lespress12/97


Auf die Frage "was machen eigentlich die Aids-aktiven Frauen heute?", die zumeist den Hintergrund zu haben scheint, "in Sachen Frauen und Aids passiert wohl nicht mehr viel...", kann es keine kurze Antwort geben.

Ehe Lespress-Leserinnen uns als LATEX-Frauen kennengelernt haben, waren wir aktiv bei ACT UP-Hamburg und haben in diesem Rahmen die Gruppe ACT UP-Frauen & Aids mitgegründet. Die Aktivitäten gipfelten in der erfolgreichen Buchproduktion "Frauen & Aids", das im Frühjahr 1993 als Rohwolt-Taschenbuch erschienen ist. Zu diesem Zeitpunkt etwa löste sich ACT UP Hamburg auf, und unsere Gruppe, die nur noch aus uns beiden Buchfrauen bestand, veränderte sich stark. Inzwischen hatte sich ein Wunsch erfüllt, der auch ein starkes Motiv unserer Bucharbeit gewesen war: es hatte sich ein "Netzwerk Frauen und Aids" gegründet. Wir waren begeistert! Das war es doch, was wir (u.a.) für die Frauen wollten. Aktive, kämpferische Frauen im ganzen Land, die sich nicht den Mut und die Lebensfreude nehmen ließen von der gruseligen, androzentrischen Aids-Politik und die für ihre Rechte auf frauenspezifischer Prävention, Behandlung und Unterstützung eintreten!
Leider sah die konkrete Zusammenarbeit, unsere Netzwerkswirklichkeit anders aus. Die Treffen erschienen uns anstrengend und öde. Eine interne Analyse ergab, nachdem das Wort "Profi-Schlampen" gefallen war, daß unser Problem folgendes war: Die Zusammenarbeit von Profis (Sozialarbeiterinnen, Ärztinnen, etc.) und Selbstorganisierten (wir) war deshalb so schwierig für uns, weil die Profi-Strukturen und ihre Zeitorganisation dominant war. Ein Beispiel: Die Arbeitstreffen waren nachmittags von 14-16h angesetzt. Für die Mehrheit der Netzwerksfrauen war dies schlichtweg ein weiterer Termin in ihrer Arbeitszeit. Für uns hingegen war ein ganzer Nachmittag weg (je eine Stunde An- und Abfahrt kam hinzu) - wir hätten gern abends getagt und nachmittags andere Arbeiten gemacht. Wir konnten uns nicht durchsetzen, haben es allerdings auch nicht sehr nachhaltig probiert. Wir kannten das Problem bereits von den ACT UP-Treffen und aus der ACT UP-Literatur, es handelt sich um das in den USA häufiger diskutierte Thema "Ehrenamtliche versus Profis". Einerseits ist die Professionalisierung der Aids-Arbeit von und für Frauen gut und auch eine unserer Forderungen gewesen. Andererseits sind die Organisationsprobleme ein Katalysator für Spaltungen; wir hätten eine intensive Ziel- und Strukturdebatte im Frauennetzwerk führen müssen. Dafür fehlte uns die Energie und Motivation; es war, als habe die Professionalisierung die Kraft und die Begeisterung sediert, die wir (und unsere UnterstützerInnen) während der Bucharbeit gespürt hatten. Aber es ging ja weiter.


