Gia Marie Carangi

 
   
  Im Alter von nur 18 Jahren hatte Gia es nach ganz oben geschafft. Sie hatte all das, was die meisten Menschen für allein erstrebenswert halten: Gutes Aussehen, Talent, Erfolg und Geld. Ihre Schönheit war offensichtlich, jedoch nicht ihre fragile Seele. Vor der Einsamkeit eines Lebens im Mode-Jetset flüchtete sie sich in den Konsum harter Drogen. Im Alter von nur 26 Jahren verstarb das Top-Model der späten 70er und frühen 80er als eine der ersten Frauen überhaupt an der Immunschwächekrankheit AIDS.

Gia Marie Carangi, kurz "Gia", war eines der ersten sogenannten ÇSupermodelsí. Jahre vor Cindy Crawford und Naomi Campbell schaffte es die unbequeme und ungewöhnliche Schönheit aus Philadelphia an die Spitze des Modezirkus und wurde zum optischen "must" für die Werbebranche. Ihre Karriere begann dabei so gewöhnlich wie die eines jeden Models: Eines Tages wurde die 17jährige, die zu jener Zeit in einem Imbiss ihres Vaters arbeitete, einfach entdeckt. Die freche Göre mit dem punkigen Haarschnitt, den labbrigen Jeans und zerfetzen T-Shirts machte sich selbst überhaupt nichts aus dem glamourösen Starrummel, erfüllte aber den Traum ihrer dominanten Mutter, deren Liebe sie Zeit ihres kurzen Lebens hinterher rennen sollte. Gias Kapital war ihr "neuer Typ", und dieser schlug ein wie eine Bombe: Sie war dunkelhaarig, üppig, kraftvoll-aggressiv in ihrer Ausstrahlung, so ganz anders als all die anderen blonden, spindeldürren, austauschbaren Models in diesen späten 70er Jahren. Sofort bekam sie einen Vertrag mit einer der weltweit größten Agenturen, "Wilhelmina Models", und innerhalb von nur sechs Monaten arbeitete Gia mit den bekanntesten Photographen und Designern, ohne vorher auch nur jemals deren Namen gehört zu haben. In den ersten zwei Jahren verdiente sie mehr als 100.000 Dollar und zierte die Cover von "Vogue", "Harperís Bazaar" und "Cosmopolitan". Für 1980, ihr drittes Jahr im Geschäft, rechnete ihre Agentur mit einem Einkommen von einer halben Million Dollar... doch Gia sollte nicht mehr funktionieren: Sie war zu diesem Zeitpunkt bereits stark heroinsüchtig; und inzwischen wollte niemand mehr das drogenabhängige Wrack buchen, das bei Photoshootings nicht mehr ansprechbar war und nur noch vor sich hin dämmerte.

Gia war 1977 ganz allein nach New York gegangen. Am Anfang ihrer Karriere schien sie zunächst gefunden zu haben, wonach sie sich immer gesehnt hatte: Seit der Trennung ihrer Eltern und den vohergegangenen gewaltsamen Auseinandersetzungen hungerte es sie nach Liebe und Aufmerksamkeit. Und nun, im Modezirkus, liebte man sie, und man beachtete sie. Aber sehr schnell bemerkte die unerfahrene Gia ihren Trugschluss: In diesem allzu oberflächlichen Geschäft bewunderte man ihren Körper und ihr Gesicht ñ nicht aber sie als Person. Bald schon begann sie, ihre Profession zu verabscheuen, begann es zu hassen, "nur ein Stück gut aussehendes Fleisch" zu sein. Doch solche Gefühle hatten keinen Platz in der auf Äußerlichkeiten beschränkten Branche ... und so fing Gia an, sich zu betäuben.
Sie wurde zu einem regelmäßigen Gast im legendären Studio 54, zog von Party zu Party, nur um nicht allein zu sein. Und bald stieß sie auch auf das vermeintliche Heilmittel gegen Kummer aller Art: harte Drogen. Kokain war damals schon die Droge der Reichen und Schönen und gehörte zum guten Ton unter den Models, da es den Körper in all dem Stress auf Touren bringt und keine Spuren hinterlässt. Erst sollte Gia es schnupfen, dann rauchen, und irgendwann schaffte es auch jenes harmlos aussehende weiße Pülverchen nicht mehr, den ständigen Selbstbetrug aufrecht zu erhalten. Heroin, intravenös, wurde zum letzten Ausweg aus der realen Welt.
Und noch etwas beschleunigte den zwangsläufigen, unaufhaltsamen Abstieg. Dies war - paradoxerweise die wahre Liebe. Gia, die laut Auskunft ihrer Jugendfreunde "schon immer lesbisch" gewesen war, verliebte sich haltlos. Die wunderschöne Gia hatte zwar schon immer jeden und vor allem jede bekommen können, die sie haben wollte, aber nach scheinbar endlosen lockeren Affären fand sie in der Star-Visagistin Sandy Linter endlich eine, die hinter die hübsche Fassade schauen wollte. Doch die bisexuelle Sandy konnte sich nicht zwischen Gia und ihrem Freund entscheiden, und hatte zudem panische Abscheu vor Drogen und dem, was sie aus Menschen machen. Gia geriet in einen katastrophalen Teufelskreis: Sie litt unter Sandys Ambivalenz, nahm deshalb mehr Heroin, was wiederum Sandy abstieß.
1981 wurde Gia verhaftet, wegen Autofahrens unter Drogeneinfluss. Sie kam glimpflich davon und fand Dank dieses heilsamen Schocks kurzzeitig sogar die Kraft, wieder hochwertige, gut bezahlte Aufträge anzunehmen. Doch die Sucht hatte schon ihre dem Geschäft abträglichen Spuren hinterlassen: Gia musste an der Hand operiert werden, an der sich durch die ständigen Nadeleinstiche ein offener Kanal zur Vene gebildet hatte.

