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Die Musik
von Le Tigre vereint Synthi-Beats und Sixties-Orgelklänge mit Unbeschwertheit
und Spielfreude; Fragen wie "Who took the Bomp from the Bompalompalomp?"
mit wunderbar simplen Drei-Akkord-Knallern; eingängige Popmelodien mit seltsamen
Geräuschen und digitalen Sounds; und krachige Gitarren mit einer Aufzählung
großartiger Frauen.
Trashpop mit Aussage sozusagen.
Sie kommen vom Punkrock und aus der Riot Grrrl-Bewegung. Sie studierten Kunst, sie
machen Fanzines und drehen Videofilme. Politisches Engagement ist immer Teil ihrer
Kunst.
Kathleen Hanna, Punkrocksängerin, gründete 1989 mit Kathi Wilcox
(b), Tobi Vail (dr) und dem Gitarristen Billy Karren die feministische Band Bikini
Kill. Sie waren Teil der Riot Grrrl-Bewegung. Nach acht Jahren und fünf
in der Subkultur erfolgreichen Alben trennten sich die Wege von Bikini Kill. Kathleen
Hanna veröffentlichte daraufhin ein Soloalbum als "Julie Ruin".
Kurz darauf hob sie zusammen mit Sadie Benning und Johanna Fateman
das radikale Kunst- und Musikprojekt Le Tigre aus der Taufe. Die lesbische
Videofilmerin Sadie Benning ist inzwischen wieder ausgestiegen. Ihre Sache
ist neben den Videos im Queer-Culture-Underground vor allem die Arbeit mit Jugendlichen.
Die studierte Künstlerin, Schreibende und Fanzine-Produzentin Johanna Fateman
ist heute noch dabei. Für das aktuelle Album "Feminist Sweepstakes"
kam die Musikerin und Künstlerin J.D. Samson als neue Dritte dazu.
Auf der Basis der gesammelten Erfahrungen und Talente der drei Frauen entstand ein
nicht leicht einzusortierendes Musikprojekt, das sich in Bewegung und ständiger
Weiterentwicklung befindet und aus den Unterschieden schöpft. Während es
bei Bikini Kill noch plakativ hieß: " White boy / don´t laugh /
don´t cry / just die!", haben Le Tigre ein differenzierteres Weltbild,
Interesse an Experimenten, an Vernetzung und Diskurs anzubieten.
Im Interview mit Irene Hummel verrieten sie einiges über ihre feministischen
und künstlerischen Ansprüche, über ihr Publikum, ihre Entwicklung,
ihre Ziele und über aktuelle Politik.
Frage: Würdet ihr euch selbst als Feministinnen bezeichnen, und was bedeutet
das für euch?
Kathleen: Wir verstehen uns definitiv als Feministinnen. Was das für uns genau
bedeutet, ist schwierig. Natürlich heißt das, daß wir ein breitgefächertes
politisches Programm für die politische, soziale und ökonomische Gleichberechtigung
von Frauen unterstützen. Wir fordern legale, sichere und bezahlbare Abtreibungen,
Zugang für alle zur Gesundheitsfürsorge und vieles mehr.
Johanna: Als Künstlerinnen bedeutet Feminismus für uns, daß wir uns
mit feministischer und queer Kunst, Kunstgeschichte und -theorie beschäftigen,
als intellektuellem Unterbau unserer Arbeit. Und wir versuchen, eine Gemeinschaft
von Kunstschaffenden, ihrem Umfeld und ihrem Publikum zu schaffen bzw. zu fördern,
die eine Verpflichtung zu radikaler sozialer Veränderung teilen.
Frage: Wird der Begriff Feminismus in den USA mehr positiv oder mehr negativ gesehen?
J.D.: In der Mainstream-Kultur herrschen immer noch die althergebrachten Stereotypen
vor - verachtende lesbenfeindliche Bilder von "Feministinnen": wir seien
sex- und männerfeindlich usw. Aus unseren Gesprächen mit europäischen
männlichen Journalisten haben wir den Eindruck gewonnen, daß das in Deutschland
genauso ist. Viele Journalisten fragen uns nach Kommentaren zu sensationellen "extremistischen"
gewalttätigen Beispielen feministischer Aktionen oder erwarten, daß wir
ihnen allzu simple Statements gegen Männer liefern.
