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Ja, es herrscht
Lesbenboom im TV. Egal, welche Sendung frau heutzutage einschaltet, die Wahrscheinlichkeit
ist groß, daß eine Lesbe auf der Bildfläche erscheint. Vor allem
in den Fernsehserien scheint es im Trend zu liegen, das eine oder andere Frauenpärchen
auftauchen zu lassen.
Dabei drängt sich in nicht wenigen Fällen der Verdacht auf, daß dies
einzig und allein geschieht, um die Quoten zu erhöhen. Wenn etwa in der Serie
"Ally McBeal" zwei junge Frauen, die ansonsten unermüdlich der Männerwelt
hinterherhecheln, sich aus keinem unmittelbar einsichtigen Grund innig küssen,
um danach wieder zum alltäglichen Geschehen überzugehen, liegt die Vermutung
nahe, daß hiermit nicht etwa die frauenliebenden Frauen angesprochen werden
sollen, sondern vielmehr das Blut des allzeit umworbenen Heteromannes mit seinem
durch die Pornoindustrie geprägten Bild von "Lesben" in Wallung gebracht
werden und er so zum Einschalten animiert werden soll. In anderen Serien hingegen
ist die Distanz zur Realität auffallend, so etwa in "Buffy - Im Bann der
Dämonen" oder noch deutlicher in "Xena", wo die Fantasy-Elemente
die Thematik der Frauenliebe oftmals überdecken, oder, auf einer anderen Ebene,
der "Lindenstraße", in der das erste vorkommende Frauenpaar aus einer
Drogensüchtigen und einer ehemaligen Prostituierten bestand, die den wesentlich
älteren, im Rollstuhl sitzenden Ehemann der einen Partnerin umbringen wollten,
um sich an seinen Besitztümern zu bereichern... Eine noch andere Variante ist
gerade in Sitcoms beliebt, nämlich die Darstellung von Lesbenpaaren als Katalysator
für andere Verwicklungen, wobei sie so "harmlos" wie möglich
dargestellt werden, offensichtlich, um beim Mainstream-Publikum in den spießigen
USA nicht anzuecken. So gesehen in "Friends", wo sogar eine Lesbenhochzeit
gefeiert wird, ohne daß sich das Brautpaar auch nur küssen darf!
Wir wir sehen, sind die auf der Mattscheibe gezeigten Lesben größtenteils
nicht die perfekten Abbilder von uns, und nicht gerade das, was das frauenliebende
Herz begehrt...
Aber es geht auch anders.
In der in den USA äußerst erfolgreichen Krankenhausserie "Emergency
Room" [dienstags, 20.15 h, Pro 7] gibt es eine lesbische Liebesgeschichte, die
weitaus realistischer ist.
"ER", seit Jahren bekannt und beliebt für seine komplexen Charaktere
mit Ecken und Kanten sowie zahlreiche unbequeme Geschichten ohne Happy-End, wartet
nun mit einem gebührend wirklichkeitsnahen Handlungsbogen auf: Dr. Kerry Weaver
[gespielt von Laura Innes], Leiterin der Notaufnahme eines Chicagoer Hospitals, und
eine der Hauptfiguren der Serie, die in fünf Jahren lediglich zwei kurze Liebesbeziehungen
mit Männern aufzuweisen hat (im Gegensatz zu anderen Figuren, die buchstäblich
in jeder neuen Folge einen neuen Partner bekommen), lernt die neue Krankenhauspsychiaterin
Dr. Kim Legaspi [Darstellerin Elizabeth Mitchell machte erstmals in dem Film "Gia"
auf sich aufmerksam, in dem sie die Geliebte von Angelina Jolie spielte] kennen,
eine außergewöhnlich attraktive Frau, die nicht nur zehn Jahre jünger
als sie, sondern offensichtlich an ihr interessiert ist, und fühlt sich sofort
zu ihr hingezogen. Im Laufe der Zeit, während der die beiden sich beruflich
und privat näherkommen, macht die Psychologin der Ärztin immer deutlichere
Avancen (Komplimente über ihr Aussehen, eine Essenseinladung), bis eines gemeinsamen
Abends im Restaurant die Karten endlich offen auf den Tisch gelegt werden: Legaspi
teilt Weaver mit, daß sie lesbisch sei und sich eigentlich mehr von dieser
Freundschaftsbeziehung erhofft habe, während diese überrascht und verlegen
reagiert und in einer durchaus nicht überzeugenden Rede versichert, wie hetera
sie doch in Wirklichkeit sei.
