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Beim
Thema "lesbische Musikerinnen'' denken die meisten erstmal an Melissa Etheridge,
k.d. lang und all die anderen, die in den späten Achtzigern und Neunzigern herausgekommen
sind. Ab und an fällt dann aber auch der Name einer Sängerin und Pianistin,
die ihr Coming-out 1975 hatte, die Country, Pop und Folk zu einem ganz persönlichen
Stil vermischt und schön regelmäßig alle paar Jahre eine CD mit neuen
Songwriting-Perlen unters lesbische Volk bringt. Die Rede ist von Cris Williamson.
Mit der US-amerikanischen Musikerin sprach Amelie Zapf.
lespress:
Du warst eine der ersten Lesben in der Musikszene, die sich geoutet haben. Für
viele Deiner Fans bist Du so eine Art Mutterfigur. Wie geht's Dir damit?
Cris Williamson:
Naja, ich denke, ich bin jetzt alt genug (lacht), dass man mich eine Mutterfigur
nennt. Die erste Platte, ``The Changer And The Changed'' hatte ja gewisse Signalwirkung.
Aber eigentlich wollte ich nur ein bisschen Musik machen, ein bisschen Kunst. Und
es geht vielen Künstlern so, die eine längere, einflussreiche Karriere
hatten. Wenn man es auf Biegen und Brechen versucht, fehlt die Einsicht. Es ist zu
angestrengt.
lespress:
Es muss aus dem eigenen Inneren kommen.
C. W.:
Ja. Mein einziger Antrieb war, etwas Schönes machen zu wollen. Ehrlich, das
ist immer noch meine Motivation. Und so bin ich in mancher Hinsicht nicht so karriereversessen,
wie ich vielleicht nach Meinung mancher Leute sein hätte sollen. Ich habe es
einfach auf mich zukommen lassen, und damit fühle ich mich eigentlich recht
wohl.
lespress:
Nur am Rande: Deine Stimme klingt noch unglaublich jugendlich...
C. W.:
Ich denke mal, das ist, weil ich innerlich jung geblieben bin. Ich bin ein altes
Kind. Ich mag diese Verwunderung, die man in Kindern sieht und ich mag es, wenn sich
Erwachsene das bewahren können. Das Geheimnis liegt darin, einfach jeden Tag
das Leben vor sich abspielen zu lassen. Wie im Traum. Und ich versuche, immer mehr
mit meinen Träumen zu verschmelzen.
lespress:
Du warst ja ursprünglich Lehrerin...
C. W.:
Aber nur kurz. Englisch an der High-School. Und ich habe viel gelesen. Ich lese immer
noch alles mögliche, schaufle es in mich rein, und Bücher kaufen gehe ich
am liebsten. Ich versuche, es in Grenzen zu halten, aber ich kann mich einfach nicht
beherrschen! Ich liebe Bücher, und ich bin froh, dass es Leute gibt, die sich
hinsetzen und Bücher schreiben, damit wir sie lesen und daraus lernen können.
Englisch ist eine sehr reichhaltige Sprache, sie kommt von überall. Alles mögliche
wurde an dieser Küste angespült, wir haben Einflüsse aus allen möglichen
Sprachen, und dieser Reichtum fasziniert mich.
lespress:
Mit Deiner Musik möchtest Du ja auch etwas vermitteln, geistige Horizonte erweitern,
und Menschen zu heilen scheint für Dich ja auch ein zentrales Thema zu sein...
C. W.:
Ja, aber ich lege es nicht darauf an. Wenn ich es versucht habe, ist nichts daraus
geworden. Aber ich bemühe mich, mich selbst zu heilen. Da fange ich an, mit
der eigenen Wunde, und ich beschreibe sie gut genug, dass alle, wo auch immer auf
der Welt, es verstehen. Und das interessiert mich. Das große Ganze. Ich fange
ganz persönlich an und arbeite ich mich zum Umfassenden vor. Andersherum wird
Kunst zu selbstfixiert. Das ist okay, solange man jung ist, wenn man anfängt.
Aber wenn man älter wird - wen interessiert dann die Einsamkeit und der Herzschmerz?
Das macht jede mal mit, und es kommt darauf an, wie man damit umgeht, welche Lektion
man daraus lernt. Kannst du es beschreiben, dass Leute sich hinterher besser fühlen?
