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Einen der ungeklärten
Forschungsgegenstände aus der Kategorie Ñsprachliche Degenerationì stellen Schlagwörter
dar, die aus dem Morast fehlgeleiteten Denkens emporsteigen und sich im gesellschaftlichen
Slang festsetzen wie ein reifer Herpes Labialis in den Mundwinkeln eines pubertierenden
Kindes. Jede Generation hat solche. In den 80ern war es Ñgeilì, das verwirrte Mediävisten
und Pädagogen auf den Plan rief, weil sich die Bedeutungshorizonte (in denen
alles von Ñfröhlichì bis Ñmit dicken Eiern gesegnetì enthalten ist) kaum unter
einen Hut bringen ließen. Die Geil-Ära wurde durch die Cool-Ära abgelöst,
in der man versuchte, apokalyptischen gesellschaftlichen Realitäten nicht mit
hysterischem Frohsinn, sondern mit einem Höchstmaß an Lässigkeit
zu begegnen, was gleichermaßen bescheuert aussah und soviel politische Tragweite
hatte wie ein warmes Glas Bier. Inzwischen wird das Wort ÑKultì herbemüht. Wie
kann es aber sein, daß Bubble Gum und Raumpatrouille Orion, Westerwauzi und
Fishermanís Friend Kult sind? Der Sinn dahinter erschließt sich relativ rasch,
schaut man sich die Strategien zur Etablierung eines neues Kultobjekts an: Wenn etwas
so anders ist, daß es den konformen Haufen Gesellschaftsbodensatz verängstigt,
wird schnell das Label ÑKultì aufgeprägt. Dieser Strategie fiel etwa Alice Schwarzer
zum Opfer. In den 70ern gefürchtet und wegen ihrer politischen Scharfsicht bewundert,
ist Schwarzer heute mit dem Stempel ÑKultì mundtot gemacht und schwimmt in einer
Suppe mit Herren wie Stefan Raab. Dabei folgt die Öffentlichkeit der Weisheit
der Agrarvölker, daß ein domestizierter Wolf einem nicht den Stall leerfrißt.
Die Einverleibung funktioniert mit allen: Martin Luther King ist nur noch eine Sequenz
im Dancefloorschinken, Che Guevara eine T-Shirt-Fresse, und Rosa Luxemburg der Beweis
dafür, daß Frauen aufrecht gehen können, wenns denn sein muß.
Ein weiterer Grund für die Etablierung einer Kultperson ist die Beschämung
über deren selbst für unsere entgeistigten Verhältnisse unerträgliche
Konformität. So geschehen mit Verona: Ihre Absenz von abstrakter Denkfähigkeit
empörte selbst die Sonderschulklientel derart, daß man sie zu Kult und
verschlagen intelligent erklären mußte. Eine dritte Praxis der Kult-Industrie
ist die, etwas das Geld macht, zu Kult zu erklären. Das ist die Prämie
des kapitalistischen Marktes. Deswegen schaffen es grottenschlechte Filme wie Independence
Day, Kultstatus zu erlangen. Auf der anderen Seite verfährt die Industrie genauso,
wenn etwas kein Geld macht. Ist ein Film so scheiße, daß er nicht mal
die Produktionskosten einspielt, wird ihm auch Kultstatus verliehen. Spätestens
mit diesem klingelt die Kasse dann rückwirkend, sozusagen von hinten durch die
Brust ins Auge. So geschehen mit Angriff der Killertomaten. Der letzte Grund, etwas
zu Kult zu machen, hat etwas herzerwärmendes: Manche Produkte sind einfach so
gnadenlos scheisse daß weder Akademiker noch Hinterhofprolet weiß was
es damit auf sich hat. In diese Kategorie gehört Stoiber: Keiner weiß
ob er nicht vielleicht doch das tödliche Virus einer extraterrestrischen Population
ist, die uns ganz dringend loswerden möchte oder am Ende nur ein harmloser Spießer
mit eklatanten Wortfindungsstörungen. Aber selbst zum Kult erklärt, reichte
sein Potential nicht ganz zum Kultkanzler. Es gibt eben doch noch einen Rest Verstand
unter den Menschen.
obsidia |
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