lespress01/98


Lesbische Sekretärinnen beherrschen die Welt


Stephanie Sellier und Anne Tente führten nach Sarah Schulmans Lesung im Rahmen des ersten bundesweiten LesbenLiteraturFestivals am 2. November ein Gespräch mit Sarah Schulman in Köln.

Sarah, du warst eine der Gründerinnen einer politischen Gruppe mit dem Namen "Lesbian Avengers" [ÑLesbische Rächerinnenì]. Gibt es sie noch?

Sarah: Ich habe wirklich keine Ahnung! Als wir anfingen, war es eine winzig kleine Aktion in New York, aber das Ganze nahm bald so gewaltige Ausmaße an, daß es damals an die sechzig Gruppen gab!


Im ganzen Land?

Es gab so viele Gruppen, daß wir komplett die Übersicht verloren! Ich hatte keine Ahnung, wo sie sich im einzelnen befanden; ich wußte überhaupt nichts darüber. Und irgendwann habe ich die "Lesbian Avengers" dann verlassen, denn egal, wo ich mich gerade befand, zum Beispiel auf einer Lesung, sagte mit Sicherheit irgend jemand: "Was hältst du von den Lesbian Avengers?! Ich hasse sie, weil sie das und das getan haben!" Ich dachte mir nur: "Zum Teufel, woher soll ich denn wissen, was da passiert ist!" Also bin ich gegangen. Die New Yorker Gruppe löste sich auf, aber es gibt immer noch diese anderen Gruppen, und ich weiß nie Bescheid, wo es gerade eine gibt. Ich könnte also in irgendeiner x-beliebigen Kleinstadt irgendwo in Amerika sein und aus einem Roman lesen - und plötzlich treten in diesem Kaff die Lesbian Avengers in Erscheinung! Das Ganze ist vollkommen anarchistisch!

Wolltest du mit den Lesbian Avengers speziell lesbische oder feministische Forderungen vertreten, im Gegensatz zu deinen schwullesbischen Aktivitäten bei Act Up?

Das geschah später; die Lesbian Avengers wurden schon 1992 gegründet. Und sie hatten für zwei Jahre diese absolut unglaubliche Kraft - eine gewaltige, unglaubliche Angelegenheit. Und dann [haut mit der flachen Hand auf den Tisch] starb die Gruppe. Es machte "Boooom" [haut wieder auf den Tisch] - und sie starb. Es war eine total anarchistische Sache!

Welche Idee stand hinter der Gründung der Lesbian Avengers?

Wir haben mit fünf Leuten angefangen, die alle politisch sehr erfahren waren.

Eine von ihnen war Maxine Wolfe?

Ja, Maxine Wolfe war meine Mentorin. Ansonsten ich, zwei irische Frauen, die in der Irisch-Republikanischen Bewegung gewesen waren, und eine Frau, die sich an der kubanischen Revolution beteiligt hatte, also wirklich eindrucksvolle Menschen. Wir haben uns deshalb zusammengetan, weil wir sahen, daß in der US-amerikanischen gemischten, schwullesbischen Bewegung junge Frauen nicht für schwullesbischen Aktivismus trainiert wurden. Die Frauen, die damals Führungspositionen in der schwullesbischen Bewegung einnahmen, waren durch den Feminismus trainiert worden, aber die gemischte, schwullesbische Bewegung selbst schulte zu der Zeit keine Frauen in Führungsqualitäten.

Ich glaube, das ist häufig so in den USA: Die Avantgarde beginnt in New York oder San Francisco, und nachdem sie ihre Aufgabe für das Land erfüllt hat, löst sie sich auf, wie zum Beispiel auch bei dieser New Yorker SM-Gruppe, der Lesbian Sex Mafia.

Die Top 10 der Avenger-Tugenden


(in absteigender Reihenfolge)

[Top 10 avenger qualities]

[in descending order]

Mitgefühl
[compassion]
Leiten
[leadership]
kein überzogenes Selbstwertgefühl
[no big ego]
Informiertheit
[informed]
Furchtlosigkeit
[fearlessness]
rechtschaffener Zorn
[righteous anger]
Kampfgeis t
[fighting spirit]
keine Prüderie
[pro sex]
muß gut tanzen können
[good dancer]
Zugang zu Hilfsmitteln (Fotokopierer)
[access to resources (xerox machine)]


Das stimmt. Ganz wichtig ist auch: Wir hatten ein System, von dem wir fünf Frauen uns das meiste ausgedacht haben, und es war wirklich durchschlagend! Ich habe darüber in einem Buch geschrieben, das nicht ins Deutsche übersetzt ist. Aber ich werde euch einige dieser Ideen aus diesem System erzählen, weil es wirklich gut funktioniert hat. Eine davon ist: Wenn du eine Idee hast, mußt du sie umsetzen. Du kannst nicht sagen: "Oh, irgend jemand anders sollte das tun ..." oder so. Wenn du sie also nicht ausführst, kannst du sie auch nicht vorschlagen; wenn du sie vorschlägst, mußt du sie umsetzen. Die zweite Idee ist: Wenn du mit einem Vorschlag nicht übereinstimmst, mußt du eine bessere Idee in die Runde einbringen. Du kannst sie nicht einfach ablehnen. Und der Grund, warum wir diese beiden Ideen eingeführt haben, liegt in der lesbischen Psychologie ...

Das Jammern?

Eher darin, keine Macht zu haben. Frauen haben keine Macht. Daher sind sie davon überzeugt, daß die einzige Macht, die ihnen zur Verfügung steht, darin liegt, nein zu sagen. Und wir wollten den Frauen zeigen, daß sie die Macht haben, eine Idee zu schaffen. Daher stellten wir diese Regeln auf. Die dritte Regel hieß: Nur Taten, keine Theorien. Theoretisieren war ganz und gar verboten; nur das Diskutieren von Aktionen war erlaubt. Diese drei Regeln funktionierten unglaublich gut. Wenn wir uns an diese Regeln halten, klappt alles. Wenn wir uns nicht daran halten, geht alles schief. ...


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