Was ich noch zu sagen hätteÖ  
  Die katalanische Regisseurin Isabel Coixet erzählt in ihrem Spielfilm "My life without me" von dem Abschied einer jungen Frau vom Leben und folgt ihr bei ihren Vorbereitungen auf "Mein Leben ohne mich".  
  My life without me - Bild: VerleihMinuten, manchmal auch Sekunden können ein Leben verändern, manchmal reicht auch nur ein Satz. Ein Satz wie "Sie haben nur noch zwei, maximal drei Monate zu leben."
Isabel Coixet porträtiert in ihrem Spielfilm eine junge Frau, die im Krankenhaus nach einem Zusammenbruch mit genau diesem Satz konfrontiert wird. Ann (Sarah Polley) sitzt in der Klinik neben ihrem Arzt. Er kann sich ihr nicht gegenübersetzen, ihr nicht in die Augen sehen, um die Hiobsbotschaft zu verkünden: Krebs. Schnell wachsender Tumor. In ihrem Alter. So jung. Da wächst er besonders schnell. Ann ringt um Fassung, Emotionen wechseln in ihrem Gesicht: Ungläubigkeit, Angst, Fassungslosigkeit, Beherrschung. Mühsam hält sie Tränen zurück, fragt sarkastisch: Eine Zigarette würden Sie mir jetzt nicht geben, oder? Nein, aber ein Ingwerbonbon. Ann lutscht den Bonbon, bemerkt seinen guten Geschmack, nimmt ihn bewusst wahr, wahrscheinlich bewusster als je zuvor.

Ann beschließt die ihr verbleibenden Kräfte dem Leben zu geben, sie nicht einer Chemotherapie zu opfern. Und sie beschließt zu schweigen, ihrer Familie nichts von ihrer Krankheit zu erzählen. Nicht ganz uneigennützig, denn im Angesichts des Todes denkt die junge Frau auch an sich selber. Denkt an all die Dinge, die sie noch leben möchte: eine andere Frisur tragen, immer ihre Meinung sagen, mit einem anderen Mann schlafen, schaffen, dass sich jemand in sie verliebt, trinken und rauchen nach gusto und ihren Vater (Alfred Molina) im Knast besuchen. Und an die Dinge, die sie noch tun muss, bevor sie gehen kann: ihrem Mann eine Frau und ihren Kindern eine Mutter zu suchen.
Sie weiß, nennt sie den Tod beim Namen, gibt es für sie kein Leben mehr davor, nur noch ein langsames Sterben, begleitet von ihrer Familie. Ein Abschiednehmen am Krankenbett will sie sich und ihnen ersparen.

Sarah Polley spielt die todgeweihte Ann mit Intensität, zieht die Zuschauer in ihren Bann, lässt sie teilhaben an stummer Verzweiflung, angespannter Ruhe, kraftvollem Lebenwollen und tapferem Abschiednehmen. Dafür bewundern wir sie. Für ihre Souveränität, wie sie die ihr verbleibende Zeit angeht. Deswegen weinen wir, weil diese Zeit so kurz ist, weil in jeder Freude der Schmerz des Abschieds liegt.
Nur das allzu harmonische Familienleben mit zwei entzückenden Mädchen, einem liebevollen Ehemann und einer vor Liebe überschwänglichen Mutter und Ehefrau ist zu dick aufgetragen. So kann das Leben nicht sein, so ist das Leben nicht. Aber Sarah Polley fängt dieses Missverhältnis auf, findet im Angesichts des Todes zu sich selber - ohne die anderen aus den Augen zu verlieren, sie weniger zu lieben.

Auch in dem Spielfilm "Things I never told you" (1996) lässt Isabel Coixet die von ihrem Geliebten verlassene Ann (Lili Taylor) ein Band besprechen mit Dingen, die sie ihm nie hat sagen können. Auch Sarah Polleys Ann bespricht Bänder. Bänder, auf denen sie all die Dinge sagt, die sie nie wird sagen können. Sie nimmt Geburtstaggrüße für ihre Töchter auf, bis zu ihrem 18ten Lebensjahr. Sie erklärt ihrem Mann (Scott Speedman), warum sie nicht mit ihm über ihren bevorstehenden Tod reden konnte, sie erzählt ihrem Geliebten (Mark Ruffalo) wie er glücklicher leben kann und spricht ihrer Mutter (Deborah Harry) ihr Vertrauen aus. Und sie beobachtet ihre Nachbarin Ann (Leonor Watling) im Spiel mit ihren Kindern, im Gespräch mit ihrem Mann - und wagt somit einen Blick auf das Leben "ohne mich".

Einige Recherchefehler (Sternzeichen Wassermann im Dezember, zweieiige siamesische Zwillinge) stören kurz den Fluss des Filmes, doch Ann's Geschichte zieht die Zuschauer sofort zurück ins Geschehen.
Die Zerbrechlichkeit des Lebens symbolisiert ein manchmal am Straßenrand stehender Gläserspieler. Fein und fragil klingt die Glasmusik - einen Ton zu hoch und die Gläser werden zerspringen.

Dagmar Trüpschuch


Mein Leben ohne mich, Spanien/Kanada 2003, R: Isabel Coixet,
100 Min., Start: 4 September
 
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