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Viel Comedy und Trash dominierte die "Verzaubert"-Festivals der vergangenen
Jahre. Nach dem 11. September und dem allseits proklamierten Ende der Spaßgesellschaft
nimmt auch das Festival Abstand von purer Unterhaltung. Sicher nicht zufällig
finden sich diesmal einige Produktionen darunter, die bereits im Panorama der Berlinale
zum Geheimtipp wurden. Zum Beispiel "Lost And Delirious" von Léa
Pool. Der seit langem in Kanada lebenden Regisseurin, geboren in der Schweiz, gelingt
mehr als einer von hundertfach gesehenen Internatsfilmen. Ihr erster englischsprachiger
Film nach dem Roman "The Wives of Bath" ist ein Drama des Verrats, der
unverzeihlichen Enttäuschung, das zwingend in der Tragödie enden muss.
Es spielt die bald an einen Amoklauf grenzenden Versuche Paulines durch, die Freundin
aufzurütteln und zur früheren Vertrautheit zu bekehren. Léa Pool
ist keine Unbekannte in der Szene: Ihren Durchbruch hatte sie mit der lesbischen
Liebesgeschichte "Anne Trister" (1986). Für "Emporte-moi"
(1998) erhielt sie den Schweizer Filmpreis.
Frau Pool, keine Ihrer lesbischen Heldinnen hat Glück in der Liebe. Warum räumen
Sie ihnen keine Chance ein, wo bleibt der Frohsinn?
Das Scheitern der Liebe ist ein zentrales Thema in allen meinen Filmen. Natürlich
ist Liebe das Schönste und Wunderbarste auf der Welt, aber wir sind nicht auf
sie vorbereitet und können nicht mit ihr umgehen. Wir können das Glück
nur für kurze Zeit genießen, danach folgen unweigerlich Komplikationen:
Jeder bringt Belastungen aus seiner Vergangenheit in die Beziehung, hinzu kommt gesellschaftlicher
Druck in Form von Intoleranz und Gewalt. Das kann ich nicht einfach ausblenden.
Sie üben also vor allem Sozialkritik an der Diskriminierung von Lesben.
Natürlich, aber nicht nur. Unter gesellschaftlichem Druck stehen nicht nur Lesben.
Das Problem haben in bestimmten Kreisen auch junge Männer, die sich in alte
Frauen verlieben. Wie Harald und Maude. Eine solche Konstellation ist nicht weniger
tabu. Ich bin für die Freiheit der Liebe und Toleranz nach allen Seiten.
Demnach wenden Sie sich mit "Lost And Delirious" nicht speziell an ein
lesbisches Publikum?
"Lost And Delirious" ist ein Liebesdrama wie "Romeo und Julia",
- großes Gefühlskino. Wenn der Film viele Lesben anspricht, freue ich
mich, aber ich mache grundsätzlich meine Filme nie für eine bestimmte Klientel.
Ich halte ohnehin nichts davon, die Welt in hetero- und homosexuelle Wesen einzuteilen.
Dieses Schubladendenken prägt leider unsere Gesellschaft. Meine Filme erfüllen
keine Mission. Ich schreibe keine Lehrstücke, um Andere davon zu überzeugen,
dass es schöner oder besser sein könnte, so oder so zu leben. Ich bin halt
nicht dogmatisch.
Könnte es Sie bei Ihrer großen Faszination für Shakespeare nicht
doch reizen, auch einmal eine Komödie zu probieren?
Ich habe größeren Bezug zu Shakespeares ernsten Dramen und den großen
griechischen Tragödien. Pauline ist eine große Heldin wie Antigone. Sie
ist viel stärker als alle anderen Figuren, weil sie für etwas kämpft,
an das sie glaubt. Mir imponiert es weit mehr, wenn jemand für seine Ideale
stirbt, als falsche Kompromisse eingeht. So lebt Victoria nach Paulines Tod zwar
weiter, aber ob sie glücklich sein wird, bleibt die Frage. Der Gedanke an ein
Happy End ist mir fern, und sind wir doch mal ehrlich: In jeder Hollywoodschnulze
empfinden wir es als kitschig.
Und dennoch
suchen Lesben außerhalb der Heterowelt nach Vorbildern für ihre Identität.
In den letzten zehn Jahren haben wir eine Reihe von Produktionen gesehen, in denen
Frauen oder Mädchen allemal gegen viel Widerstand mit ihrem Coming Out fertig
wurden. Denken Sie an "When night is falling", "Two Girls In Love"
oder "Raus aus Amal".
Wenn Patricia Rozema romantische Liebe unter der Zirkuskuppel inszeniert, ist das
ihr gutes Recht. Es ist nur nicht mein Ding. Mich interessieren keine Märchen,
und ich fühle mich moralisch nicht verpflichtet, positive Vorbilder zu schaffen.
Wer viel in seinem eigenen Leben gelitten hat, kann das auch gar nicht. Die Liebe
ist eines der schwersten Dinge im Leben überhaupt. Meine Filme sind sehr autobiografisch,
alles, was ich an großem Leid erfahren habe, spiegelt sich darin. Das ist meine
Überlebensstrategie. Ich erzähle von meiner Kindheit, von der Beziehung
zu meiner Mutter und meinen bitteren Erfahrungen in der Liebe.
Wie Ingmar Bergman, der in "Fanny und Alexander" psychoanalytisch auf
sein Elternhaus blickte. Der Vater bleibt bei Ihnen dagegen stärker im Hintergrund.
Sie konzentrieren sich ganz auf die Beziehung zwischen Mutter und Tochter.
Weil die Beziehung außergewöhnlich ist. Das habe ich aus beiden Perspektiven
erfahren. Mütter und Töchter haben eine starke Bindung, gleichzeitig aber
ein sehr kompliziertes Verhältnis. Von Geburt an fühlt man sich so nah,
doch dann ist das notwendige Abnabeln in der Pubertät für beide Seiten
sehr schwierig und schmerzlich. Das beschreibe ich in "Emporte-moi". Weil
Mütter die wichtigste Bezugspersonen für ihre Töchter sind, ist es
besonders hart, wenn ein Mädchen sie ganz entbehren muss wie Pauline. In "Lost
And Delirious" erklärt insofern die Abwesenheit, das Fehlen der Mutter,
Paulines extremes Verhalten im Moment der Enttäuschung. Von Victoria erhielt
sie quasi die erste und einzige Zuneigung in ihrem Leben. Ohne mütterliche Wärme
ist Paulines Selbstwertgefühl sehr angeknackst. Insofern schockt es sie, als
sich Victoria plötzlich von ihr abwendet. Das bekannte Gefühl, nicht liebenswert
zu sein, stellt sich bei ihr wieder ein. Deshalb schlägt sie wild um sich.
Als Pauline ihre Liebe gesteht, leugnet sie ihre sexuelle Identität. Sie
sagt: "Ich bin nicht lesbisch, ich liebe Tori". Warum?
Sie möchte ihre Liebe nicht definieren. Ihr geht es allein um ihre Gefühle,
nicht um ein ideologisches Bekenntnis. Da steht sie selbstsicher drüber. Letztlich
spielt es doch keine Rolle, auf welches Geschlecht sich das Begehren richtet. Wenn
wir souverän genug sind, lieben wir, wen wir wollen.
Das Gespräch führte Kirsten Liese.
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