Im Gespräch: Sybill Klotz

 
   
  Sybill Klotz, Photo: Andreas Schoelzel?Es zeichnet sich eine Rollenverteilung im Berliner Wahlkampf ab. Frank Steffel (CDU) mimt den Pausenclown, Greogor Gysi (PDS) polarisiert. Welche Rolle übernehmen Sie?

Es ist nicht unbedingt einfach, sich in den Runden mit den vier Männern und ihren Kommunikationsstrukturen, zu behaupten. Wir wollen vor allem einen inhaltlichen Wahlkampf machen. Sicherlich, was in den Medien und Talkshows stattfindet, dem können wir uns nicht entziehen, aber dort findet nicht der hauptsächliche Wahlkampf statt.

?Im Fall einer Ampelkoalition: In welchen Bereichen werden die Grünen und die FDP die größte Kompromissbereitschaft zeigen müssen?

Schwer zu sagen, weil mir ein Wahlprogramm der FDP bislang nicht bekannt ist. Den Medien entnehme ich, dass die FDP an sechsspurige Autobahnen denkt, was absurd ist und diametral zu unserem Programm steht. Auch für einen Ausverkauf von Berlin durch pauschale Privatisierungen, wie die FDP sie vorsieht, stehen wir nicht zu Verfügung. Ich denke jetzt schon, Koalitionsverhandlungen dürften sehr schwierig werden, und sehe keine großen Gemeinsamkeiten.

?Mit Klaus Wowereit als schwulem Regierenden Bürgermeister: Welche Gründe gibt es denn noch für Berliner Schwule und Lesben, grün zu wählen?

Alle! Es gibt alle Gründe. Auf Bundesebene das Gesetz zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft voran- und durchgebracht zu haben, ist eindeutig ein grüner Erfolg. Auf der landespolitischen Ebene hat es in den ganzen letzten Jahren in der Fraktion immer schwulen- oder lesbenpolitische Sprecher gegeben. Lange bevor Klaus Wowereit die Regenbogenfahne am Berliner Rathaus gehisst hat, hat unsere grüne Bürgermeisterin Elisabeth Ziemer das in Schöneberg getan, gegen die Flaggenverordnung und den damaligen Innensenator Werthebach. Wir sind die Vorreiter in der Gleichstellung von Schwulen und Lesben.

?Gehen Sie als lesbische Spitzenkandidatin in den Wahlkampf?

Nein. Ich gehe offen damit um, das tue ich schon sehr viel länger als andere. Aber ich glaube nicht, dass es entscheidend für die Frage der Haushaltskonsolidisierung oder Privatisierung ist, welche sexuelle Orientierung eine Kandidatin oder ein Kandidat hat.

?Erwarten Sie bei einem eventuellen schwul-lesbischen Führungsduo aus Klaus Wowereit und Ihnen gesteigerte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Ihr Privatleben?

Das hoffe ich doch nicht! Darauf kann ich gut verzichten.

?Treten Sie bei offiziellen Anlässen mit Ihrer Partnerin auf?

Es gibt durchaus Anlässe, zu denen wir gemeinsam gehen, aber warum soll ich ihr irgendwelche langweiligen Stehempfänge zumuten, wo ich mich selbst nicht richtig wohlfühle?

?Was kann sich an schwul-lesbischer Politik in Berlin mit einer rot-grünen Koalition tun?

