Barbara Wilson  
  Barbara Wilson gehörte viele Jahre lang zur Speerspitze der lesbischen Krimiautorinnen. Mit ihren beiden Reihen um die Detektivinnen Pam Nilsen auf der einen und Cassandra Reilly auf der anderen Seite lieferte sie nie nur Standardware ab. Die Pam-Nilsen-Bücher griffen immer brisante und umstrittene Themen auf, als eine der ersten verknüpfte Wilson damit politische Themen mit Krimihandlungen. In "Der Porno-Kongress" ging es zum Beispiel um die lesbische SM-Szene, in "Schwestern der Straße" um minderjährige Prostituierte.
Aber die Autorin schrieb auch locker-lustige Krimis: Übersetzerin und Hobby-Detektivin Cassandra Reilly war in ganz Europa unterwegs und löste in jedem Buch einen Fall in einer anderen Stadt. Ihre turbulenten Abenteuer waren dennoch nicht oberflächlich-harmlos: In "Ein Nachmittag mit Gaudi" griff Wilson sehr früh das Transgender-Thema auf.
Darüber hinaus hat Barbara Wilson auch tiefsinnig-politische Romane geschrieben: So erzählt "Unbescheidene Frauen" vom Schicksal mehrerer Frauen, die um ihre Autonomie ringen. In "Äpfel und Apfelsinen" geht es um die schmerzvolle Loslösung aus einer langjährigen Beziehung.
In den letzten Jahren wurde es stiller um ! Für Aufsehen sorgte beim letzten "Verzaubert-Filmfest" die Verfilmung des Buchs "Ein Nachmittag mit Gaudi" . Untätig ist die umtriebige Autorin auch sonst nicht gewesen. Im Lespress-Gespräch erzählt sie, was sie beschäftigt und woran sie arbeitet.


? Seit der Veröffentlichung Deines letzten Romans in Deutschland sind ein Jahre vergangen. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Barbara ! 1997 habe ich in den USA die Erinnerungen an meine Kindheit veröffentlicht, "Blue Windows". Seitdem habe ich eher Geschichten und Essays geschrieben, die keine "Fiction" sind. Die Essays sind in Anthologien und literarischen Zeitschriften erschienen, wurden aber noch nicht in einem Buch gesammelt.

? Arbeitest Du gerade an einem neuen Buch?

! Ich habe gerade ein Buch abgeschlossen, das halb Reiseerzählung und halb biografisch ist. Es spielt während einer Seereise auf dem Nordatlantik. Meine Großeltern waren schwedisch und irisch und ich spreche norwegisch. So bin ich vier Monate herumgereist und habe Material über Frauen auf See gesammelt. Das hat mein Interesse für das Thema Frauen und See geweckt. Jetzt stelle ich gerade zwei Kollektionen zusammen, eine mit historischen, eine mit zeitgenössischen Geschichten von seefahrenden Frauen.

? Schreibst Du denn gar keine Belletristik mehr?

! Mich interessiert Fiction heute weniger als früher. Damals habe ich die Möglichkeit geliebt, viele verschiedene Standpunkte und Stimmen in einem Roman aufzeigen und damit politische und soziale Ideen ausdrücken zu können. Aber jetzt habe ich angefangen, mit meiner eigenen Stimme zu sprechen und gemerkt, dass mir das große Befriedigung gibt. Und obwohl ich früher als lesbische Autorin sehr bekannt war, kennt man mich jetzt auch für meine Essays und meine Memoiren.

? Ich weiß, dass Du genauso gerne reist wie Deine Romanheldin Cassandra Reilly.

! Ich habe Reisen immer geliebt und träume eigentlich dauernd davon ó obwohl ich mein Haus, meine FreundInnen und Seattle liebe und immer Heimweh habe, wenn ich weg bin.

? Welche Orte auf der Welt magst Du am liebsten?

! Zur Zeit interessiere ich mich sehr für die kalten Plätze auf der Erde. Ich habe letzten Winter drei Monaten in Schweden, Finnland und Norwegen verbracht. Ich war früher sehr an Städten interessiert, und ich kenne alle Städte in Europa ziemlich gut. Heutzutage mag ich anscheinend mehr den offenen Raum. Ich bin im Westen der USA, in Kalifornien, aufgewachsen und habe jahrelang am Pazifik im Nordwesten gewohnt. Ich wandere dort gern durch den Regenwald und träume von einem langen Kajak-Abteuer in Alaska. Außerdem würde ich gerne eine Rafting-Tour auf dem Colorado-Fluss machen, um das Cap Horn herumreisen und Neuseeland, China und Afrika besuchen...

? Was hälst Du von der Verfilmung Deines Buchs "Gaudi Afternoon"? Die Figuren wurden ja doch sehr verändert im Vergleich zum Buch.

! Ich hatte Spaß am Film "Gaudi Afternoon". Natürlich war das nicht mehr länger mein Roman, aber ich bin verblüfft, dass der Film überhaupt gedreht wurde, wenn man bedenkt, wie schwierig so etwas ist. Es war lustig, die Dreharbeiten in Barcelona zu sehen und Judy Davis und Marcia Gay Harden zu treffen. Judy Davis ist sehr radikal und sie war sehr beeindruckt, dass ich während feministischer Demonstrationen Tränengas abgekriegt hatte. Es gab also eine Verbindung zwischen uns! Ich war auch fasziniert, dass ich Susan Seidelman beim Regieführen zusehen konnte. Ich habe früh gemerkt, dass sie das Projekt völlig anders gesehen hat als ich in meinem Buch geschrieben habe.