So weit, so gut.
Nun aber folgt die gleiche Aktion mit umgekehrten Rollen: Während Legaspi sich
mehr zurückzieht, beginnt Weaver ihrerseits, sie mit Aufmerksamkeiten zu überhäufen,
was in einem sehr teuren Weihnachtsgeschenk für die Psychiaterin gipfelt. Dermaßen
überfahren, versucht diese ihr zu vermitteln, daß für sie eine reine
Freundschaft mit Kerry nicht möglich sei, und küßt die bestürzte
Ärztin zur Verdeutlichung auf den Mund. Es beginnt eine Zeit der Vermeidung
und Spannung zwischen den beiden, bis es Kerry schließlich nicht mehr aushält,
Kim aufsucht und sie bittet, sie nicht zu verlassen. In der nächsten Folge sehen
wir Kerry Weaver in Kim Legaspis Wohnung in der Dusche - aber schon bald wird klar,
daß sie sich mit der Situation alles andere als wohl fühlt, als sie die
Psychologin bittet, die Angelegenheit für sich zu behalten, und fluchtartig
verschwindet. Erst nach einem langen, nervenaufreibenden und angsterfüllten
Tag voller Zweifel besinnt sie sich und kehrt zu Kim zurück, und wir werden
endlich mit einer liebevollen, intimen Szene in Kims Bett entlohnt.
Doch das Unheil folgt auf dem Fuße, nämlich in Gestalt eines
gemeinsamen Essens mit einigen von Kims Freundinnen, die sich übrigens allesamt
als ihre Verflossenen entpuppen und mit dick aufgetragenen lesbischen Klischees (Männerwitze
usw.) dafür sorgen, daß Kerry sich äußerst fehl am Platze vorkommt
und flüchtet, nicht ohne Kim klarzumachen, daß sie mit diesem "Lebensstil"
nichts anfangen könne. Die beiden versöhnen sich wieder, aber die große
Krise steht ihnen noch bevor.
Als eine psychisch labile Patientin von Dr. Legaspi dieser ungerechtfertigterweise
sexuelle Belästigung vorwirft, sieht ihr homophober Vorgesetzter Dr. Romano
darin eine willkommene Gelegenheit, die verhaßte Lesbe loszuwerden. In der
darauffolgenden Anhörung setzt sich Dr. Weaver kaum für ihre Freundin ein,
aus Angst, ihre Beziehung könnte publik werden, woraufhin Legaspi, verletzt
und enttäuscht, diese beendet. Alle Erklärungs-, Entschuldigungs- und Wiedergutmachungsversuche
Kerrys stoßen nur auf Abweisung bei Kim. Die Staffel endet aber, halbwegs hoffnungsvoll,
mit einer zwar verspäteten, aber um so feurigeren Auseinandersetzung Kerry Weavers,
die sich inzwischen bewußt geworden ist, daß sie Kim liebt, mit Romano,
in der sie ihm nicht nur mit ihrer eigenen Kündigung droht, sollte er Dr. Legaspi
nicht wieder einstellen, sondern sich auch vor ihm als Lesbe outet - ein (vorläufiges)
Ende mit Knalleffekt!
Wir sehen also: Eine für eine amerikanische Fernsehsendung äußerst
unübliche Geschichte, die nicht etwa als Vehikel dient, um mit der wohlbekannten
(s.o.) voyeuristischen Komponente potentielle männliche Zuschauer anzulocken.
