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Sie gehört zu den international
renommierten Intellektuellen der Gegenwart: die US-amerikanische Autorin Susan Sontag,
die im Oktober 2003 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet
werden wird. Die New Yorkerin, die noch kürzlich die Informationspolitik des
US-Regierung im Irak-Krieg kritisiert hatte, erhält den Preis für ihr Eintreten
für die Würde des freien Denkens in einer Welt der gefälschten Bilder
und der verstümmelten Wahrheiten, so der Börsenverein des Deutschen Buchhandels.
Schlagartig berühmt wurde Sontag mit ihren kunst- und kulturkritischen Essays
Mitte der 60er Jahre, vor allem mit ihren "Anmerkungen zu Camp". Ihr Privatleben
hat sie bei allem politischen wie sozialen Engagement konsequent abgeschirmt: ihre
langjährige Partnerschaft mit der bekannten Fotografin Annie Leibovitz ist ein
notorisch öffentliches Geheimnis.
Susan Sontag wird am 28.1.1933 in New York geboren. Ihr Studium in Berkeley und
Chicago schliesst sie 1955 mit einem MA-Grad in Englisch und Philosophie ab, danach
lehrt sie an verschiedenen amerikanischen Universitäten. 1963 erscheint ihr
Roman, "The Benefactor", 1966 ihre Essaysammlung "Against Interpretation",
in der sie in Auseinandersetzung mit zeitgenössischen künstlerischen Entwicklungen
eine prononciert formalistische Position entwirft. In der Folge beschäftigt
sich Sontag mit aktuellen Trends in Kunst, Literatur und Fotografie. Zudem verfasst
sie Filmdrehbücher und führt selbst Regie ("Duett for Cannibals",
1969). Grosses Aufsehen erregt ihre 1975 veröffentlichte Studie "Fascinating
Fascism" über Leni Riefenstahl. Ihre Brustkrebserkrankung nimmt sie zum
Anlass, 1978 den Essay "Illness as Metaphor" zu veröffentlichen. 1989
folgt die Polemik "Aids and its Metaphors". Ihr Roman "The Volcano
Lover" von 1992 schafft den Einstieg in die Bestsellerlisten. Im Frühjahr
2003 schliesslich erscheint ihr jüngster Roman "In America".
Bis heute wird der Name Susan Sontag mit ihren legendären "Anmerkungen
zu Camp" assoziiert. Dieser Text liest sich auch rund 40 Jahre nach seiner Veröffentlichung
frisch, offensiv und punktgenau. Camp ist nach Sontag eine Art, die Welt als ein
ästhetisches Phänomen zu betrachten. Mag der Begriff auch aus dem aktuellen
kulturtheoretischen Diskurs verschwunden sein, so kann er doch eine gewisse Zeitlosigkeit
für sich reklamieren. Sontag hat ihn zwar weder erfunden noch als erste verwendet,
von ihr stammt allerdings die bis heute stilbildende Beschreibung. Ihre "Anmerkungen
zu Camp" widmet sie Oscar Wilde, in ihren Augen ein Dandy aus dem Geist des
19. Jahrhunderts unter den Bedingungen der Massenkultur.
Nach Sontag stellt die Erlebnisweise des Camp den Triumph des Stils über den
Inhalt, des Ästhetischen über das Moralische, der Ironie über die
Tragödie dar. Der Hang zum Naiven, Übertriebenen und Gekünstelten,
insgesamt die "Entthronung des Ernstes" im Umgang mit Kunstwerken und Alltagsgegenständen,
ist nach Sontag fraglos unengagiert und entpolitisiert. Camp ist dabei nicht auf
das Feld der etablierten Kunst beschränkt, weicht auch nicht aus auf die ästhetische
Betrachtung der Natur, sondern feiert bewusst das Dekorative und wendet sich schamlos
dem Trivialen und Alltäglichen zu. Die klare Absicht des Camp, Hierarchien des
Geschmacks auf den Kopf zu stellen, führt zum Unterlaufen der gängigen
Dualität von E- und U-Kultur zugunsten einer Kultur des Populären.
Zum - notwendig offenen - Kanon des Camp zählt Sontag etwa Zeichnungen von Aubrey
Beardsley, Antonio Gaudis Bauwerke in Barcelona, die Aphorismen Oscar Wildes, Paillettenkleider,
das Ballett Schwanensee, Jugendstil-Möbel, die Opern Bellinis, den ersten King
Kong-Film, alte Flash Gordon-Comics, Federboas, Greta Garbo in ihrer Entrücktheit,
Tiffany-Lampen, die Auftritte General de Gaulles. Zu ergänzen wäre diese
Liste - ebenso willkürlich - um die frühen James Bond-Filme, Andy Warhols
Portraits von Marilyn Monroe, Gastrokritiken zur Nouvelle Cuisine, Modenschauen der
Haute Couture, Glam-Rock à la David Bowie, The Last Night of the Proms, die
Venedig-Krimis von Donna Leon, die Videoclips von Madonna, Sequels à la "Drei
Engel für Charlie", Werbespots mit Verona Feldbusch, das Magazin "Wallpaper",
den Grand Prix dëEurovision de la Chanson, die Segnungen der Plastischen Chirurgie.