Aus verschiedenen Teilen des Bundesgebiets kamen Anfragen, ob wir nicht eine Lesung machen könnten. Die Lesungen und Diskussionsveranstaltungen verwandelten sich sehr bald: Lesen und Sprechen war nicht genug bzw. besonders auch in Lesbenkreisen gar nicht so einfach. Wir waren schrecklich aufgeregt, aber nahmen trotzdem ein Element hinzu, das unsere Aufregung zunächst noch steigerte. Wir präsentierten Safer Sex Artikel und (wenige) Sex-Toys. Diese Kombination aus Lesung und Safer Sex-Demonstration war nicht nur erfolgreich, sondern brachte allen Beteiligten sehr viel Spaß, und die Diskussionen wurden lebhafter und auch persönlicher.
Es war nur konsequent, diesen Weg weiter zu gehen. Es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit Heike Schader (die mit ihrer Gruppe die erste Safer Sex-Broschüre für Lesben gemacht hatte). Ausschlaggebend für die Gründung von LATEX Lesben . Aids . Texte war unsere Wahrnehmung, daß Lesben beim Thema Frauen und Aids, besonders hinsichtlich der Prävention, immer noch nicht vorkommen. Während der Zeit der Buchrecherche wurde das Thema Safer-Sex von offiziellen Stellen, aber auch engagierten Leuten für Lesben als unnötig oder gar lächerlich angesehen (Motto: Lesben bekommen kein Aids... keine Geschlechtskrankheiten?!). LATEX hat dann eifrig Texte, sogennante "Schnipsel" (Info-Blättchen) sowie Safer-Sex-Packs produziert und in Veranstaltungen oder über Verteiler (Kneipen/Veranstaltungszentren etc.) an Lesben gegeben bzw. verkauft. Lespress-Leserinnen lernten LATEX über die Artikel zu entsprechenden Themen kennen (und hoffentlich schätzen).
Inzwischen war eine von uns (Nicole) nur noch Sympatisantin, die half Safer-Sex-Packs zu packen (eine zeitaufwendige Arbeit) oder auch mal einen eiligen Text für Lespress zu formulieren, wenn der allmonatliche Termin schon wieder überschritten war. Der wichtigste Grund für diesen Rückzug aus dem Aktivismus war schlichtweg (nein, keine Gruppendifferenzen) die Notwendigkeit, den Status "erwerbslose Philosophin" zu verändern. Dies wirft ein Licht auf das oben erwähnte Problem der "Ehrenamtlichkeit". Irgendwann stellt sich der Konflikt ein zwischen der selbstorganisierten Arbeit für das Projekt und den Erfordernissen, eine Ausbildung zu machen/abzuschließen oder berufstätig zu werden, jedenfalls dann, wenn die Projektarbeit nicht selbst professionalisiert wird. Auch die zweite (Petra) bekam starke Zeitprobleme, als sie in Sachen Ausbildung aktiv wurde.


Mit der Schwangerschaft (Nicole) und der Geburt einer Tochter änderten sich zudem auch die Interessen (Petra); das Zeitproblem verschärfte sich noch. Und so änderte sich die Organisationsform von LATEX dahingehend, daß es ein Ein-Frau-Unternehmen ist, also von Heike Schader weitergeführt wird.
Das klingt bislang vielleicht resignativ oder negativ. Aber ein entscheidender Grund für Petra, die LATEX-Arbeit aufzugeben und nur noch in Einzelfällen zu unterstützen, ist durchaus positiv zu bewerten.
Ein Ziel von LATEX, daß Lesben über das Thema "Safer-Sex-für Lesben" endlich anfangen über ihre Sexualität und ihren tatsächlichen Sex zu reden, war erreicht (-ohne daß nun LATEX beanspruchen würde, es durch ihre Aktivitäten erreicht zu haben). Ein Blick in Veranstaltungsmagazine oder die letzten LFT-Programme zeigt, Lesben sprechen und schreiben etc. über ihren Sex und über Safer Sex.
Wilde LATEX-Phantasien über einen Safer Sex-Artikel-Laden bzw. Versand haben andere Frauen inzwischen zur Realität werden lassen; in einigen Großstädten gibt es inzwischen Sexläden für Frauen und der Blick in die Lespress-Anzeigen zeigt uns, daß Lesben allerorten inzwischen Kataloge, Bücher, Informationsmaterial und Artikel für (Safer) Sex bestellen können.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: da wurde etwas erreicht, da haben sich Wünsche erfüllt und Ziele verwirklicht, und das ist prima! Bei der Gründung von Latex . Lesben . Aids . Texte waren wir die Expertinnen im Bereich Safer-Sex in Deutschland (was die Einladungen in die verschiedenen Bundesländer zeigte), inzwischen gibt es genug andere Expertinnen. Wir haben (endlich) nicht mehr die Angst, wenn wir es nicht machen, geht das Thema wieder unter!


