Die Dildo-Dealerin

 
     
  Sie tanzt in kreativen Gassen: die Berliner Sexpertin und Linguistin Laura Méritt

"Machen die Männer Angela Merkel kaputt?" sorgt sich die Bild-Zeitung, Minuten nach dem Kaffee mit Laura Méritt bei Sexclusivitäten, ihrem "Spielzeugladen" über den Dächern von Berlin-Kreuzberg. "Unfug", schimpft es in mir, "Angela, lass’ dich mal ordentlich von der Laura beraten."
Durch die Tür mit aufgedrückten Lippenstiftküssen geht es mitten rein in "privat" und "beruflich" der 41-Jährigen. Freitags sammeln sich Frauen zum Damensalon, stapfen zielstrebig ins Spielzeugareal oder wagen sich zunächst nur ins Wohnzimmer. Sie können sich gut aufgehoben fühlen, Méritt findet über der Espressomaschine für ihre Besucherinnen die richtigen Worte. "Ich teile meinen Raum gerne", sagt die Frau, die Sexartikel in Deutschland einführte. Ihre scheuen Pappenheimer tauen bei Kaffee mit Zimt auf, die Resoluteren diskutieren über die Beschaffenheit von Toys oder schauen sich erotische Lehrvideos an - im fremden Wohnzimmer.

Laura Mˇritt, Photo: Barbara DietlIhre Gastfreundschaft hat sich Laura Méritt aus Kindertagen bewahrt, aus dem großen Landhaus der Familie, inklusiv Post, Schützenverein, Theatersaal und Kneipe. Im rollbaren Laufstall ging es vorbei an den Gästen, so ganz ohne Geschlechterschranken. "Die kamen erst, als die Brüste wuchsen", erinnert sie sich an das bunte Treiben. Und lacht, wie so oft.

Im erzkatholischen Trier verknüpfte sie Studium und Trotzkistinnen-Dasein, organisierte Fahrten zu Abtreibungskliniken in der Eifel - in den Siebzigern, als die Öffentlichkeit noch mit dem "Bekenntnis" von 25 Frauen auf dem Stern-Cover haderte, und auf Abtreibung Gefängnis bis zu fünf Jahren stand. Unter Méritts Initiative entstanden die Trierer Grünen: "Erst war ich zuständig für das Ressort Müll, dann für Frauen." Als es ihr an der weinseligen Mosel zu eng wurde, machte sie sich über die Zwischenstation Frankfurt auf ins weite Berlin, dem Experimentierfeld erster Güte. In den sexuellen Aufbruchzeiten wurde Méritt zur selbsternannten "Dildo-Dealerin", allen Widerständen zum Trotz. Auch von Beate Uhses Prognose, für Frauentoys gebe es keinen Bedarf, ließ sie sich nicht schrecken. Mit dem Köfferchen voller Spielzeug tourte sie über Fuckerware-Partys, als die "Penetrationsdebatte" unter Frauen tobte, "Mösenguckgruppen" tagten und Kerzenständer als "phallisch" abgetan wurden. Für den Einfluss der Frauenbewegung auf Sexualität legt sie die Hand ins Feuer, schwärmt von den "Farben und Formen", mit denen Frauen die ersten Silikondildos fortentwickelten, und abseits der "Schwanzfixierung" Delphine und die legendäre "Schwimmerin" entstanden. Nicht selten prangte "Ausverkauft!" an der Wohnungstür, hinter der sie in den siebziger Jahren ihren Krämerladen präsentierte. In Bremen habe sie auf der Theke des winzigen schwul-lesbischen Zentrums Rat und Tat geturnt, während die Neugierigen draußen an der Scheibe klebten.