Frage: Versteht ihr euch als Lesben? Was bedeutet das für eure Musik?
Johanna: Innerhalb der Band identifizieren wir uns unterschiedlich. Was
wir als grundlegend für unsere Politik betrachten, ist der Zusammenhang zwischen
jeglicher Form von Gender-Unterdrückung (gender oppression): Sexismus,
Homophobie, die Verfolgung von Transgender / transsexuellen Menschen.
Frage: Spielt ihr oft nur für Frauen? Wie fandet ihr das Michigan Festival?
J.D.: Das Michigan Womyn´s Music Festival 2001 war für uns das erste Mal,
daß wir für ein reines Frauen-Publikum gespielt haben. Dieses Jahr war
das Festival zum 26. Mal, und es ist eine der wenigen - wenn nicht sogar die einzige!
- immer noch stattfindenden separatistischen Veranstaltungen dieser Art. Wir fühlten
uns sehr geehrt, als Musikerinnen eingeladen zu werden.
Kathleen: Es war eine bemerkenswerte Erfahrung für uns alle. Besonders wichtig
war für uns, in einem generationsübergreifenden Zusammenhang zu sein -
oft ist es so, daß jede Generation junger Frauen den Feminismus "neu erfindet",
ohne ein geschichtliches Bewußtsein für radikale Formen des Organisierens,
wovon sie lernen könnten. Weil unsere Musik eher mit "Jugendkultur"
verbunden ist, haben wir uns von den Erkenntnissen erfahrenerer Frauen abgeschnitten
gefühlt.
(Anmerkung: Eine Festivalbesucherin erzählte, daß Kathleen Hanna auf der
Bühne bei dem Auftritt von Le Tigre tatsächlich einen tief bewegten und
gerührten Eindruck machte.)
Frage: Wie sieht euer typisches Publikum aus?
Kathleen: Ich denke, das variiert ganz schön und hängt davon ab, in welchem
Land oder in welcher Stadt wir auftreten. Generell sind mehr Mädchen und Frauen
bei unseren Konzerten als Männer. Viele queer Leute. Was uns am meisten
überrascht, ist, daß unser Publikum so altersgemischt ist. Es sind Leute
da, die schon den Weg von "Riot Grrrl"- und "Post-Riot Grrrl"-Bands
mitverfolgt haben, z.B. viele Fans meiner früheren Band Bikini Kill. Und dann
viele Kids, die diese Musik noch nie gehört haben. Ich denke, weil Le Tigre
ein bißchen mehr wie "Pop" klingt - da elektronisch produziert, anders
als früherer feministischer Punk ó ist unser Publikum bunt gemischt.
Frage: Die meisten Bands mögen diese Frage nicht, aber: Habt ihr einen Namen
oder eine Schublade für eure Musik?
J.D.: Wir bezeichnen es ungefähr als "electro feminist conceptual punk."
Frage: Wie hat sich eure Musik seit euren Anfängen verändert oder weiterentwickelt?
Johanna: Ich glaube, eine Menge der ästhetischen Veränderungen kann auf
unsere technologische Weiterentwicklung zurückgeführt werden und auf die
zunehmende Kontrolle über den Sampling- und Programmierpart unserer Musikproduktion.
Wir haben uns inzwischen auch mit der Idee angefreundet, Minidisc-Playback als Grundlage
unserer Liveshow einzusetzen. Das gibt uns auf der Bühne mehr Freiheiten für
choreographierten Tanz und andere Performance-Elemente. Das soll nicht heißen,
daß wir keine Livemusik bei unseren Auftritten produzieren, sondern daß
wir unsere Energie strategisch einsetzen, je nach Bedeutung für unseren Auftritt
und unsere Kunst ó und weniger, um irgendwelche Erwartungen zu erfüllen, was
eine Rockband auf der Bühne tun sollte.