Ich möchte immer wieder meinen Weg durchs Leben so beschreiben, als ob jede
es so erlebt hätte.
lespress:
Gibt es für Dich Grundsätze, die Dir wichtig sind?
C. W.:
Dass Dein Leben so wichtig ist wie meins. Unsere Geschichten sind verschieden, und
unser aller Leben ist wertvoll. Und dass es auf Geld nicht wirklich ankommt. Es ist
ein Mittel, und nichts, was man anbeten sollte. Es hilft, anderen zu helfen. Aber
ich will nicht Kohle scheffeln und nur an mich denken. Das ist so kleinkariert, aber
ein Großteil der Menschen macht genau das... und ein paar wenigen gehört
fast die ganze Welt. Und denen ist einfach alles egal. Und deswegen bemühe ich
mich, Verantwortung zu behalten. Dafür, was anderen passiert. Und auch, was
mit mir los ist. Und ich bemühe mich, aufmerksam zu bleiben.
lespress:
Nach den letzten Verlautbarungen der Bush-Regierung und der katholischen Kirche ist
das ja auch angesagt. Wir erleben im Moment ja einen konservativen Rückschlag.
C. W.:
Unglaublich, ja. Es geht schrittweise rückwärts. Und es sieht so aus, als
ob bei all diesen generalisierenden Angriffen niemand etwas mitbekäme. Diese
Leute haben Angst. Konservativ heißt ja eigentlich ``bewahrend''. Aber doch
bitte für alle, oder? Damit alle etwas davon haben. Und laut zu sagen, dass
die Öffentlichkeit immer wieder auf diese Falschmeldungen, diese Ablenkungsmanöver
hereinfällt, die immer wieder lanciert werden, weil sie immer gerne über
alle das Schlechteste denken. Und Leuten Angst zu verkaufen, ist einfach.
lespress:
Über niedere Instinkte, sozusagen.
C. W.:
Genau. Ein Feindbild aufzubauen ist ein simples und effektives Mittel, Leute auf
die eigene Seite zu bringen. Auf der anderen Seite gibt es starke Frauen, die über
30 Jahre lang hart gearbeitet haben, um Frauen ein Gefühl von Sicherheit zu
geben, ob sie jetzt Lesben sind oder nicht. Ich denke, das war etwas, was wirklich
allen genützt hat. Sie haben sich einfach Gedanken gemacht: Was ist, wenn hörbehinderte
Frauen ein Konzert besuchen? Niemand hat vorher über die nachgedacht, die sonst
auf der Strecke bleiben. Und ich denke mal, Frauen sind gut in sowas. Wir geben Information
weiter. Männer behalten sie eher für sich. Und ich denke mal, dass die
Geschäftswelt im großen und ganzen nach diesem Muster tickt.
lespress:
Nach einem männlichen Muster.
C. W.:
Ja, denn wem gehört denn das alles? Folgen wir einfach mal dem Geld. Frauen
haben immer noch sehr wenig davon. Es gibt wenige, die Kohle haben, die ihnen wirklich
gehört. Die sie sich selbst erarbeitet und nicht von Papi bekommen oder ererbt
oder sonstwas haben. Und viele von diesen Frauen geben das Geld weiter. Aber andere,
besonders jüngere, für die wir auch diesen Weg geebnet, diese Schneise
geschlagen, diese Türen eingetreten haben, rennen einfach durch ohne irgendwie
darüber nachzudenken, wer das denn möglich gemacht hat. Da fehlt es an
historischem Respekt, und ich finde das schade. Aber das kommt sicher noch. Das Pendel
schwingt auch mal zurück (lacht). Ich sehe mir die Generation an, die jetzt
nachkommt. Denen Feminismus wieder was bedeutet. Und sie haben diese Punk-Energie,
diese Rock'n'Roll-Vitalität, die ich einfach liebe. Und die wir in dieser Welt
einfach brauchen...
lespress:
Diesen Extrakick?
C. W.:
Genau. Und eine Menge von diesen Junglesben geben der Community etwas zurück,
sie haben irgendwie mehr Verantwortungsgefühl. Sie handeln nicht einfach egoistisch.
Man muss nur einfach lange genug leben und gottseidank habe ich das (lacht), um die
Früchte der eigenen Arbeit zu sehen.
lespress:
Die ja auch zeitlos sind.