? Weil sie die lesbische Hauptfigur verändert hat?

Wislon: Als Hetero-Frau war sie mehr an der Mutter-Tochter-Familien-Geschichte interessiert und hat das herausgestellt. Man hat ihr und Drehbuchautor James Myhre so oft gesagt, dass ein Film mit einer lesbischen Hauptfigur nie verwirklicht werden könnte ó bis sie es geglaubt und die Cassandra-Figur verändert haben. Ironischerweise waren lesbische und schwule HauptdarstellerInnen viel akzeptierter, als der Film dann herauskam ó und er wurde ein Hit bei den Queer-Film-Festivals. Die Community mochte ihn sehr ó was für ein Jammer, dass er nicht so queer wie der Roman sein konnte!

? Du hast ja 1974 den feministischen Verlag Seal Press mitbegründet. Warum hast Du ihn verlassen?

! Ich habe Seal Press 1996 verlassen, um mich mehr meinem eigenen Schreiben widmen zu können. Seit Seal an Avalon verkauft wurde, habe ich mitgeholfen, das Archivmaterial zu organisieren, es geht an eine College-Bibliothek. Das war für mich wie ein Rückblick auf die Wichtigkeit der feministischen Presse-Bewegung ó und auf all die Veränderungen, die es beim Herausgeben und im Druck in den letzten 25 Jahren gegeben hat. Die andere Gründerin Rachel da Silva und ich sind immer noch gute Freundinnen ó sie ist heute als Anwältin tätig. Eine unser Autorinnen, Ginny NiCarthy, die wichtige Arbeit zum Thema häusliche Gewalt geleistet hat, ist gerade als Teil einer Friedensgruppe in den Irak abgereist ó sie ist 75! Die ganzen Kontakte und die politische Energie sind also immer noch da.

? Du hast vor 20 Jahren begonnen, lesbische Romane zu schreiben. Hat sich seitdem Deiner Meinung nach vieles zum Besseren gewendet?

! Als ich angefangen habe, offen als Lesbe über lesbische Themen zu schreiben, habe ich mich wie in einem Grenzgebiet gefühlt. Ich denke, das tue ich immer noch, obwohl 20 Jahre eine Menge Veränderungen in der Gesellschaft gebracht haben. Und alles zum besseren, bezogen auf die Sichtbarkeit von Schwulen und Lesben. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass sich noch mehr verändert hätte. Es gibt immer noch kein großes Publikum für lesbische Literatur, in der Lesbischsein wirklich im Mittelpunkt steht. Keine offen lesbische Autorin kann so viel Anerkennung und Geld bekommen, wie sie verdient. Die meisten können nicht mal davon leben. Eine Menge der lesbischen Literatur aus den 80ern und frühen 90ern ist heute nicht mehr erhältlich.

? Aber global gesehen hat sich ja doch einiges getan, oder?

! Was Lesben auf der ganzen Welt betrifft ó nun, das ist schwer zu sagen. Ich möchte gerne glauben, dass alles ein bisschen einfacher ist, vor allem wegen des Internets. Ich bin sicher, einige der Frauen an den Computern, die man auf Fotos aus dem Iran sieht, erforschen eigentlich ihre Sexualität!


? Was machst Du, wenn Du keine Bücher schreibst oder reist?

! Meine Hobbies werden Dich sicher überraschen! Ich bin eine begeisterte Gärtnerin, ich male und zeichne, ich lerne eine Menge über Botanik ó und wenn ich reise, versuche ich Wildblumen und Pflanzen zu identifizieren. Da ich ein Haus habe, weiß ich auch eine Menge über das Bauen und Werken. Ich lese gerne, Natalie Ginsburg, Colette, Willa Cather, Thoreau sind einige meiner Favoriten. Bei den lesbischen Autorinnen mag ich Judith Barrington, Lucy Jane Bledsoe... Und ich bewundere Jane Rule ganz schrecklich, für ihr Leben und ihre Arbeit.

? Deine Cassandra-Reilly-Bücher sind nicht nur spannend, sondern auch sehr witzig. Bist Du selbst eine humorvolle Person?

! Ja, ich werde für eine lustige Person gehalten, aber im Cassandra Reilly-Sinn: Ernsthaft, sogar melancholisch. Das muss meine irische Seite sein!

Claudia Frickel



Bibliographie der deutschen Bücher (alle bei ariadne/Argument erschienen):

Pam Nilsen: Mord im Kollektiv
Der Porno-Kongress
Schwestern der Straße

Cassandra Reilly:
Ein Nachmittag mit Gaudi
Trubel in Transylvannien
Ein Abend mit Vivaldi
Belladonna ó Neun Reisen mit Cassandra


Romane: Äpfel und Apfelsinen
Träum ich von Familie
Unbescheidene Frauen
 
  zurueck zum Inhalt  

www.lespress.de
© 2002: lespress-Verlag, Dyroffstr. 12, 53113 Bonn