Die "Vagina-Monologe"

 
   
  "Als ich das Buch in die Hände bekam, dachte ich: um Gottes Willen, was ist das denn für ein Stück - Feminismus, Siebziger Jahre? Wollen die mich jetzt aufklären? Was soll ich da Neues erfahren, was ich nicht schon weiß? Ich war erstmal ein bißchen ablehnend und vorsichtig. Ich habe es dann angefangen zu lesen und plötzlich habe ich gemerkt: ein paar Texte erwischen mich richtig.
Dann habe ich eine der ersten Proben miterlebt, und eigentlich waren es dann die Regisseurin und die Truppe, die mich gefesselt haben, und diese Art der Inszenierung." (Ulrike Folkerts)



Frauenpower im Berliner Theater
Vagina-Monologe Plakat BerlinDie Regisseurin Adriana Alteras inszenierte die Berliner Version der "Vagina-Monologe" von Eve Ensler. Vier Wochen lang - und das mitten in der Sommerpause - liefen die Vagina-Monologe mit überwältigendem Erfolg. Die meisten Vorstellungen waren ausverkauft.
Ulrike Folkerts stand an zwei Abenden mit auf der Bühne. Von der Premiere war sie begeistert: "Das Buch zu lesen war bitter. Es war erschreckend, daß Frauen doch so ein merkwürdiges bzw. gar kein Verhältnis zu ihrer Vagina haben. Das kam in diesen Texten sehr deutlich zum Vorschein. Was die vier Schauspielerinnen aus diesem Stück gemacht haben, das finde ich ganz außergewöhnlich. Das habe ich vorher nicht darin gelesen. Es ist ein echtes Theatererlebnis für mich gewesen: soviel Frauenpower zu spüren, soviel Lust, Spaß und Freude dabei, mit so einer Leichtigkeit über dieses Thema zu reden, und auch eben mit einem guten Humor, und mit Sarkasmus an der richtigen Stelle. Ich habe schon lange nicht mehr so Bravo geschrien und getrampelt und so lange geklatscht, bis mir die Hände wehgetan haben."

Vorgeschichte
Die New Yorker Journalistin, Dramatikerin und Theaterschriftstellerin Eve Ensler ist selbst Überlebende von sexueller Gewalt. Sie machte sich Sorgen "über das, was wir über Vaginas denken", aber noch mehr beunruhigte sie, "daß wir nicht über sie nachdenken." So begann sie, mit Frauen über ihre Vaginas zu sprechen. Sie führte Interviews mit "älteren Frauen, jungen Frauen, verheirateten Frauen, alleinstehenden Frauen, Lesben, Universitätsprofessorinnen, Schauspielerinnen, Managerinnen, Sex-Arbeiterinnen, afrikanischen, lateinamerikanischen, asiatischen und jüdischen Frauen in Amerika." In über zweihundert Interviews vertrauten die Frauen ihr ihre intimsten Erfahrungen an. Daraus entstanden das im prüden Amerika bis heute heiß umstrittene Theaterstück und das Buch. In ihrer Einleitung zu den Vagina-Monologen schreibt Eve Ensler: "Vagina. Jetzt habe ich es ausgesprochen. Vagina. Und nochmal. ... Was wir nicht aussprechen, wird ein Geheimnis, und Geheimnisse erzeugen oft Scham, Furcht und Legenden. Ich spreche es aus, weil ich mich eines Tages nicht mehr beschämt und schuldig, sondern gut fühlen will, wenn ich es ausspreche. ... Meine Vagina war etwas, das da unten war, weit weg. ... Sie war ein belasteter, mit Angst besetzter Ort. ... Später, nachdem du das Wort zum hundertsten oder tausendsten Mal ausgesprochen hast, wird dir klar, daß es DEIN Wort ist, DEIN Körper, DEIN wichtigster Ort."

