Es weihnachtet sehr ñ Zweifelhafte Fluchtwege aus dem Weihnachtsspektakulum  
  Wem angesichts des nahenden Weihnachtsfestes weder der Gedanke an kriegerische Familienfiaskos noch das gebetsmühlenartig vorgetragene Lamento über den blasphemischen Konsumterror eine konfettiwerfende Libido hervorzaubert, der kommt dieser Tage auf der Suche nach erträglichen Alternativen zum Glitter-Glühwein-Brimborium arg ins Schwitzen.

Die Industrie, die ja angeblich zum göttlichen Birthday-Event so einfallsreich ist wie nie um auch noch dem letzten lobotomisierten Lebkuchenfresser das Geld aus der Tasche zu ziehen, lässt es entgegen aller Klischees an Kreativität doch tüchtig fehlen. Nicht wenige der Weihnachtsspecials, die einem besoffene Großtanten und vertrocknet-faseriges Gänsefleisch ersparen sollen, sind in punkto Unterhaltungswert noch weit unter dem Suizid anzusiedeln, was, wie Sie sicher eingestehen werden, nicht unbedingt für die Geschäftstüchtigkeit der Anbieter steht.
So finde ich, trist in einem bunten Reisekatalog blätternd während meine Nachbarin schon drohend eine Einkaufstasche voller Christbaumkugeln vor der Tür abstellt, ein schon durch prähistorisch anmutende Ortsnamen absurd erscheinendes Angebot: "Besser als Weihnachten: Blind Date Singlereisen nach Gurgl Zwieselstein!". Wieviele Einwohner hat wohl Gurgl Zwieselstein? Und wie viele davon sind keine Kühe? Und wer ausser Gurgl Zwieselsteinern sollte wohl Lust verspüren, nach Gurgl Zwieselstein zu fahren? Da mir gerade das nötige Kleingeld fehlt, um meine Weihnachtsabsenz ñdas kubanische Regime mit meinen hart verdienten Euros fütternd- unter Palmen zu verbringen, und mich blinde Verabredungen mit Alm Öhis selbst unter Anwendung aller auf dem deutschen Markt zugelassenen Psychopharmaka nur mäßig zu begeistern vermögen, blättere ich eifrig weiter.
Schon stoße ich auf ein Paradies für Hypochonder: "Weihnachten in der Ostseeklinik! Kosmetikbehandlung aus den Tiefen des Meeres!". Mal ganz unschuldig gefragt: Wie beeindruckt sind ihre hippen aufstrebenden Jungunternehmerfreundinnen eigentlich, wenn Sie in einer durchgestylten Cocktail-Lounge Fotos von Ihrem Weihnachtsfest im Klinikum herumreichen, auf denen fallsüchtige Omas durch ein zwinglianisch anmutendes Weihnachtsdekor stolpern? Wer sich ins gesellschaftliche Aus katapultieren möchte, ohne in der Straßenbahn Behinderte von den Sitzen zu rempeln oder beim Vornamenrezitieren aller Fame Academy Absolventen zu versagen, der kann hier beherzt zugreifen und sich passend zum verheißenen Kosmetikwunder aus den Tiefen des Ostsee-Idylls ja schon mal einen Mühlstein besorgen.
Letzteren braucht man nicht, wenn man schon so weit in die Tiefen des Masochismus vorgestoßen ist, dass einem Selbstkasteiungen jeglicher Art nur noch ein seliges Lächeln auf die Visage zaubern. Dann kann man, wie mein Reisekatalog mir verheißt, den inzwischen von der SPD ordentlich abgespeckten kapitalistischen Völlerei-Riten entgehen und ganz auf Askese machen: "Schrothkur in Oberstaufen! So haben Sie noch nie Weihnachten gefeiert!". Falls Sie nicht wissen, was das ist: Bei einer Schrothkur ist es Ihnen erlaubt alles zu essen, was nachweislich vegetarisch ist, kein Fett, kein Salz und kein Eiweiß enthält.
Sollten Sie zufällig Hobbyastronomin sein, werden Sie sich jetzt sicher fragen, wo in unserer Galaxie es etwas Essbares geben soll, das sich nicht in irgendeiner Form einer Eiweissverbindung verdankt. Ihr Grübeln ist berechtigt, denn das gibt es in der Tat nicht. Essen? Fehlanzeige! Spielen Sie doch mal David Blaine, nur ohne Kubus, ohne Groupies und obendrauf auch noch ohne dafür bezahlt zu werden!
Nachdem ich nun also durch das fruchtlose Abgrasen touristischer Weihnachtsvermeidungsstrategien vollends der Depressivität anheimgefallen bin, fragt es in mir schon wieder mit rachsüchtiger Verbohrtheit, wem wir das ganze Christkindldrama eigentlich zu verdanken haben. Als wäre ich dabei gewesen, fällt es mir plötzlich wieder ein: Mailand, 313 n. Chr., ein schwarzes Jahr. Kaiser Konstantin, die alte Wanze, hatte vor lauter Langeweile nichts Besseres zu tun als Jesus per Edikt zum Sohn Gottes zu erklären, womit er an der Misere vor der ich alljährlich stehe, wohl nicht ganz unschuldig sein dürfte.
Damals machten Dezemberfeten ja auch noch Sinn. Der Mob war partygeil, überall hüpften luftig bedeckte und possierlich bemalte Halbzivilisierte rum und huldigten ihren Göttern. Mithraskult ohne Frauen, Saturnalien mit Frauen und germanisches Julfest auf Frauen ñ an allen Ecken kumulierte zum Jahresende die Lebensfreude, die zur Not auch mal dem nicht so enthusiastisch frömmelnden Mitläufer mit dem Knüppel nähergebracht wurde.
Wenn ich mir so die opulenten Fressfeste der Römer betrachte oder die bierseligen Kopulationsorgien der Germanenfraktion, dann muss ich ja wieder mal bitter bilanzieren, dass die Christen arg auf die Spaßbremse getreten haben. Selbst heutztage, da die buckelnde Huldigungsgeste in Richtung Krippe dankenswerterweise allmählich aus dem deutschen Weihnachtsspektakulum verschwindet, will so recht keine Freude aufkommen. Noch in säkularisierter Form mit blinkenden Plastikbäumen, Santa Claus, Instant-Gänsen und Punschgallonen ist Weihnachten so nachhaltig von den Christenhorden vergiftet, dass man aus dieser Party einfach nix mehr rausholen kann.
Das hoppenstedtsche "Früher war mehr Lametta!" affirmiert da im Grunde punktgenau, was die Leute schon kurz nach dem Toleranzedikt ihres dementen Kaisers auf den Straßen tuschelten: "Früher war alles besser!" Ja. Früher gabís ja auch noch ínen Mithras.


Obsidia
 
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