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Samantha
Maria Schmidt ist akribisch. Kann man wohl sagen, schaut man sich ihre Arbeiten an.
Und sie liebt das Kino. Muss man wohl auch sagen, so leidenschaftlich wie sie Filme
sichtet und seziert. Und Maria Schmidt vertritt einen Anspruch und zwar einen aufklärerischen,
feministischen und zugleich künstlerischen. Sie ist Filmarbeiterin, Arbeiterin
mit Film, Filmemacherin - es ist schwer eine Bezeichnung für das zu finden,
was sie in geduldiger Feinarbeit vollbringt. Stundenlang sitzt sie vor dem Fernseher
und im Kino, um unendlich viele Filme zu sichten, die sie unter bestimmten Gesichtspunkten
untersucht. Ihre Themen sind beispielsweise die Darstellung u.a. von Mörderinnen,
Nonnen, Lesben und Kinoheldinnen im Film. Hat sie relevante Beispiele gefunden, schneidet
sie die Szenen heraus und montiert sie zu Dokumentationen mit Titeln wie "Schwesterlich,
keusch und ohne Makel?", ein Video mit den schönsten Szenen aus der Nonnenfilmgeschichte.
Oder "Die Pfoten bleiben über dem Laken", ein Streifzug durch 40 Frauengefängnisfilme.
Aber angefangen hat alles 1985 als die studierte Literaturwissenschaftlerin zur ersten
Berliner Lesbenwoche die Videodokumentation "Infam - Klischee-Lesben im Kino"
schnitt. Und nun, 20 Jahre später, hat Maria Schmidt es wieder getan - sie sichtete
rund 130 Filme und wertete sie aus, schnitt ein Video mit 300 Filmszenen und schrieb
ein Buch über Lesben und weibliche Sexualität im Kino mit dem Titel "Goldfische
im Filmbett".
Dagmar Trüpschuch sprach mit der 1953 in Berlin geborenen Autorin über
die Darstellung von Lesben im Spielfilm.
? 1981 hast du die erste Dokumentation über Lesben im Film gemacht. Mehr als
20 Jahre später eine zweite. Was hat sich in 20 Jahren Filmgeschichte an der
Darstellung von Lesben im Film verändert?
! Dadurch, dass immer mehr Filme von und über Lesben gedreht werden, gibt es
inzwischen eine Menge positiver Bilder von Lesben statt der altbekannten Klischees.
Und auch, wenn heutzutage die meisten Kinolesben überleben dürfen, sterben
sie immer noch überdurchschnittlich häufig. Bis Mitte der 80er Jahre jede
zweite, heute ungefähr jede achte. Verändert hat sich vor allem, dass Lesbischsein
verbal thematisiert wird. Vor allen Dingen gibt es heutzutage so wunderbare Coming-Out-Pubertätsfilme,
wie z.B. "All over me" oder "Fucking Amal", die auch noch Erfolg
haben. Wenn Mädchen sich verlieben scheint das eher akzeptiert zu sein als bei
reifen Frauen. Mädchenliebe ist kein Angriff auf die patriarchale Welt. Deshalb
kann Leidenschaft unbefangener und weniger verklemmt inszeniert werden. Es bleibt
manchmal beim Küssen, aber Leidenschaft findet ihren Ausdruck eben nicht nur
in sexuellen Bildern.
? Welche Tendenzen
hast du noch ausgemacht?
! Leider ist das Lesbischsein, das sieht man täglich im Fernsehen, inzwischen
total eingemeindet. Es hat kaum noch etwas Subversives, das bedaure ich als Feministin
sehr. Es hat aber nicht, wie bei den Schwulen, dazu geführt, dass Regisseurinnen,
Kamerafrauen etc. große Erfolge feiern und kontinuierlich teure Filme machen
könnten, die auch lesbische Sexualität und Erotik in den Mittelpunkt stellen.