Hoffnungsvolle Aktivistin
Eve Enslers Ziel ist ein Ende der Gewalt gegen Frauen. Mit den Vagina-Monologen wird in den USA seit Jahren Geld für Frauenprojekte und gegen Gewalt gesammelt. 1998 initiierte Eve Ensler den V(agina)-Day als Aktionstag gegen Gewalt gegen Frauen, meist am 14. Februar, dem Datum des Valentinstages. Zum V-Day 2001 kamen durch eine mehrstündige Lesung und Veranstaltung im Madison Square Garden Millionen von Dollar zusammen. Zu den Akteurinnen gehörten neben Oprah Winfrey, Glenn Close, Jane Fonda und Calista Flockhart auch Queen Latifah, Alanis Morissette, Joan Osborne und Melissa Etheridge.

Das Theaterstück
Die Off-Broadway-Produktion wurde 1997 mit dem begehrten Obie-Award der New Yorker Stadtzeitung Village Voice, einem wesentlichen Forum für neue amerikanische Theaterströmungen, ausgezeichnet. Inzwischen läuft das Stück in vielen Ländern mit großem Erfolg. So auch in London; hier nahmen an der Benefizveranstaltung im Old Vic zum V-Day Kate Winslet und andere bekannte Schauspielerinnen teil.

Berlin
Im Gegensatz zu den USA - dort werden die Vagina-Monologe vom Barhocker aus vorgetragen - wird Adriana Alteras´ Inszenierung in Berlin von vier Schauspielerinnen gespielt und gesungen.
Rosa Enskat: "Wer zu spät KOMMT, den bestraft das Leben." Die Schauspielerin und Sängerin aus Mecklenburg-Vorpommern beeindruckte durch komisches Talent und einen wunderbar trockenen Humor.
Dominique Chiout: "Als ich gefragt wurde, dachte ich: Wow, weil ich wußte, wer das alles gespielt hatte in den Staaten. Und dann dachte ich: Scheiße. Will ich mich wirklich auf die Bühne stellen und was über meine Muschi erzählen!?"
Verena Peter: "Ich spreche es aus, weil ich mich eines Tages gut fühlen will, wenn ich es ausspreche."
Barbara Spitz: "Wenn Freunde fragen: was machst du jetzt? Und ich sage: ich probe die Vagina-Monologe - 21, 22 und dann gehen die Gespräche los. Das wäre vorher nicht meine "Dinner Invitation Conversation" gewesen. Ich setze mich nicht hin und fange an, über meine Vagina oder ihre Vagina oder sonstwems Vagina zu reden - meistens jedenfalls..."

Prominente Gäste
Wie in den USA wurden auch in Berlin Politikerinnen, Medienfrauen, Sportlerinnen usw. angesprochen, als prominente Gäste an den Vagina-Monologen mitzuwirken. Angela Merkel und Sabine Christiansen wollten nicht, aber eine ganze Reihe von Schauspielerinnen sagte sofort zu.
Maren Kroymann hatte keine Schwierigkeiten mit dem Thema: "Vaginas? Haben mich schon immer interessiert."
Hannelore Elsner rief so schnell mit ihrer Zusage bei der Regisseurin Adriana Alteras auf dem Handy an, daß diese dachte, ihre Darstellerinnen würden sie auf den Arm nehmen.
Die Wahl-Berliner Kabarettistin Gayle Tufts fand: "The world needs all the vagina-power it can get." Aber es gab auch sehr viele Absagen. Eine bekannte Volksmusik-Sängerin vermutete gar die "Versteckte Kamera" hinter der Anfrage.
Von den jeweiligen Stargästen läßt die Regisseurin Adriana Alteras einen Text zu den Massenvergewaltigungen in Bosnien vorlesen, weil dieser nicht spielbar sei. Daneben darf sich jede aus dem Buch weitere Stücke aussuchen, die sie vortragen möchte. Hannelore Elsner war der Gast der ersten zwei Abende. Sie buchstabierte lustvoll mit den Worten flirtend das Wort "Fotze" lautmalerisch durch: "Versteck, fließen, Flieder, versperrt, formschön ... offen ...Tunnel, tanzt den Tango, Tiefe ... Zelt, Zeit, Zauber ... Sahne, standhaft ... erquicken, ertasten - erzähl mir von der Fotze!"

