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Schlecht sehen,
schlecht hören, Vergesslichkeit - die Geißeln alternder Menschen? Mumpitz!
Diese kleinen Gebrechen können ausgesprochen spassig sein, ja sogar das Leben
bereichern. Warum sich an Dinge erinnern, an die frau sich nicht erinnern mag? Oder
nehmen Sie die nachlassende Sehkraft. Der morgendliche Blick in den Spiegel wird
einer doch nur vergällt, wenn sie dabei die Brille aufsetzt. Unbewaffneten Auges
in den Spiegel geschaut und schon ist man begeistert, alles glatt und runzelfrei,
wie mit dem Weichzeichner. Sehn Sie. Wer wird also wegen ein bißchen nachlassender
Sehkraft gleich in die Altsteinzeit wollen, wie immer mehr bereits 55jährige
(stand in der Zeitung). Ach, da stand gar nicht "Altsteinzeit" sondern
Altersteilzeit"? Naja, der Unterschied, finde ich, ist nicht so groß,
zumindest typografisch.
Auge und Ohr sind ja die wesentlichen Organe, mit denen mensch die Welt erfasst.
Ich behaupte nun, das Ohr der Seniorin, das nicht mehr so scharfe Auge haben erhebliche
Vorteile gegenüber jugendfrischen Sinnesorganen. Sind letztere doch vor allem
damit beschäftigt, schöne Oberflächen zu checken und grobe Technobeats
zu orten. Die gereiften Sinnesorgane der Seniorin dagegen blicken hinter die Kulissen,
durchdringen den mehr oder weniger schönen Schein. Sie erkennen sozusagen den
geheimen Subtext hinter der medial vermittelten Realität. Oder wie soll ich
sonst die Hartnäckigkeit interpretieren, mit der bisher noch jede von mir benutzte
Tastatur eines Schreibgerätes aus "Bundestagsabgeordneten" "Bundestagsangeordnete"
zu machen pflegt? Angesichts des Drucks, mit denen unsere Volksvertreter von Parteioberen
auf Linie gebracht werden, enthüllt dieser Tippfehler doch gerade zu auf geniale
Weise das Wahre im Falschen. Zeugt es angesichts von Fremdenfeindlichkeit und rassistischen
Vorfällen nicht von hoher Sensibilität, wenn mein altersreifes Auge immer
mal wieder statt "Standort Deutschland" "Schandort Deutschland"
liest? Ist der Unterschied zwischen "Waschlappen" und "Wahlschlappen"
wirklich so groß, dass frau sich deshalb eine neue Brille anschaffen muß?
Wichtig ist natürlich, mit den kleinen Bresthaftigkeiten kreativ umzugehen.
War übrigens schon mal Thema einer ganzen Messe; in Düsseldorf gabís vor
ein paar Jahren die "Creativa ë96". Ich weiß Bescheid, ich war da.
Offengestanden mehr per Zufall. Ich hatte die Ankündigung im Radio ein bißchen
mißverstanden: "Kreativer Sex mit neunzig" hatte mein Ohr meinem
leicht verblüfften Hirn übermittelt. (Da kann frau nie früh genug
vorsorgen).
Eine "Krise für Sehbehinderte" kündigte das Lokalblatt gestern
an. Das hat mich doch nachdenklich gemacht. Ich werde mich zwar nicht zu einem der
Kurse für Sehbehinderte anmelden. Aber vielleicht doch mal das Brillenrezept
rauskramen und zum Optiker gehen. Sonst droht am Ende noch "Selbstmord wegen
zuviel Scherzen". Da wär dann wohl die Schmerzgrenze erreicht. Weiß
leider nicht mehr, wo ich das Rezept für die neue Brille hingelegt habe.
Claudia Pinl |
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