Auch nach jahrelanger Aufklärungsarbeit beantwortet sie geduldig Fragen zur Sexualität: "Auch zum zehntausendsten Mal." Erschreckt sich weiter über die Unwissenheit vieler Frauen über ihren Körper und ihre Bedürfnisse. Der "Maßstab für Sexualität" will sie dennoch nicht sein. Für besonders Wissenshungrige hat sie ihr geballtes Wissen in das Buch "Lauras Spielzeugschatulle" gesteckt, soeben beim Querverlag erschienen und versehen mit Anekdoten und Historie rund um Toys.
Die US-amerikanische Sexologin, der ehemalige Pornostar Dr. Annie Sprinkle zählt sie zu den Pro-Sex-Feministinnen, und nennt die feministische Linguistin eine "fröhliche Wissenschaftlerin". Mit Lebensnähe: seit ihrer Ankunft in Berlin engagiert sie sich in der Hurenbewegung. Führte Performances auf, schulte sich ("Wo denn?" - "Wie, wo denn? Im Puff."), besuchte Workshops in den USA. Méritts selbstverständlichem Umgang mit der Hurenbewegung entspricht der japanische Ausdruck für Prostitution: "den Frühling verkaufen". Ein "spielerischer Ort" sei die Prostitution, ein "Experimentierfeld". Mit Humor spickte sie ihre Performances vor Huren und anderen Weiblichkeiten in Berlins legendärem lesbischen Club "Lipstick", wo sich bereits in den 70ern der "Lederkerl" in die "Hausfrau" verwandelte, und unter der Kittelschürze wiederum die Boxershorts herauslugte. Jahre vor dem Boom des Spiels mit den Geschlechtern und ihrer Infragestellung. "Oder eine Piroschka schwenkte die rote Fahne", amüsiert sie sich.

Ihr Club Rosa, der lesbische Eskort-Service, besteht seit Mitte der neunziger Jahre. Bei der ersten Präsentation des Clubs auf einer Lesbenwoche sorgte sie für Tumult und Widerstand. Den Vorwürfen von Frauen, männliche Muster in Lesbenkreisen zu kopieren, hält sie jedoch locker stand, spricht von einem "feministischen Projekt". Ins Team schaffen es nur Frauen jenseits der 30, "die ihre Erfahrungen gemacht haben und im Leben stehen." Ein weiteres Projekt hat sie mit Unterstützung der Europäischen Kommission gemeistert: Ihr taufrisches Aufklärungsvideo "Euro-Sex" soll europaweit Huren überlebenswichtige Tipps geben und Stärke vermitteln. In jedem noch so kleinen Detail stecken Hinweise, von der schwarzen Hure einträchtig auf dem Strich neben einheimischen Frauen, der integrierten Junkie-Kollegin, wie frau unauffällig Kondome über die Zunge aufrollt und gutes Geld einfordern soll. Ohne große Worte und in aller Unkompliziertheit.

Von Laura Méritt geführte "Hur-Tours" führen seit 1993 durch Berlins Mitte. Sie zeigt auf Fassaden: "Hier war ein Puff". Schafft Erstaunen ("Hier?"), lässt die Neugierigen üben, Passanten anzuflirten, trällert Lieder aus den zwanziger Jahren, erzählt Anekdoten aus der Hurenszene in der DDR. Wieder einmal baut sie Hemmungen ab.

Neben all dem Engagement für glückliche Sexualität arbeitet Méritt an ihrer Doktorarbeit. Ihr Thema dockt an die Passion an: Körpersprache von Frauen beim Sprechen über Sex. Rund fünfzig mit der Kamera festgehaltene Einzelinterviews analysiert sie, von Frauen, die ihr "an der Käsetheke oder am Postschalter" unterkamen. In ihr steckt die Germanistin. Ihre Lust an Literatur bewies sie etwa beim "Lesbischen Quartett", einer Talkrunde zu Literatur aus lesbischer Feder. "Ich lese alles. Selbst die Bäckerblume", lacht sie. Von der ersten Ausgabe an bestückte sie Lespress in ihren Anfangstagen mit Artikeln. Als Leserin schätzt sie Wortkreativität, regt sich über Sexismus in der Werbung auf: "Das Schicksal von Feministinnen", kommentiert sie ihren Ärger. Und unverdrossen belustigt sie sich auch darüber.

Text: Leonie Wild
Photos: Barbara Dietl

"Lauras Spielzeugschatulle" - Alles über Sextoys", Laura Méritt, Querverlag 2001, 15,50 Euro
Damensalon, freitags von 12 bis 20 Uhr, Fürbringerstr. 2, 10965 Berlin
www.sexclusivitaeten.de
 
   
   
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