Das Lena-Odenthal-Stöhnen und die Tschurimuri
Ulrike Folkerts, Photo: Irene HummelUlrike Folkerts wählte für ihre Auftritte einen Text mit den Aussagen junger Mädchen zu ihrem ersten Menstruationserlebnis. Zur allgemeinen Stöhn-Arie trug sie ein Tatort-Stöhnen bei. Außerdem wollte sie an einem lesbischen Stück teilnehmen, das schon Teil der Inszenierung war: "Ich war auf einer der allerersten Proben und habe gesagt: wenn ich mitmache, dann möchte ich diesen Text lesen, weil der so bitterböse anfängt und dann im Alter von dreizehn Jahren so eine schöne Kurve kriegt."
In diesem Text erzählt ein Mädchen verschiedene Erlebnisse aus der Kindheit rund um ihre "Tschurimuri", eines brutaler als das andere. Mit dreizehn hat sie dann ein von ihr als sehr schön empfundenes lesbisches Erlebnis mit einer 24jährigen Nachbarin.
Ulrike Folkerts: "Alles, was sie vorher erlebt, ist fürchterlich. Sie kriegt ein Verhältnis zu sich, zu ihrem Körper und zu ihrem Geschlechtsteil, das ist unerträglich. Ich kenne genug Frauen, die aufgrund von Mißbrauch ihr ganzes Leben nicht glücklich und froh werden. Und nun hat sie etwas so Tolles erlebt, was ihre Wunden vielleicht ein bißchen geschmälert hat und ihr eine neue Perspektive aufgetan hat. Ob sie nun lesbisch bleiben muß oder nicht, das ist völlig unwichtig, aber sie hat sich wiederentdeckt und sich wiederbekommen und ein neues Gefühl zu sich bekommen. Das fand ich an dem Text total klasse."
Der Text endet im Buch und in der Inszenierung mit den Worten: "Später sagen die Leute, daß das Ganze eine Art Vergewaltigung war. Na gut, falls es eine Vergewaltigung war, war es zumindest eine gute Vergewaltigung..."
Auch Ulrike Folkerts sieht das Problem: "Ja, klar, das geht normalerweise vor Gericht, und man kann es Vergewaltigung nennen", und erzählt dann: "Ich habe vor kurzem einen Päderasten durch den Grunewald gejagt, weil der am See nackte Kinder beim Baden gefilmt hat. Als ich ihn angesprochen habe, was er da macht, hat er mir erzählt, er würde Natur filmen. Da habe ich gesagt, dann zeigen Sie mir mal Ihre Naturaufnahmen. Er hat seine Kamera eingepackt und wollte gehen. Ich habe Passanten gesagt, sie sollen die Polizei anrufen; und dann ist er gerannt und ich bin hinterhergerannt. Wir haben ihn zu zweit eine halbe Stunde nicht aus den Augen gelassen und ihn einfach nur verfolgt. Der hat ziemlich Schiß bekommen, und an dem See zumindest wird der nicht mehr filmen! Ich habe sehr wohl ein offenes Auge für solche Geschichten."

Rund um die Vagina
Wie riecht eine Vagina? Was würde sie anziehen? Was würde sie sagen?
Immer wieder finden die Berliner Darstellerinnen bewundernswert elegant den Bogen von Situationen voller Humor zu absolut erschütternden Erlebnissen und zurück. Adriana Alteras hat ein amüsantes Plädoyer für die weibliche Selbstbestimmung inszeniert, das aber nie ins Alberne abgleitet und viel Stoff zum Nachdenken liefert: "Die Schauspielerinnen sprechen für die, denen die Worte fehlen." Sei es, weil ihnen unfaßbare Gewalt angetan wurde,wie das (Kriegs-)Verbrechen Vergewaltigung; sei es, weil das weibliche Geschlecht für sie immer mit Scham und Schuld behaftet ist, aufgrund ihrer Sozialisation und ihrer ersten sexuellen Erfahrungen.
Viel Raum ist aber auch für Lustvolles, für Spaß und Freude, für die Entdeckung der Klitoris und für Selbstbefriedigung. Lust wie bei der ehemaligen Steueranwältin, heute Sexarbeiterin, die süchtig danach wurde, Frauen zum Stöhnen zu bringen und sie glücklich zu machen. In einer anderen Rolle erforschen sich alle selbst als Teilnehmerinnen eines Vagina-Workshops.