Wir haben in den verbleibenden Wochen der Legislaturperiode einen gemeinsamen Antrag mit der SPD eingebracht, damit das Lebenspartnerschaftsgesetz zügig im Berliner Landesrecht verankert und die rechtliche Gleichstellung zwischen Ehepaaren und homosexuellen Paaren hergestellt wird. Für die nächste Legislaturperiode gibt es eine ganze Reihe von umsetzungswerten Vorschlägen. Es wird endlich Zeit, dass das Mahnmal für die verfolgten homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus realisiert wird. Und zwar an einer zentralen Stelle, wo es wirklich präsent ist, und nicht in den Außenstadtbezirken oder einer Seitenstraße. Wir haben uns vorgenommen, mehr dafür zu tun, dass Kinder und Jugendliche ein angstfreies Coming-out erleben können. Dazu gehört, dass die Richtlinien für den Sexualkundeunterricht, die aus dem Jahr 1972 stammen, überarbeitet werden, dass es unterschiedliche Lebensweisen gibt, die in keiner Hierarchie zueinander stehen, sondern gleichwertig sind, und dass es eine Entscheidungsfreiheit der Kinder und Jugendlichen gibt, wie sie perspektivisch leben wollen. In einer angestrengten Haushaltssituation wie in Berlin werden wir darauf achten, dass die Projekte und freien Träger, die im Bereich der Lesben- und Schwulenarbeit tätig sind, abgesichert und nicht benachteiligt werden. Durch Leistungsverträge soll die Kontinuität ihrer Arbeit gewährleistet werden. Wir müssen wegkommen von Zuwendungsempfängern hin zu Leistungsverträgen über Pauschalsummen, damit es endlich aufhört, dass man im Dezember noch 100 Bleistifte kauft, um das Geld irgendwie auszugeben.

?Wie stehen Sie zum Outing?

Finde ich nicht richtig. Das muss jeder und jede für sich entscheiden. Allerdings: wenn ein Politiker, von dem alle wissen, dass er schwul ist, zum Beispiel gegen die Eingetragene Partnerschaft polemisiert, wäre ich bei einem Outing nicht von Mitleid durchströmt. Aber prinzipiell denke ich, das muss jeder und jede für sich entscheiden. Ich kann nur empfehlen, es zu tun. Allen, die ich kenne und die nicht geoutet sind, geht es nicht gut damit. Geoutet lebt man etwas entspannter.

?Wo wären Sie heute, wenn Sie zur Wendezeit nicht in die Politik gegangen wären?

Keine Ahnung, ich weiß es nicht. Ich denke, ich wäre nicht mehr an der Universität. Zu DDR-Zeiten wollte ich immer Journalistin werden, das fand ich einen ganz spannenden Beruf, und hätte da womöglich versucht einzusteigen.

?Wo liegt unausgeschöpftes Wählerpotenzial der Grünen in Berlin?

Es gibt eine ganze Reihe von Kreisen und Gruppen, die wir eigentlich erreichen müssten. Wir müssen wieder präsenter werden im Bereich jugendlicher Protestwähler. Genua ist für mich ein eindeutiges Beispiel gewesen, dass die These der konsumorientierten Jugend in dieser Pauschalität nicht stimmt. Sie sind an bestimmten politischen Formen nicht interessiert. Das haben die Grünen früher besser drauf gehabt. Sie waren nicht nur jünger, sie waren auch konfrontativer, widersprüchlicher, haben sich zum Teil im Äußeren unterschieden. Unangepasstheit und zugleich Regierungsfähigkeit, das ist die Gratwanderung, die wir hinkriegen müssen. Ansonsten haben wir eine gute Chance, bei Frauen Stimmen zu kriegen. Es sind vier Spitzenkandidaten, so wie im wirklichen Leben. Wenn es um Einsatz, Macht und Politik geht, sind alle Quoten dieser Erde vergessen.

?An der Omnipräsenz der Grünen in Berlin und Hamburg anlässlich der ersten Verpartnerungen am 1. August wurde in schwul-lesbischen Medien stellenweise auch Kritik geäußert.

Ich kenne diese Kritik nicht. Feiern muss doch gestattet sein. Wir Grünen liegen ja, wenn uns etwas nicht gelingt, deprimiert in der Ecke. Andererseits haben wir es in der Vergangenheit oft nicht geschafft, unsere Erfolge zu feiern und öffentlich zu machen. Am 1. August war das anders. An den zentralen Punkten in Hamburg und Berlin haben viele Grüne deutlich gemacht: "Es ist unser Erfolgė. Aber es war auch ein Ausdruck von Freude, es war spürbar, das wir etwas Richtiges geschafft haben. Kritik von Omnipräsenz teile ich nicht.