? Wie wird lesbische Sexualität im Film dargestellt?
! Immer noch mit Weichzeichner. Lesbischer Sex wird nie so direkt gezeigt wie heterosexueller
oder schwuler Sex, außer in so genannten Pornos, aber da geht es ja um Technik,
nicht um Liebe und Leidenschaft. Eigentlich liegt der Schwerpunkt bei der Darstellung
von lesbischem Sex darauf, wie eben dieser Sex verhindert wird. Es treten Störungen
auf, z.B. durch das Auftreten eines Mannes, durch Filmschnitte, Überblendungen,
klingelnde Telefone. Bei meinen Recherchen habe ich wenig Leidenschaft zwischen Frauen
gefunden. Es wird gerne Romantik gezeigt, auch Nähe und Wärme, all das,
was als typisch weiblich codiert ist. Den Schritt zur Selbstständigkeit hat
lesbischer Sex nicht geschafft, und schon gar nicht im Mainstream-Kino.
? Was meinst du, sind die Gründe dafür?
! Bei den großen Produktionen steht ein riesiger männlicher Apparat dahinter,
wie Geldgeber und Produzenten. Und der männliche Blick ist immer noch vorherrschend.
Es gibt leider verdammt wenig Kamerafrauen. Ein weiterer Grund ist, dass es keine
Tradition gibt, an die man anschließen kann, nur die Tradition der Pornos.
Schon in den 70er-Jahren wurden Filme mit lesbischen Sexszenen gedreht, aber die
dienten zum Aufgeilen der Männer, und an diese Tradition möchte man ja
nun auch nicht anknüpfen. Dann soll sich die Darstellung von lesbischem Sex
von Heterosex absetzen und es soll möglichst keine Gewalt vorkommen. Und Leidenschaft
hat ja oft gewaltmäßige Züge oder kann zumindest so wirken. Ein weiterer
Grund ist, dass die Frau ja sowieso schon in der Öffentlichkeit voll entblößt
ist und durch die filmische Zurückhaltung noch der letzte Intimbereich bewahrt
werden soll. Der Grund für die relative Erfolglosigkeit guter lesbischer Filme
ist auch ein politischer: Der gesellschaftliche Widerstand ist einfach zu groß.
Wenn Männer nicht mehr das Maß aller Dinge sind - und das gilt auch für
Schwule, die sich in der Regel einen Scheiß für Lesbenfilme interessieren
-, sondern sich etwas so Existentielles wie Sex unter Ausschluss des Mannes abspielt,
dann wird dem ein Riegel vorgeschoben. Ich habe oft erlebt, wie sehr Männer
sich und mit ihnen viele Frauen, die sich am Mann orientieren, provoziert fühlen,
wenn sie sich ausgeschlossen sehen. Eine einträgliche Identifikation läuft
dann im Kino nicht mehr. Und damit haben unabhängige Lesbenfilme sehr wenig
Chancen auf dem Markt - heute übrigens wieder weniger als in den 90er-Jahren.
? Du schreibst in deinem Buch, dass bei Lesbensex viel mit Symbolik, Weichzeichner
und Schnitten gearbeitet wird.
! Ja, und das kann manchmal ganz schön penetrant sein. Ein gutes Beispiel dafür
ist "When night is falling". Hier ist es so offensichtlich, weil Camille
sowohl mit Petra als auch mit ihrem Ehemann Sex hat. Und hätte Camille den Sex
mit ihrem Mann genauso blumig gehabt wie mit Petra, könnte man sagen, dass sei
die Filmsprache der Regisseurin Patricia Rozema. Aber die macht bei den Sexszenen
einen so krassen Unterschied! Der Sex mit dem Mann ist direkt und körperlich.
Beim Sex zwischen Petra und Camille jedoch gibt es viele einzelne Großaufnahmen
und fast 20-30 Schnitte. Das zerstückelt die Szene und dieses Zerstückeln
bedeutet für mich, dass der Kontakt zwischen den beiden nur vage stattfindet.