Absschließend möchten wir zum Thema HIV/AIDS unsere persönliche Einschätzung geben (sie ist nicht recherchiert, sondern so formuliert, wie uns das Thema Aids zur Zeit begegnet). Weil wir inzwischen die Netzwerkzeitung "DHIVA" (ein per Fotokopie weitergereichtes Blättchen) nicht mehr bekommen, haben wir zum Thema Frauen und Aids (in Deutschland) keine spezifischen Informationen mehr. Die allgemeine Presse zeigt uns, daß Frauen im Aidsbereich - als Betroffene, Gefährdete oder Tätige - nach wie vor unsichtbar sind. Da scheint sich nicht viel geändert zu haben. Von ihrem derzeitigen Tätigkeitsfeld her (Schwerpunktapotheke HIV/Aids) hat eine von uns (Petra) einen informierteren Standpunkt, und dort zeigt sich, daß im Zuge der Euphorie der neuen Kombinationstherapien einige alte Probleme im neuen Gewand auftauchen.
Vom letzten Bundespositiventreffen hörten wir, daß unsere alte ACT-UP-Forderung, endlich frauenspezifische Forschung für HIV/Aids zu machen, wieder erhoben wird. Frauenkörper und ihre Hormonsysteme sind einfach anders als die Körper dreissigjähriger, weißer Schwuler, an denen die meisten Medikamente getestet wurden. Eigentlich ein alter Hut, dennoch hörten wir damals vom zuständigen Arzt des damaligen AIDS-Zentrum des Bundesgesundheitsamtes (heute Robert-Koch-Institut), Forschung für die paar Frauen zu machen, lohne sich doch gar nicht.
Wir wollen das hier und heute nicht mehr kommentieren, aber es bringt uns auf einen weiteren Punkt, nämlich die eurozentristische Arroganz des Medizinsystems. Inzwischen sind die Frauen in einigen afrikanischen Ländern zu fast 50 % von HIV und Aids betroffen. Nach wie vor zählen diese Frauen nicht (ihre Männer und Kinder allerdings auch nicht), denn die Kosten für neuen, tollen Aids-Therapien sind so immens (weit über 1000,- DM pro Monat), daß die entsprechenden Länder sie nicht tragen können. Privat kann nur eine winzige Oberschicht ihre AIdstherapie bezahlen. Die alte ACT-UP-Forderung an die Pharmaindustrie, endlich die Aids-Medikamentenpreise zu senken, wäre also weiterhin ein Thema und eine Forderung, allerdings kümmern sich viele im wesentlichen um die Höhe ihrer individuellen Zuzahlung (neue Rezeptgebühren) und nicht mehr um den Kampf der Erschwinglichkeit der Medikamente für alle Betroffenen. Dies bringt uns zum letzten wichtigen Punkt.
Unter das Stichwort "Antipolitisierung" bzw. "Individualisierung" ließe sich das Problem bringen, das darin besteht, so unser Eindruck, jeder (und auch einige Frauen) sieht zu, wie er seine Kombi-Therapie organisiert bzw. finanziert bekommt, und das Politische dieser Krankheit spielt keine wesentliche Rolle mehr. Vielleicht weil die Kombinationstherapie eine Art Sicherheit vorgaukelt, es könne Aids jetzt ja (wie die meisten anderen Krankheiten) geheilt werden, vielleicht aus anderen Gründen (Gewöhnungseffekt, politischer backlash, d.h. allgemeine Entpolitisierung und Schwächung der Regenbogenkoalitionen, Verschärfung der wirtschaftlichen Bedrohung...) zeigt sich uns die Situation als altbekannt. Sehr viel hat sich nicht verändert, alte Probleme und Konflikte harren ihrer Lösung und werden wieder ignoriert.
Nur bei den Lesben, da hat sich (s. o.) scheint´s eine Menge getan.


Nicole D. Schmidt/ Petra Knust

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