?Werden Sie Ihre Partnerschaft eintragen lassen?

Nein. Ich habe überhaupt keinen Anlass dafür. Ich habe zu denen gehört, die sich relativ spät mit der Eingetragenen Partnerschaft angefreundet haben. Von feministischer Seite aus habe ich immer die Position vertreten, dass wir die Entprivilegierung der Ehe und das Fördern des Lebens von Menschen mit Kindern, Pflegebedürftigen und wem auch immer erreichen müssen. Nicht die Tatsache, dass man steuerliche Vorteile allein dadurch hat, dass man miteinander verheiratet ist. Ich habe eingesehen, akzeptiere und respektiere, dass auch Freundinnen von mir gesagt haben: "Es ist ja schön, dass Du an den Utopien in weiter Ferne arbeitest, aber ich lebe hier und heute, und meine Freundin hat hier keinen gesicherten Aufenthaltsstatus. Und ich möchte die Eingetragene Lebenspartnerschaft, um auch endlich eine gesicherte Rechtsbasis zu haben.ė Das habe ich zu akzeptieren. Auch wenn ich nach wie vor finde, dass sich an der Privilegierung der Ehe etwas ändern muss.

?Für wie realisierbar halten Sie weitergehende Forderungen wie das Adoptionsrecht für Schwule und Lesben?

Ich hätte mir das Adoptionsrecht sehr herbeigewünscht. Wie mit Adoptionen für Lesben und Schwule umgegangen wird, finde ich wirklich ungeheuerlich. Ich kenne Einzelfälle, wo Adoptionen zugestimmt wird, weil das Kind an HIV oder Krebs erkrankt ist. Ich habe selber eine 17-jährige Tochter großzogen, lange Jahre in einer Frauenbeziehung, und weiß, wie gut es Kindern in einer homosexuellen Beziehung gehen kann. Insofern ist das fehlende Adoptionsrecht immer noch Ausdruck der Einstellung, dass Kinder besser in einer heterosexuellen Partnerschaft groß werden sollen. Es war bisher nicht durchsetzbar. Wir werden es aber durchkämpfen. Auch wenn es länger dauert, als wir uns gedacht haben.

?Welche Impulse möchten Sie in die Frauenpolitik einbringen?

Erstmals wieder Frauenpolitik machen! In den letzten Jahren sind frauenpolitische Themen komplett untergegangen. Berlin braucht eine andere Diskussionskultur. Die Tatsache, dass 52 Prozent der Bevölkerung Frauen sind, spielt in der momentanen politischen Debatte fast überhaupt keine Rolle. Daran muss man etwas ändern. Ich möchte über Arbeitszeitmodelle reden, die es Frauen und Männern möglich machen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Ich möchte erreichen, das Frauen in Führungspositionen stärker vertreten sind, nicht nur auf der politischen sondern auch der privatwirtschaftlichen Ebene. Ich möchte darauf Einfluss nehmen, dass der Wechsel im Wissenschaftsbereich mit der Pensionierung zahlreicher Professoren zur Chance für Frauen wird. Auch im Bereich Frauen und IT muss viel mehr passieren.

?Wie sehr spielt "Geschlecht" im Berliner Abgeordnetenhaus eine Rolle?

Interessant ist, dass es kaum reflektiert wird. "Geschlecht" spielt eine Rolle, ganz klar, aber es gibt keine Debatte darüber. Es gibt eine Kultur unter Männern, Netze zu spannen und sich fraktions- und parteiübergreifend zu organisieren. Solche Netze haben Frauen noch immer viel zu selten. Auch im Berliner Abgeordnetenhaus sind die Spitzenpositionen ganz selten von Frauen besetzt. Wenn man in den anderen Politikfeldern eine Frauensichtweise einführen will oder von "gender mainstreaming" spricht, bricht heiteres Gelächter aus. Man muss immer wieder darum kämpfen, Frauenpolitik zu integrieren und zu positivieren. Es wird sehr gerne darüber hinweg gegangen.

Interview: Leonie Wild
Photos: Andreas Schoelzel
 
   
   
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