Eine Hand ist zwar schön anzusehen - aber was tut sie? Und dann die Farbgebung!
Malerisch wirklich wunderschöne Bilder, das will ich überhaupt nicht in
Abrede stellen. Aber für mich springt da nicht der sexuelle Funke über.
Es gibt keine gezeigte Leidenschaft, keinen Schweiß nach dem Sex, alles ist
und bleibt angedeutet, sauber und korrekt. Auffallend ist auch die Langsamkeit, die
Musikunterstreichung. Alles gemäßigt. Und das passt wiederum ins Allgemeingesellschaftliche:
Frauen müssen im Rahmen bleiben. Mir fehlt hier die Grenzüberschreitung.
Aber wahrscheinlich ist es für viele Produzenten schon Grenzüberschreitung
genug zu zeigen, dass Frauen sich in Frauen verlieben und ein erotisches Begehren
haben.
? Wie leben
Lesben im Film ihr erotisches Begehren aus?
! Leider muss Lesbensex immer an etwas gebunden sein. Entweder an Liebe oder an unterschwellige
Sehnsüchte. Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Ich bin keine Verfechterin
von Sex pur um jeden Preis. Es geht darum, Bilder für die sexuelle Lust zwischen
Frauen zu finden. Ich habe das Gefühl, dass das Tabu, dass Frauen Frauen lieben
schon halb gebrochen ist, aber das Begehren-Tabu noch viel größer als
das Liebes-Tabu ist. Das Tolle an einem Film wie "Bound" ist zum Beispiel,
dass Corky und Tilly miteinander ins Bett gehen, weil sie einfach Lust aufeinander
haben. Und sich erst anschließend verlieben. In fast 90% der Filme ist es aber
so, dass sich die Frauen erst verlieben müssen, bevor sie zusammen ins Bett
gehen dürfen.
? Haben die Regisseurinnen eventuell Angst, in der Präsentation von Lesbensex
Klischees zu bedienen?
! Würde ich mal so sagen, obwohl die Regisseurinnen es von sich eher nicht sagen
würden. Aber vielleicht interessiert es manche auch einfach nicht, weil sie
andere Themen haben. Nimm z.B. die Filmemacherin Ulrike Ottinger. Sie interessiert
Sex im Film überhaupt nicht, obwohl sie starke und sehr erotische Frauen darstellt.
? Du schreibst, dass Busen beim lesbischen Filmsex kaum berührt werden.
! Ja, es kommt in der Tat sogar eher vor, dass ein Mann en passant öfter die
Brüste
einer Frau anfasst als es Frauen tun, wenn sie miteinander im Bett sind. Zwischen
Frauen scheint der filmische Reiz in der Andeutung zu liegen. Da man die weibliche
Sexualität traditionell als passiv einschätzt, gilt der Busen als besonders
stark auf den Mann angewiesen, es ist sein Eroberungsrevier! Als direktes Lustobjekt
ist der Busen für Frauen ein besonders hartnäckiges Tabu. Aber es gibt
Ausnahmen. Ein Beispiel dafür ist der Fernsehfilm "Die Konkurrentin"
von Dagmar Hirtz. Es gibt diese schöne Szene, in der die eine die Hände
der anderen auf ihre Brust zieht. Da kommt für mein Gefühl authentisches
Begehren und gleichzeitig Sehnsucht nach Nähe rüber.
? All das und noch viel mehr steht in deinem Buch Ö
! Ja. Ich habe zwar noch keinen Verlag gefunden, bringe es aber dank der Unterstützung
von Goldrausch und Asten in 100 Exemplaren passend zu den Queerfilm-Festivals auf
den Markt. Es ist für alle interessant, die gern ins Kino gehen, außerdem
ist es reichlich bebildert.
Dagmar Trüpschuch
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