Dieses Klientel dürfte bei der Ansicht der Episoden sogar enttäuscht sein,
denn das Äußerste, was in Sachen Sex tatsächlich gezeigt wird, ist
einerseits ein etwa zweisekündiger Kuß, andererseits eine Szene, in der
die eine Partnerin im Bett liegt, während die andere neben ihr auf der Bettkante
sitzt. Aber dafür gibt es Unmengen von kleinen, aber feinen Details zwischen
den Zeilen, etwa eine Szene, in der Kerry Weaver in der Dusche "Rescue Me"
(!) singt oder eine andere, in der sie sich vor einem Treffen mit Kim die Lippen
schminkt - einmal ganz abgesehen von den wunderbaren Interaktionen, also Mimik, Gestik,
Körpersprache und natürlich Dialoge der beiden Schauspielerinnen (zwischen
denen, nebenbei bemerkt, eine großartige Chemie herrscht).
Aber auch die Figuren sind ungewöhnlich. Das fängt damit an,
daß es sich bei der Protagonistin um eine eher einsame, menschenscheue Frau
um die vierzig handelt, die außerdem gehbehindert ist und damit weder dem Gros
des Zielpublikums entspricht noch dem üblichen Bild der in TV-Serien gezeigten
jungen, gesunden, fröhlichen, durchtrainierten Menschen. Auch fungieren die
dargestellten Personen nicht nur als Anlaß für andere Geschehnisse (oder
schlimmer: als Witzfiguren, wie sie leider immer noch allzu häufig in Sitcoms
gezeigt werden), sondern sind eigenständige, ernstzunehmende Charaktere, die,
wie deutlich gezeigt wird, Schwächen und Selbstzweifel besitzen und Fehler machen
- sie sind eben menschlich. Die Handlung selbst wird ebenfalls von den AutorInnen,
RegisseurInnen und DarstellerInnen ernstgenommen, was bedeutet, daß auf die
sonst im Fernsehen oft üblichen lesbischen Klischees so gut wie irgend möglich
verzichtet wurde und es allen Beteiligten so gelingt, eine anrührende und manchmal
geradezu quälend authentische Geschichte zu erzählen - eine weitaus mehr
als bloß oberflächliche Story, die gerade nicht mit "Friede, Freude,
Eierkuchen" endet, aber ebensowenig da stehenbleibt, wo sie angefangen hat.
Es ist die Coming Out-Geschichte einer Frau mittleren Alters, die sich in einem aufregenden
und oft schmerzhaften Prozeß bewußt wird, daß in ihrem sorgsam
auf dem Beruf aufgebauten und von anderen Menschen abgeschotteten Leben vielleicht
doch nicht alles so ist, wie sie es sich jahrelang selbst vorgegaukelt hat. Die Hauptfigur
Kerry Weaver verändert sich im Laufe dieser Geschehnisse, aber macht keine unglaubwürdige
180-Grad-Wendung, sondern hat noch eine deutliche Wegstrecke vor sich. Das bedeutet,
daß sie am Ende einer langsamen, allmählichen Entwicklung schließlich
vor sich selbst zugeben kann, lesbisch zu sein, aber zu Beginn der achten Staffel
immer noch Sorge hat, ihre sexuelle Orientierung könnte bekannt werden und sie
selbst dafür verurteilt werden. Doch der Handlungsfaden wird nicht einfach fallengelassen,
sondern auch in der neuen Staffel fortgeführt. Auch wenn zum heutigen Datum
immer noch nicht bekannt ist, ob und wann Legaspi-Darstellerin Mitchell wieder mitspielen
wird - Dr. Weaver wird jedenfalls sicher nicht wortlos zur Tagesgeschehen in Form
der Männerwelt zurückkehren, als sei nichts gewesen!
In den Vereinigten Staaten gibt es bereits eine ungeheure Resonanz auf den Handlungsbogen,
angefangen mit unzähligen Internet-Websites, die den beiden Doktorinnen gewidmet
sind, mit Unmengen von (in vielen Fällen deutlich sexlastigen) Fan-Geschichten,
bis hin zu Kim-und-Kerry-Parties des zu annähernd zu hundert Prozent lesbischen
Fandoms!
Wir dürfen also gespannt sein, was sich da noch tun wird. Auf alle Fälle
gilt für die Kerry-und-Kim-Geschichte bei "Emergency Room" zweifelsohne
das Gleiche, was Kerry Weaver äußerst "enthusiastisch" über
ihr erstes Mal mit einer Frau äußerte: "It was different - but good".
Jutta Swietlinski |
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