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Die reiche US-amerikanische
Malerin Romaine Brooks verbrachte den Großteil ihres 96jährigen Lebens
in Europa und ebenso in Beziehung mit der selbsterkorenen "neuen Sappho"
Natalie Clifford Barney. Deren berühmter Pariser Salon verschaffte Romaine Brooks
exklusive Modelle für ihre Portraitmalerei ñ und den Lesben von heute einzigartige,
ins Bild gesetzte Zeugnisse des "lesbischen Blicks".
Als drittes Kind der wohlhabenden Familie Goddard kam Beatrice Romaine am 1. Mai
1874 in Rom zur Welt. Die Niederkunft überraschte die Mutter, Ella Mary Waterman,
auf einem ihrer unzähligen Europatripps, für die ihr Ehemann Major Henry
Goddard bereitwillig die Kosten übernahm, obwohl die Ehe nur noch auf dem Papier
bestand.
Nach der Rückkehr in die USA und in die Heimatstadt Philadelphia begann für
Beatrice eine Kindheit, die sie später als "mid-Victorian gothic nightmare"
beschrieb: Die Mutter zeigte sich desinteressiert an dem jüngsten Spross und
überließ ihr schon als jungem Mädchen die Aufsicht über den
um Jahre älteren, geistig behinderten Bruder St. Mar. 1886, Beatrice war zwölf,
begann für sie die standesgemäße Erziehung für die ihr zugedachte
Rolle einer zukünftigen Ehefrau: Ihr Großvater sandte sie nach Europa,
wo sie verschiedenste Internaten durchlief. Nach dem Abschluss, ergo "fit"
für die Ehe, emanzipierte Beatrice sich jedoch von der Familie und erstritt
sich mit anwaltlicher Hilfe eine schmale Apanage, um endlich ihr eigens Leben zu
leben: Sie blieb in Europa, weit weg von Großvater und Mutter, und begann 1896
in Paris klassischen Gesang zu studieren. Zwei Jahre brauchte sie, um zu erkennen,
dass eine andere Kunst ihre wahre Berufung war: die Malerei, mittels der sie sich
schon als Kind manch dunkle Stunde aufgehellt hatte. In Rom nahm sie ein kostenloses
Tagesstudium an der Scuola Nazionale auf, während sie in den Abendstunden Zusatzkurze
am ehrwürdigen Circolo Artistico besuchte.
Als 1902 ihre Mutter überraschend verstarb, erbte sie das gesamte Familienvermögen
und profitierte davon gleich in doppelter Hinsicht: Beatrice hatte nun die finanziellen
Mittel, um als unabhängige Künstlerin ungehindert von Verkaufserfolgen
arbeiten zu können und sich über eine "Lavendelehe" in die höhere
Gesellschaft "einzukaufen". Sie heiratete den hoch angesehenen, aber mittellosen
schwulen Pianisten John Ellingham Brooks, der unter anderem mit W. Somerset Maugham
liiert war. Das Schein-Ehepaar ließ sich in London nieder, wo sich Beatrice
nun in einer Art Metamorphose ihres für sie allzu weiblichen Vornamens entledigte,
um fortan unter dem androgyneren Namen Romaine Brooks den Spuren ihres Nachbarn und
künstlerischen Vorbilds James McNeill Whistler zu folgen.
Allerdings sollte es noch einige Jahre dauern, bis sie bereit war für eine erste
Ausstellung: 1905 zog es die Malerin nach Paris, wo sie sich am berühmten "linke
Seine-Ufer" eine Wohnung nahm und in die dort ansässige mondäne Welt
des Intellektuellen, Künstlerischen und gleichwohl Gleichgeschlechtlichen eintauchte.
Hier fand sie die Modelle für ihre Portrait- und Aktmalerei, die ihr die Gelegenheit
gaben, wohl erstmals in der Geschichte der Kunst den "lesbischen Blick"
und eine lesbische Ästhetik auf Leinwand zu bannen. Mit einem dieser Modelle,
der russischen Tänzerin Ida Rubinstein, die vor allem durch das avantgardistische
und skandalumwitterte "Ballets Russes" in Westeuropa bekannt geworden war,
ging Romaine nun auch eine mehr als dreijährige Beziehung ein.
Ihre ersten Ausstellungen in Paris und London ab dem Jahr 1910 verschafften ihr eine
Reputation als hervorragende Portraitistin, die sowohl von wohlhabenden ZeitgenossInnen
als auch von ihrem prominenten Bekanntenkreis gerne beauftragt wurde: Die "Seelendiebin",
wie sie aufgrund ihres enormen Einfühlungs- und Enthüllungsvermögens
betitelt wurde, malte unter anderem Jean Cocteau und Gabriele D'Annunzio. Mit dem
nationalkonservativen italienischen Dichter, Volkshelden und pro-faschistischem Denker
verband die im Alter immer konservativer denkende Brooks eine lebenslange Freundschaft.