Generell lassen sich Spuren des Camp nicht nur in Bildern, Filmen, Romanen, Möbeln
und Kleidern finden, sondern auch in Verhalten, Gestik und Mimik von Personen. In
hellsichtiger Vorwegnahme postmoderner Debatten konstatiert Sontag, dass eine Person
ein Objekt als Camp betrachten kann, das von seinem Schöpfer so nicht intendiert
war - dann liegt der Camp-Effekt im Auge des Betrachters.
Auch wenn Camp nicht exklusiv in der homosexuellen Subkultur anzutreffen ist, hat
es hier eine existentielle Bedeutung: Camp ist ein Weg, mit einer dominanten feindlichen
Kultur umzugehen. Zum einen stiftet Camp eine Solidarität unter den Mitgliedern
einer Subkultur, zum anderen hilft es ihnen, miteinander zu kommunizieren in Gegenwart
von Aussenstehenden. Folgende Elemente finden sich stets im Geschmack des Camp: Theatralik,
der Bruch mit Konventionen und Humor. Camp ist wie geschaffen, Konzepte auf den Kopf
zu stellen und Grenzen in Frage zu stellen, auch und gerade die zwischen den Geschlechtern.
Die klassische Camp-Figur im schwulen Kontext ist die Drag Queen, die auf der Bühne
oder auch im richtigen Leben eine Frau imitiert. Im lesbischen Kontext finden sich
neben der Butch-Femme-Dualität der 50er und 60er Jahre die jüngst aufgekommenen
Drag King-Shows, in denen männliche Rollenklischees derartig überdehnt
und ironisch gebrochen werden, dass sie nur noch lächerlich wirken. Das Androgyne
zählt zu den grossen Leitmotiven des Camp.
Eine ausschliesslich an ästhetischen Kriterien ausgerichtete Erlebnisweise wie
Camp existiert nicht im luftleeren Raum. Es bedarf schon einer wirtschaftlich gesicherten
Position, um moralische und politische Fragen lässig zu ignorieren. So gesehen,
ist der Camp-Geschmack eine urbane und elitäre Sicht der Dinge, wie sie sich
historisch in den Metropolen des Zeitgeistes herausgebildet hat: etwa in London,
Wien und Paris um 1900, in Berlin in den 1920er Jahren und in New York in den 1950er
und 60er Jahren. Zum Camp-Kontext gehört gleichzeitig eine eindeutig repressive
Haltung einer Gesellschaft gegenüber ihren Minderheiten, speziell den Homosexuellen.
Die aufgrund ihrer sozialen Randständigkeit sensibilisierten Schwulen und Lesben
sind leichter empfänglich für den charmanten wie bizarren Charakter der
Camp-Kultur als der Mainstream.
Sontags vieldiskutierter Essay entstand Mitte der 1960er Jahren, also noch weit vor
Stonewall, als von einer gesellschaftlichen Akzeptanz der Schwulen und Lesben noch
keine Rede sein konnte. Die Strategie des Camp, über das Vehikel des Witzes,
der Extravaganz und der Groteske die gesellschaftliche Integration anzustreben, hat
sich weitgehend erübrigt. Camp als Code für Eingeweihte hat seine entlastende
Aufgabe verloren - der Blick auf "die Welt in Anführungszeichen" ist
zu einer nostalgischen Geste geworden. In Zeiten stilistischer Beliebigkeit sind
das Zelebrieren der Oberfläche, das unfreiwillig Komische und das Überdrehte
längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, freilich um den Preis ihrer
hemmungslosen Kommerzialisierung. In den westlichen Industriestaaten gelten derweil
Homosexuelle als Avantgarde der Massenkultur, gar als Trendsetter in Fragen der Mode
und des Lifestyle. In einem liberaler gewordenen Umfeld hat Camp viel von seinem
Subversiven und Provokanten verloren, Relikte existieren allenfalls als wehmütiges
Selbstzitat und narzisstische Spielerei.
Wer nun glaubt, die "Anmerkungen zu Camp" beträfen bloss überspannte
und versnobte Intellektuelle, die sich in den Verästelungen ihres parfümierten
Geschmacks verlören, muss sich von Susan Sontag den Hinweis gefallen lassen,
dass die herablassende Behandlung des Geschmackssinns bedeutet, sich selbst herablassend
zu behandeln. Zwar gibt es nach Sontag kein System oder keine Beweise in der Sphäre
des Geschmacks, wohl aber eine Logik. Ästhetische Erfahrung in Sontags Verständnis
besteht in distanzierter Kontemplation, die eine zugleich emotionale und kognitive
Reaktion auf das Kunstwerk darstellt. Kunst erfüllt dergestalt die Aufgabe einer
intelligenten Befriedigung des Bewusstseins. Der politisch korrekte Pädagoge
mag hier einwenden: "Aber über Geschmack lässt sich nicht streiten!"
Die Connaisseuse des Camp wird entgegnen: "Nein? Worüber denn sonst?"
Andrea Bronstering |
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