Frage: Habt ihr jemals darüber nachgedacht, eine populärere musikalische
Ausdrucksform als euren elektronischen Punk zu suchen, um so eure "Botschaft"
weiter zu streuen? Was bedeutet euch überhaupt die kommerzielle Seite des Ganzen?
Kathleen: Was hieße es denn, ein "bißchen mehr Mainstream"
zu werden? Für unsere Kunst Kompromisse einzugehen, unsere Community von Freunden
und Fans zu befremden, unsere Tage der Promotion-Arbeit zu widmen - innerhalb einer
Medienmaschinerie, die Frauen und queers hasst? Wäre es das etwa wert?!
Viele Leute meinen, es sei ein strategisches politisches Versäumnis, daß
wir nicht bei einem der großen Plattenlabel unter Vertrag sind, weil wir nicht
die größtmögliche ZuhörerInnenschaft mit unserer "Message"
erreichen würden. Aber diese Kritik kommt von einem Modell von "politischer
Effektivität", das wir nicht teilen. Wir sind nicht unbedingt daran interessiert,
unsere abweichende Meinung in den Mainstream einzufügen (obwohl wir das manchmal
tun), sondern wollen uns mit einer feministischen Underground-Szene auseinandersetzen.
Dabei wollen wir ein alternatives ökonomisches System unterstützen, damit
die radikale Kunst Ressourcen zur Verfügung hat, und damit wir so unabhängig
wie möglich von Unternehmensinteressen leben können.
Frage: Was steht für euch im Mittelpunkt ó die Musik oder die Texte?
Johanna: Ist unser "Inhalt", oder die Aussage, in den Worten
und Liedtexten enthalten, und die Musik ist eine Art neutraler Background? Sind wir
Künstlerinnen oder Feministinnen? Die Leute, die glauben, wir müßten
das eine oder das andere sein, müssen darüber selbst entscheiden.
Frage: Was sind eure Gefühle als US-Bürgerinnen (soweit ihr das seid) und
als Frauen/Lesben nach den Anschlägen des 11. September? Wie sieht das in euren
politischen Zusammenhängen aus? Ist es wirklich so: 90 % der Leute wollen Rache?
Seid ihr in Antikriegs-Gruppen engagiert?
Kathleen: New York City befindet sich in einem Zustand der Trauer. Niemand, den wir
persönlich kennen, hat von dem Wunsch nach einem Vergeltungsschlag gesprochen,
obwohl wir dieselben Statistiken dazu in den Nachrichten sehen wie ihr.
Johanna: Ich bin bei einer Reihe von Treffen gewesen, um Demonstrationen gegen
US-Militäraktionen im Mittleren Osten und gegen anti-arabische rassistische
Gewalttaten in den USA zu organisieren. Wir hoffen, daß die Leute die Gelegenheit
nutzen, um die Konsequenzen der US-Außenpolitik und des Imperialismus zu untersuchen.
Leider suchen die meisten Leute nach einer "Seite", auf die sie sich stellen
können - es gibt aber keinen einfachen Weg, die gegenwärtige Situation
zu betrachten. Dies ist ein Konflikt zwischen zwei rechtslastigen unterdrückerischen
Regimes, von denen keines die Interessen seiner Bevölkerung vertritt.
Ich glaube, es ist sehr schwer, die aktuelle Stimmung in New York City zu verstehen.
Jede politische Demonstration gegen Militäreinsatz hat im Moment einen sehr
düsteren Charakter - im wesentlichen sind diese Märsche eine Art Wache
für die Tausende verlorener Leben, die uns so nah waren. Unser aller Leben wurde
dadurch verändert, und eine "Normalität" ist noch nicht wieder
eingekehrt.
(Anmerkung: Drei Tage nach diesem Interview begannen die USA, Afghanistan zu bombardieren
und befinden sich damit im Krieg. Somit ist eine "Normalität" erneut
in weite Ferne gerückt...)
Irene Hummel
Le Tigre: Le Tigre, 1999 (Wiiija Records / pias / Connected)
Le Tigre: From the desk of Mr.Lady, EP, 2000 (Mr.Lady / Disko B / efamedien)
Le Tigre: Feminist Sweepstakes, 2001 (Mr.Lady / Disko B / efamedien)
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