Erst
im Alter von 41, im Jahr 1915, traf sie auf die Frau, die bald zur wichtigsten Person
ihres Lebens werden sollte: Natalie Clifford Barney gleichfalls Amerikanerin, gleichfalls
reich, gleichfalls seit Jahren in Europa pflegte in ihrer Pariser Wohnung einen berühmt-berüchtigten
Salon, "auf den Spuren Sapphos". Die schriftstellernde Barney hatte durch
ihre offenen, lesbischen Beziehungen einen schon fast legendären Ruf. Aus der
ganzen Welt pilgerten gleichgeschlechtlich liebende Frauen der gehobeneren Schicht
zu ihrem freitäglichen Treff. Fast 50 Jahre lang würden Brooks und Barney
ein Liebespaar sein, jedoch nicht monogam.
Innerhalb des Salons von Barney fand Romaine Brooks erneut exklusive Modelle für
ihre Kunst: Hatte sie mit "L'Amazone" (1915) ihrer Geliebten Barney ein
eindeutiges Bilddenkmal als weiblichem Krieger gesetzt, so schuf sie 1923 mit ihrem
"Self-Portrait", einer Eigendarstellung als aristokratischem Dandy, und
dem Portrait von Lady Una Troubridge erneut außergewöhnliche Darstellungen
lesbischer Frauen. "Una, Lady Troubridge" hatte für ihre Geliebte
Radclyffe Hall (Autorin von "Quell der Einsamkeit") erst kürzlich
unter öffentlichem Aufsehen ihren Mann verlassen, und zeigte sich nun in unzweideutiger
Pose mit kurzgeschnittenem Haar und Monokel.
1925 befand sich Brooks auf dem Zenith ihrer Karriere: Nicht weniger als drei Ausstellungen
(in Paris, London und New York) zeigten in diesem Jahr ihre Gemälde und feierten
sie aufgrund ihrer dunklen Farbvorliebe als "Meisterin des Grau". Damit
schloss sich jedoch für sie das Kapitel der Portraitmalerei: Zeichnungen und
Buchillustrationen wurden ihr neues Genre. Vor allem Anfang der 30er Jahre, geplagt
von heftigen Depressionen, versuchte sich Brooks an einer Aufarbeitung ihrer Kindheitserinnerungen
in mehr als 100 Bleistift- und Tuschenzeichnungen. Auch ein zweijähriger Aufenthalt
in dem ihr fremden Heimatland USA gehörte zu dieser Art von Eigentherapie ...
nicht ohne dass sie sich dabei gleichfalls eine Pause von Barney nahm, deren Umtriebigkeit
sowohl in sexueller als auch sozialer Hinsicht Brooks zunehmend störte. Nichtsdestotrotz
kehrte Romaine zu Beginn des Zeiten Weltkrieges nach Frankreich zurück. Als
jedoch 1940 das gemeinsame Haus in Südfrankreich abbrannte und Hitlers Wehrmacht
einen Großteil des Landes besetzt hatte, brach das Liebespaar seine Zelte ab
und wählte das faschistische Italien, quasi als Exilort des "kleineren
Übels".
Nach Kriegsende zog sich Brooks in die Isolation zurück. Sie blieb ohne Barney,
aber noch immer mit ihr verbändelt alleine in Italien und erwarb in Fiesole
bei Florenz eine kleine Villa, in der sie bis 1967 leben sollte, bevor sie ihren
Wohnsitz ins südfranzösische Nizza verlegte. Die nun fast 50 Jahre andauernde
Liebesbeziehung zerbrach tatsächlich erst im Jahr 1969, als Barney ihrer langjährigen
Partnerin eine mehr als 7jährige Affäre beichtete. Diese hatte nun endgültig
genug von den dauernden Verletzungen und der Eifersucht, die sie plagte, und stellte
unwiderruflich die Kommunikation mit Natalie ein. Als Romaine Brooks ein Jahr später,
am 7. Dezember 1970 im Alter von 96 Jahren verstarb, hatte sie aufgrund ihrer aggressiven
Exzentrik keinerlei sozialen Kontakte mehr. Natalie Barney überlebte ihre Ex-Geliebte
um genau zwei Jahre.
Der Großteil der Gemälde von Romaine Brooks hängt heute im National
Museum of American Art in Washington D.C. Im Jahr 2000/01 war eine große Ausstellung
ihres künstlerischen Werks in Washington zu sehen, die erstmals ihre lesbische
Lebensweise im Spiegel ihrer Kunst thematisierte.
Sabine König/Anne-K. Jung
Bildband:
Whitney Chatwick/Joe Lucchesi (Hg.): Amazons in the Drawing Room: The Art of Romaine
Brooks, University of California Press 2000, 124 S. |
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