C. W.:
Genau. Und das ist das ultimative Lob für eine Künstlerin. Darum sollte
man sich bemühen, nicht den großen Zampano spielen, nichts von alldem.
Sondern etwas schaffen, das Medizin für die Ewigkeit ist. Essen, das jedem schmeckt,
egal welche Musik sie sonst hören. Und wenn Menschen meine Stimme hören,
kommt immer das große ``Aaah''. Und sie kuschelt sich nett in ihre Ohren. Aber
das habe nicht ich erreicht. Das habe ich mitbekommen. Mein Job ist eigentlich nur,
Resonanzkörper, Gefäß zu sein. Und ich bin ganz glücklich damit.
lespress:
Wenn Du an Dir oder an der Welt etwas ändern könntest, was wäre das
dann?
C. W.:
Meine Güte (lacht)... Dass sich die Mutter im Himmel zeigt und runterschreit
``He, aufwachen! Ihr miesen Ratten! Ihr stehlt nur von allen, die Luft, das Wasser...''.
Weisst Du, ich würde mir wünschen, dass die Menschen von ihrer Gier loskämen.
Und endlich einsähen, dass das, was sie anbeten, etwas Flüchtiges ist.
lespress:
Zurück zur Musik. Du bist ja jetzt seit 30 Jahren ``out''. Was hat sich in der
Musikindustrie und bei den Zuhörern in ihrer Einstellung gegenüber lesbischen
Musikerinnen verändert? Du warst ja eine der ``Pfadfinderinnen''.
C. W.:
Als ich angefangen habe, war dieser Pfad ja auch ganz versteckt und nur wenige Abenteuerlustige
haben sich vorgewagt und sind an die Grenzen gegangen. Und ich war dabei, als wir
im Niemandsland tanzen gingen. Ich hatte keine Angst, und das lag zum Teil an meiner
Naivität. Ich habe einfach gedacht: Wer sollte sich bitte drum scheren, wen
ich liebe? Darauf kommt es nicht an, sondern darauf, was wir mit dieser Zeit zwischen
Geborenwerden und Sterben anfangen. Wir können ja wenig kontrollieren, am wenigsten
ja unsere Geburt und unseren Tod. Klar kann man sich selbst umbringen, aber wenn
man's nicht macht, dann sollte man mit dieser komischen Zeitspanne, die wir Leben
nennen, was Ordentliches anfangen.
lespress:
Komisch vielleicht. Interessant bestimmt.
C. W.:
Ja. Und dann habe ich den Pfad gesehen, und gesagt: ``Da drüben geht's weiter!
Gehen wir einfach dem Weg nach!''. Dann kam die Antwort ``Welchem Weg denn?''. Ich
sagte ``Seht ihr ihn denn nicht?'' - ``Nein, keinen Schimmer'' - ``Dann geht mal
einfach mir nach. Los geht's!'' (lacht).
lespress:
Großartige Einstellung.
C. W.:
Tja, dann habe ich mich umgedreht und diesen schulterbreiten Weg gesehen, und hinter
mir liefen zwei Frauen, dann mehr und noch mehr, und irgendwann wurde der Trampelpfad
zur Straße, die für einige Frauen zu großen finanziellen Erfolgen
geführt hat, als Lesbischsein chic wurde. Aber der Weg war für alle anders,
und das meine ich damit, lange genug zu leben, um zu sehen, wer nachkommt. Und warum.
Wer mal den Stiefel im Nacken gespürt hat, wer Unterdrückung kennt, sucht
die Freiheit. Menschen sind erstaunlich. Ich kenne keine andere Spezies, die ihre
Artgenossen so quält. In den Fünfzigern war Schande das Zentralgestirn,
um das die Leben von Lesben und Schwulen kreisten. Sie konnten sich nur an dunklen
Orten treffen, Bars und so weiter. Und ich und eine ganze Menge anderer, die in den
Siebzigern hochkamen, zuckten nur mit den Schultern: Welche Schande bitte? Ich holte
die Leute ans Licht, in die Gesellschaft, an sichere Orte und raus aus den Kneipen.
