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Weihnachten ist
eines dieser Feste, an dem sich die Geister scheiden.Die einen sind völlig versessen
darauf, rasten beim geringsten Anflug von Lebkuchenduft und Glühweinorgien aus,
und die anderen sind derart phobisch, wenn es um das Zelebrieren des Erlösergeburtstages
geht, dass sie spätestens Mitte November auswandern und auch im Januar noch
vergessen, wiederzukehren. Interessant sind diese Metamorphosen, die Menschen angesichts
des Weihnachtsterrors durchleben, allemal. In den Unimensen kann man symptomatischen
Dezembergesprächen lauschen. Der traurige Konsens kündet zumeist von Therapien,
die oft zeitaufwendiger sind als das Absolvieren sämtlicher Vorlesungen des
bibeldicken Studienverzeichnisses, und die Stundenzahl der trendsetzenden Gesprächstherapien
verdoppelt sich tendentiell, je näher das Weihnachtsfest rückt. Viel hat
die Weihnachtszeit ja auch nicht zu bieten: In der katholischen Kirche, die neben
den Sado-Maso-Clubs die einzige noch bestehende Bastion für Anhänger von
Ritualen darstellt, wird ein bisschen geräuchert, bereut und gesungen, und wenn
man sich diesen traurigen Abgesang auf den Monotheismus im postmodernen Zeitalter
ersparen will, bleiben einem da noch die okkulten Anflüge, die man im finsteren
Winter so zu erleben pflegt, und von denen sich mittlerweile ganze Firmen unterhalten,
insbesondere zu Weihnachten und im Internet. Da man sich im Computerzeitalter ja
nicht mehr in die versifften Etablissements der Seher, Spiritisten und Geisterbeschwörer
bequemt, sondern alles vertrauensvoll einem Gerät anvertraut, das permanent
an Windows-Anwendungen zu verenden droht (wie wäre es mit einer Christmas-Edition?),
passen die Online-Erlösungsangebote nahtlos in die neue High-Tech-Esoterik.
Im Internet werden per Online-Ouija Tote befragt, Homepages erstellen gegen Gebühr
Tageshoroskope, und im Eso-Chat werden einem zukünftige Partner zugeteilt und
manchmal kann man sich sogar von einem Programm erzählen lassen, wie man sein
kommendes Weihnachtsfest gestalten muss, damit das nächste Jahr Glück und
Erfolg bietet. Ganz schön praktisch, das. Irgendwie ist das Weihnachtsfest uns
sympathischer gemacht worden, seit Ally McBeal zwölf Weihnachtsfolgen pro Jahr
dreht. Ohne Rücksicht auf Hochsommer, globale Erwärmung und Tagespolitik
wird uns eine Santa-Claus-Folge nach der anderen serviert, bis man gar nicht mehr
weiß, ob gerade Sommer oder Winter ist. Ally erfreut sich mindestens so ambivalenter
Beliebtheit wie dieses Fest; die einen halten sie für eine froschäugiges,
hochneurotisches Opfer der Sexdeprivation, die anderen glauben sie sei der Messias
persönlich, der endlich einmal all die Heucheleien unserer Gesellschaft aufdeckt
und dabei auch noch so unschuldig gucken kann, dass das Jesuskind ein Dreck dagegen
ist. In diesem Sinne wünsche ich allen zur Zwangsjungfräulichkeit verdammten
Mittzwanzigerinnen einen besinnlichen Ally-Marathon, und allen anderen eine frohe
Weihnacht. Und vergessen Sie nicht, im Januar wiederzukommen.
obsidia |
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