Ein Entwicklungsprozeß
Die Schauspielerin Rosa Enskat fand das Stück zunächst überflüssig: "Der Text könnte aus den Siebzigern stammen. Wer braucht das heute noch?" Doch dann zog es sie in den Bann. Im Laufe der Proben geriet sie wie alle anderen immer wieder an ihre Grenzen: "Wir haben alle einhellig gesagt: gedruckt gerne, beim Frauenarzt vorne im Sprechzimmer, aber nicht auf die Bühne als Theatertext." Doch der Umgang mit ihrer Sexualität, das Ausloten ihrer Schamgrenzen und das ständige Gespräch miteinander habe sie verändert und positiv beeinflußt. Das bestätigt auch die Regisseurin Adriana Alteras: "Es gibt einen Text von Eve Ensler, wo sie sagt, daß der Umgang mit dem Thema sie verändert habe. Und ich habe es nicht geglaubt, aber es ist so. Am Anfang habe ich gedacht, mein Gott, Vagina, was soll ich da reden; dann konnte ich es eine Weile nicht aussprechen, und inzwischen ist mir das täglich Brot."

Glückliche Lesben
Ulrike Folkerts dagegen geht das V-Wort schon lange locker von den Lippen: "Durch mein Coming-Out habe ich ganz viel über meine Sexualität nachdenken müssen. Ich glaube, Heteros tun das einfach nicht so sehr. Jahrelang habe ich mir den Kopf zerbrochen: warum, wieso ich usw. Inzwischen stelle ich mir diese Fragen zum Lesbischsein nicht mehr. Ich bin es einfach, und ich finde das auch gut so! Damals habe ich mich aber sehr viel damit - und dabei natürlich auch mit Vaginas - auseinandergesetzt."

Fortsetzung geplant
Vagina-Monologe Plakat KoelnNeben jeder Menge überschäumender Begeisterung beim Publikum gab es leise Kritik von Lesbenseite: "Wo bleiben die wilden Vaginas? Ich hätte mir mehr Frauen gewünscht, die ihre Vagina nicht erst suchen müssen, sondern schon gefunden haben und wirklich wilde tolle Sachen damit anstellen!"
Eine andere: "Das Stück würde für mich noch gewinnen, wenn es mal nur für Frauen/Lesben aufgeführt würde."
Von dieser Idee schien die Regisseurin Adriana Alteras ganz angetan, sie mußte jedenfalls nicht besonders davon überzeugt werden. Aber sie sah keine Chance, einen Frauen/Lesben-Abend noch in der August-Reihe unterzubringen. Doch ab 20. November steht das Stück für weitere drei Wochen (Verlängerung möglich) auf dem Spielplan der Arena Berlin. Ulrike Folkerts wird wieder dabei sein. Für die Fortsetzung im November plant das Theater außerdem, ganz in der US-Tradition, einen Benefiz-Abend.

Irene Hummel

Berlin: 20.11. - 9.12. Regie: Adriana Alteras, Ort: Arena, Berlin-Treptow
Wien: 26.9. bis 5.10. Regie: Katrin Aissen, Ort: kosmos Frauenraum, Wien
Köln: 26. + 27.10. Regie: Frank Müller-Sendino, Ort: Sendino-Theater, Köln
(Die Kölner Produktion wird vom 5.11 bis 11.11 auf Mallorca gespielt)

London:
www.vaginamonologues.co.uk
USA:
www.vaginamonologues.com
www.vday.org

Eve Ensler "Die Vagina-Monologe"
Nautilus Verlag, 2000, DM 24.80
 
   
   
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