Ich sagte einfach: Kommt hierher! Die Party kann weitergehen, aber es ist dann unser
Geld, unsere Platten, unsere Musik, unsere Kunst, und Ihr werdet sie kaufen, nach
Hause nehmen, an Freunde weitergeben. So stampften wir eine ganze Kultur aus dem
Boden, was wesentlich gesünder war. Bis dahin hatte das nie jemand gesagt oder
versucht. Heute machen Frauen so gut wie alles. Und das ist gut so.
lespress:
Nun zu Deiner neuen CD ``Ashes'', auf der es ums Gehenlassen geht. Als Du und Deine
Freundin euch getrennt habt, wart ihr zwanzig Jahre zusammen. Was war der Zündfunke
für den Titel ``Ashes''?
C. W.:
Das war der erste Song, den ich geschrieben habe, am Tag nachdem ich erfahren hatte,
was Sache war. Es war eine tiefgreifende Erfahrung, der Song stieg aus meinem Unterbewussten
auf wie ein Phoenix. Und die USA machten die gleiche Veränderung durch, aus
der Asche des 11. September. Und plötzlich war der ganze Rest der Welt präsent.
Bildlich gesprochen bin ich gestorben und habe mich sofort zur Wiedergeburt angestellt
und mit dem Arbeiten angefangen. Was ich zwanzig Jahre lang gekannt hatte, veränderte
sich mit einem Schlag. Obwohl das ja auch schon eine Weile geköchelt hatte,
ich wollte es nur nicht wahrhaben. Und als es nicht mehr zu ignorieren war, war es
der Abgrund. Und ich habe mich mit dem Schreiben da rausgezogen, die Songs flossen
wie Blut aus einer Wunde, so groß wie die Welt, wie mein altes Herz, das da
in Scherben ging. Und ich hab's einfach beschrieben. So fühlt sich das an, und
ich habe das und das daraus gelernt. Du kriechst durch das Nadelöhr, und da
passt Du nur allein durch. Und über manches in dieser Zeit konnte ich sogar
lachen, als ich im Stillen verrückt spielte.
lespress:
Bist Du jetzt wieder in festen Händen?
C. W.:
Ja, wir sind jetzt drei Jahre zusammen, aber wir kennen uns schon seit dreißig.
Alte Freundinnen, die sich lieben lernten. Und das ist perfekt für mich, ich
versuche, ein paar neue Sachen zu lernen. Und sie lernt und arbeitet dauernd. Sie
kennt sich mit dem Geschäft und dem Geld aus, was genau meine Schwächen
sind. Aber sie macht nicht einfach den Krempel für mich, sie bringt ihn mir
bei. Und sie ist einfach nett. Und lustig. Wir lachen viel zusammen, aber wir beißen
uns auch gemeinsam durch. Und manchmal war es nicht ganz einfach. Ich werde ein neuer
Mensch, in jeder Hinsicht. So, mehr sage ich dazu nicht.
lespress:
Und was ist Dir im Moment wichtig?
C. W.:
Ich kann nur sagen, ich versuche andauernd, keine Angst zu haben. Ich habe, wie wir
alle, an einigen Punkten meines Lebens versucht, die Angst zu verdrängen. Mit
Drogen, mit Alkohol, vor dem Fernseher, in Büchern, mit Musik, mit Affären,
und und und. Eigentlich ist alles eine Droge. Aber manche sind besser als andere.
Und Musik ist die beste. Den alten Beethoven hören wir immer noch! Und was der
durchmachen musste, als er taub wurde! Er hat immer lautere Musik geschrieben. Wahnsinn!
Und ich würde ja so gerne mal nach Deutschland kommen. Es war ja mal was geplant,
aber den Frauen, die es organisierten, ist dann der Termin für den Veranstaltungsort
geplatzt.
lespress:
Und woran arbeitest Du gerade?
C. W.:
Ich mache ein Projekt mit Holly Near, wir haben eine CD aufgenommen und touren jetzt
damit. Manche von den Songs sind von uns, manche haben wir gecovert. Zwei von Kanadierinnen:
einen von Joni Mitchell und einen von Jane Siberry. Holly hat ein paar geschrieben,
ich auch, und so sind wir ganz froh, mal wieder zusammenzuspielen. Zwei andere Sachen
habe ich noch vor: noch eine Solo-CD und eine mit Teresa Trull. Ich hab noch keine
Ahnung, was dabei rauskommt, aber ich schreibe einfach mal und unterrichte auch wieder
Songwriting, womit ich ja ein paar Jahre aufgehört hatte. Aber jetzt bin ich
wieder dabei, halte mich gut über Wasser - das Leben geht weiter!
lespress:
Danke für das Interview!
Amelie Zapf |
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