angelesen hätte, das argumentative Selbstbewusstsein
aller wurde geschärft und viele redeten erstmals über intimere Dinge. Gertraut
stellte an sich "unglaubliche Entwicklungssprünge" fest. Der Entwurf
für eine Kontakt-Anzeige klang 1975 schon ganz anders als früher: Nun suchte
sie eine "Partnerin, die eine tragfähige Beziehung als Stütze in einem
gemeinsamen Engagement gegenüber den Unterdrückungsmechanismen unserer
Gesellschaft begreift." ...
1976 gab es ein riesiges Fest in einem weiteren repräsentativen Gebäude
(Wolkenburg) mit Livekonzert der Flying Lesbians, bei dem Gertraut mitgewirkt hatte.
Sie verglich noch 20 Jahre später die Wirkung des Refrains "Frauen kommt
her, wir tun uns zusammen" mit ihren Kindheitsgefühlen während des
Hochamtes. In den Zeiten vor dem Frauenbuchladen gingen die Feiernden mit Büchern
vom Stand "schwer bewaffnet" nach Hause.
Gertraut hatte eine immer bedeutsamere Stellung innerhalb der FBA erlangt, sei es
bei der Organisation eines weiteren Tribunals, bei Finanzentscheidungen, sie wurde
sogar zur reisenden Fachfrau zu dem Thema "Wie organisiere ich ein Frauenzentrum".
Sie kam immer besonders gut mit den jeweiligen Macherinnen der Gruppen aus, hatte
bundesweite Kontakte. Ihr Geheimnis war - laut eigener Einschätzung - dass sie
immer 100 %ig identifiziert war mit dem, was sie tat. Ihre Machtposition innerhalb
der Kölner Frauenbewegung war sicherlich stark durch ihre langjährigen
beruflichen Erfahrungen in Institutionen bedingt. Ihre organisatorische Kompetenz
unterschied sie von vielen Jüngeren, aber auch Gleichaltrigen aus anderen Metiers
(Die Kölner Frauenbewegung war weniger durch Studentinnen oder Unidozentinnen
geprägt - dagegen wirkten viele Sozialarbeiterinnen und Medienfrauen mit). Sie
war - weil sie schon immer Geld verdiente - selbstsicherer, ja größenwahnsinniger
als andere. Dass die Frauenbewegung so früh an die Öffentlichkeit ging,
mag auch ihr Verdienst gewesen sei. Natürlich war ihre starke Stellung nicht
unbestritten, sie war ein beliebtes Aggressionsobjekt.
Ihre Vorschläge und Begriffe entsprachen oft nicht dem Zeitgeist: bezahlte Kneipenfrauen,
professionelles Management, persönliche Verantwortung. Sie sagte Sätze
wie "Was nichts kostet, ist auch nichts.", wo andere für die Abschaffung
des Eigentums kämpfen wollten. Nur diejenigen, die sie näher kennen lernten,
kannten ihre soziale Ader, ihre Ansprüche an Gerechtigkeit auch im Materiellen.
Sie bezog oft scharf Position, sprach die unliebsame Wahrheit aus und sie wurde -
auch schriftlich - angegriffen für ihr "Monopol an Organisationswisssen
und [ihren] autoritären Gruppenstil". Das wuchs sich langfristig für
sie zum Problem aus, weil Gertraut auch lieber anerkannt worden wäre.
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