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lespress12/97 |
Interview:
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Barbara Wilson
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Auszüge aus einem Interview
von Stephanie Sellier
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Wann hast du mit dem Schreiben angefangen?
Barbara Wilson: Ich habe mich schon immer fürs Schreiben interessiert. Etwa
seit ich etwa Jahre alt war erfand ich Geschichten, schrieb sie auf und illustrierte
sie, fertigte kleine Bücher an. Ich war mir schon in sehr jungen Jahren sicher,
was ich machen wollte. Diesen Glauben habe ich nie verloren - keine Ahnung warum.
Und das Schreiben hast du all die Jahre, bis du erwachsen warst, beibehalten?
Ja, ich schrieb Gedichte, Theaterstücke, Kurzgeschichten - allesamt schlecht,
aber ich wußte, daß ich besser werden würde. In gewisser Hinsicht
ist diese Geschichte nicht besonders interessant. Es gab nie den Moment der Offenbarung:
"Du mußt Schriftstellerin werden!" |
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Es ging eher um das Erlernen eines Handwerks?
Ja, dieser Lernprozeß nahm eine lange Zeit in Anspruch. Es dauerte ebenfalls
lange, Disziplin zu erlernen und über die Art des Schreibens, der ich nachgehen
wollte, nachzudenken. Aber in gewisser Weise waren all diese Fragen Teile des weitaus
größeren Themas ÑWie möchte ich gerne mein Leben lebenì: wie kann
ich als Künstlerin leben, wie kann ich mich finanzieren, wie kann ich für
die Welt, in der ich lebe, einen Beitrag leisten. Aber das Verlangen, zu schreiben,
stand nie außer Frage.
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Was waren deine literarischen Vorbilder?
Nun, ich glaube, daß ich durch viele verschiedene Phasen gegangen bin hinsichtlich
der Autorinnen, die ich bewunderte. |
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Aber eine, die mich nach wie vor sehr bewegt, ist Willa
Cather, wegen ihres Sinns für Landschaft. Ich glaube, sie hat mich sehr beeinflußt.
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Darüber hinaus gibt es noch viele andere Autorinnen, die ich sehr liebte,
zum Beispiel fand ich Colette einfach wundervoll, und ebenso liebte ich Jane Austen.
Eine Zeitlang hat mich Virginia Woolf sehr beschäftigt. Ich glaube, die erste
lesbische Schriftstellerin, die ich wirklich bewußt wahrnahm, war die offen
lebende Lesbe Jane Rule. Ich las all ihre Bücher in der Bibliothek, sie haben
mich tief beeindruckt.
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Ich habe dich immer für einen richtigen "Genre
Breakerì gehalten, weil es dir gelang, aktuelle Debatten in deine Krimis aufzunehmen,
wie zum Beispiel die SM-Debatte in "Der Pornokongreß".
Ja, ich sah im Krimi Möglichkeiten, Dialektik zu entwickeln, weil es im Kriminalroman
sowieso schon ein ständiges Fragen und Antworten gibt: "Wo waren Sie?",
"Warum haben Sie das und das getan?" und so weiter. Morde aufzuklären,
dachte ich damals, könnte höchst interessant sein, wenn ich es mit der
Diskussion über ein Thema wie Jugendprostitution oder SM kombiniere.
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Zuerst hast du die Krimis geschrieben und dann die
Romane?
Nein, zuerst Kurzgeschichten, dann einen Roman, verschiedene Krimis, noch ein weiteren
Roman. Dann "Äpfel und Apfelsinen" , anschließend noch eine Reihe
weiterer Krimis, und zuguterletzt "Träum ich von Familie". Im Moment
arbeite ich an meiner Autobiografie. Ich hoffe, daß ich die Krimis und die Romane
kombinieren kann, bin aber dabei offengestanden etwas mehr an Literatur interessiert,
weil ich die Krimis für sekundär halte; sie waren in gewisser Weise für
mein eigenes Vergnügen geschrieben. Ich liebe ihre Figuren, Cassandra Reilly
ist wirklich klasse.
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Das Buch, mit dem du gerade auf Lesereise bist, handelt
von Familie - der englische Titel heißt "If You Had A Family". Wie
sieht deine eigene Familie aus? Ich meine damit sowohl deine Herkunftsfamilie als
auch diese typische Lesbenfamilie aus Liebhaberinnen und Freundinnen.
Na ja, es gibt schon so manche Parallele zum Buch. Aber mein eigenes Leben war vermutlich
viel schlimmer als alles, was Cory zugestoßen ist. Besonders interessant an
Literatur finde ich, daß wir die Erlebnisse nicht so schlimm, wie sie waren,
beschreiben können, weil das zuviel wäre. Wir müssen auswählen,
in Szene setzen und eine Struktur erschaffen. - Allerdings leben mein Vater und mein
Bruder noch, und wir sind uns auf eine eigenartige Weise nahe. Meine Lebensgefährtin
Terry hat eine riesige Familie, alle Familienmitglieder sind total überschwenglich.