Aber ein dauerhafter Absprung von den Drogen gelang ihr nicht. Zwischen Drogeneinwirkung und Entzug schwankte ihre Stimmung zwischen Euphorie und der verzweifelten Gier nach dem nächsten Schuß. So verließ sie wortlos ihre Sets in Manhattan, um das gerade verdientes Geld an der Lower East Side den Dealern in den Rachen zu werfen. 1984 schließlich war der Tiefpunkt erreicht: Aus dem Superstar, der während eines einzigen Shootings bis zu 10.000 Dollar verdient hatte, war ein Junkie geworden, die klaute und log, um zu finanzieren, was zu ihrem alleinigen Lebensinhalt geworden war: Drogen. Ihre Agentur hatte sie schon längst auf die schwarze Liste der nicht Vermittelbaren gesetzt.
Einmal noch versuchte Gia zu kämpfen: Auf erheblichen Druck ihrer Familie hin entschloss sie sich, einen Entzug zu machen. Ein Jahr lang quälte sie sich durch Entgiftung und Psychotherapie ñ beides bezahlte das Sozialamt ñ nur um nach ihrer Entlassung zum Heroin zurückzukehren und die Dosis des Rauschgifts noch zu erhöhen.
1986 wurde der Sozialfall Gia Maria Carangi mit dem Verdacht auf Lungenentzündung in ein städtisches Krankenhaus eingeliefert. Bei den eingehenden Untersuchungen stießen die Ärzte auf ein tödliches, fast noch unbekanntes Virus, verbreitet nur unter männlichen Homosexuellen und Fixern. Gia war HIV-positiv und bereits an AIDS erkrankt, eine der ersten bekannt gewordenen infizierten Frauen überhaupt. Nach nur einem halben Jahr unvorstellbaren Leidens verstarb Gia Carangi am 18. November 1986, erst 26jährig an der unheilbaren Immunschwächekrankheit.


Sabine König/ Anne-K. Jung

Gia im Internet:
http://giamariecarangi.com
http://gia-carangi.com

Lesetipp (leider nur in Englisch zu erhalten):
Stephen Fried: Thing of Beauty: The Tragedy of Supermodel Gia, Pocket Books, 1994, 8,67 EUR

Frieds Buch gab auch den Anstoss zu dem 1998 gedrehten HBO-Fernsehfilm "Giaî. Die mit dem US-Amerikanischen Fernsehpreis "Emmy" ausgezeichnete Produktion mit einer hervorragenden Angelina Jolie als Gia, die von ihren eigenen Erfahrungen im Modelgeschäft zehren konnte, ist im Handel sowohl als DVD als auch als Video erhältlich:
"Gia" (USA 1998, R: Michael Christofer, mit Angelina Jolie, Faye Dunaway, Elizabeth Mitchell, 120 min.)
 
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