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Wie Rosemary? (Eine Figur aus "Träum ich
von Familie")
Ja, aber sie ist in keiner Weise wie Rosemary. Sie ist Schreinerin, und sie hat einen
Haufen Brüder und Schwestern, die nicht miteinander reden. Eine sehr interessante
Familie! Ihre Mutter ist Dichterin, und ihr Vater kommt aus Costa Rica. Ach, ich
weiß nicht, irgendetwas ist immer in ihrer Familie los...
Als ich das Buch gelesen habe, dachte ich: Wir sitzen doch echt in der Falle!
Entweder die Menschen beklagen sich darüber, daß sie keine Familie hatten,
oder sie beschweren sich über ihre vorhandene Familie!
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Ich mag ihre Familie; sie haben mich vollkommen akzeptiert,
sie lesen alle meine Bücher. Ihre Mutter schreibt mir lange Briefe, die ich
offen gesagt nie beantworte, weil sie alle emails sind - fünf Seiten lang. Aber
ich mag ihre Mutter, sie ist wirklich interessant.
Wie lange seid Ihr zusammen?
Vier Jahre. Wir haben ein Haus und eine Katze - eine typische Lesbenfamilie... (lacht)
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Von wem hast du deinen großartigen Humor geerbt?
(lacht) Wir haben in meiner Familie eine Menge gelacht. Mein Vater war ausgesprochen
komisch, als ich ein Kind war, aber seine Witze waren meistens ziemlich blöd.
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Mein Bruder und ich haben einen sehr ähnlichen Sinn für
Humor. Ich weiß nicht, ich glaube, in gewisser Weise war er ein Schutz.Interessanterweise
hatte ich oft das Gefühl, daß Humor ein höchst zweischneidiges Schwert
ist: auf der einen Seite war er sehr nützlich für mich, als ich mich von
einer unglücklichen Zwölfjährigen in eine viel lebhaftere Dreizehn-,
Vierzehnjährige verwandelte, die alle lieber mochten. Er war ein hervorragendes
Mittel, damit die Leute mich mochten, sich mit mir wohl fühlten. Er war auch
ein Mittel, um mich zu schützen. Und deshalb fühle ich mich gespalten hinsichtlich
der Art, wie sich Humor benutzen läßt und wie leicht es ist, ihn ausschließlich
zu benutzen, statt weitaus tiefer zu gehen und sich zu zeigen.
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Und eines meiner Ziele ist es gewesen, den äußerst
melancholischen Teil meines Charakters, der sehr gelitten und eine Menge Leiden gesehen
hat, mit der übermütigen, unbeschwerten Person zu versöhnen, die ich
ebenfalls bin. Daher versuche ich, für beide dieser Extreme in meinem Schreiben
einen Platz zu schaffen.
Was gefällt dir an Deutschland?
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Gibt es etwas, das du an Deutschland magst? Denn viele Reisende aus Nordamerika rümpfen
wirklich die Nase und sagen: ÑDie Menschen hier sind so unfreundlich, es ist teuer
und so konservativ hier.ì Findest du irgend etwas Positives an unserem ÑNationalcharakterì?
Oh, es gibt viele Dinge, die ich an Deutschland mag! Ich habe einen großen Respekt
vor deutscher Bildung und Intellektualität.
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Welche deutschen SchriftstellerInnen magst du?
Ich denke dabei ehrlich gesagt weniger an SchriftstellerInnen, sondern an Deutsche,
die ich treffe, die sich sehr dafür interessieren, Ideen zu diskutieren und
in der Welt der Literatur und Ideen in hohem Maße zu Hause sind. Sie sind oft
sehr belesen, und das finde ich - als eine Schriftstellerin, die hierher kommt und
über ihr Werk spricht - äußerst zufriedenstellend, weil das Niveau
der Unterhaltung hoch ist und die Menschen hier ganz anders reagieren als vielfach
die Leute in den Vereinigten Staaten.
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Ich schätze es wirklich zutiefst, daß ein ausländisches
Publikum mein Werk liest und darauf reagiert, und ich habe mich schon häufig
sehr glücklich gefühlt, daß ich dieses deutsche Publikum habe! Weil
es mir irgendwie eine andere Perspektive vermittelt. Bei manchen Sachen, die in Deutschland
passieren, habe ich gemischte Gefühle, würde es aber nicht wagen, sie zu
beurteilen, weil ich nicht hier lebe. Ich habe einige wirklich enge Freundschaften
mit Deutschen geschlossen, die ich mag und bewundere. In vielerlei Hinsicht scheinen
sie mir näher zu stehen als zum Beispiel meine Freundinnen in Norwegen oder
Italien.Denn ich glaube, die deutsche alternative, linke, feministische Kultur ist
der in den Vereinigten Staaten ähnlicher, und daher haben die Frauen, die ich
treffe, ausgesprochen ähnliche Anliegen.Das heißt, ihr Lebensstil ist ganz
anders - sie machen alle diese zweimonatigen Urlaubsreisen nach Italien oder Griechenland,
während wir uns zwei Wochen Mexiko leisten! (lacht)
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