Eine Frau vom linken Seine-Ufer  
  Djuna Barnes  
  Die ursprünglich in den USA geborene Schriftstellerin Djuna Barnes verbrachte die intensivste Phase ihres Lebens im Paris der Zwanziger Jahre. Als eine der Frauen aus dem literarisch-künstlerischen Zirkel um Natalie Clifford-Barney zelebrierte sie mit Romanen wie "Nightwood" und Geschichtensammlungen wie "Ladies Almanach" die Literatur und das lesbische Leben. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieg geriet sie jedoch in Vergessenheit. Erst die feministische Bewegung der letzten Jahrzehnte entdeckte sie wieder und feierte ihr Werk - gerade noch zu Lebzeiten.

Djuna Barnes wurde am 12. Juni 1892 in Cornwall-on-Hudson, New York, geboren. Ihre englischstämmige Mutter, Elizabeth Chappell, und ihr Vater Henry, genannt "Wald", vererbten Djuna und ihren vier Geschwistern ihr künstlerisches Talent: Elizabeth war begabte Violinistin; Wald, der genug geerbt hatte, um seine Familie ernähren zu können, suchte sein Glück im Freidenkertum und als leidlich erfolgreicher Schriftsteller. Die Kinder wurden, wie vor allem in englischen Upperclass-Familien üblich, außerhalb des Schulsystems erzogen und von den Eltern unterrichtet. Für Djuna und den späteren Verlauf ihres Lebens war jedoch primär der Kontakt zu ihrer Großmutter entscheidend : Zadel Barnes Gustafson hatte selbst im journalistischen Bereich gearbeitet, war jedoch vor allem eine der vorrangigen Verfechterinnen des amerikanischen Frauenwahlrechts.
Derart liberal und freigeistig erzogen, konnte sich Djuna zuerst nicht recht entscheiden, welchen künstlerischen Weg sie denn nun einschlagen sollte: Als sie 1911 in die aufregende Großstadt New York und hier ins Greenwich Village zog, arbeitete sie zunächst als Illustratorin. Ihre aussdrucksstarken Zeichnungen wurden häufig zur stimmungsvollen Untermalung von Artikeln verwandt. Gleichzeitig machte Djuna Barnes sich jedoch einen ersten Namen als Journalistin, indem sie sich in kurzen Reportagen vornehmlich der mannigfaltigen BewohnerInnen und Lebensweisen des Villages annahm. Als sogenannte "teilnehmende" Reporterin ließ sie sich auch schon einmal zwangsernähren, um lebensecht nachvollziehen zu können, wie sich die ebenso behandelten englischen Suffragetten gefühlt hatten. In dieser Zeit arbeitete sie viel für die renommierten Zeitschriften "Vanity Fair" und "McCalls Magazine" ñ eine berufliche Verbindung, die weitere zwanzig Jahre bestehen blieb.
Neben allerlei merkwürdigem Volk lebten und verkehrten im "Village" auch damals schon viele Schwule und Lesben. Diese homosexuelle Subkultur mischte und überschnitt sich häufig mit Künstlerkreisen. Hier lernte die umtriebige Barnes auch all jene Frauen kennen, die ihr Leben viele Jahre lang begleiten sollten: Ihre Mitbewohnerin ab 1918, Berenice Abbott, erlernte bei Man Ray die Fotografie und sollte später selbst eine herausragende Bildkünstlerin werden. Deren "Findelkind", die abstruse Dichterin Elsa von Freytag von Loringhoven, gehörte ebenso zu Djunas Umfeld wie die beiden Herausgeberinnen der Literaturzeitschrift "Little Review", Margaret Anderson und Jane Heap. Und schließlich fanden sich in dieser Gruppe auch noch die Hollywood-Schauspielerin Mina Loy ein ñ als Djunas "Kummerkasten" - und die reiche Erbin und Mäzenin Peggy Guggenheim, zukünftig Djunas immerfließende Geldquelle.
1919 überquerte Djuna Barnes den Atlantik in Richtung Frankreich und ließ die Vereinigten Staaten für viele Jahre hinter sich. Das Paris der Zwanziger Jahre war zu einem attraktiven Schmelztiegel für die internationale, künstlerischen Avantgarde geworden. Darunter eine Vielzahl von lesbisch lebenden Frauen, deren eigener literarischer Zirkel heute unter dem Namen "The Literary Women of the Left Bank" bekannt ist. Nathalie Clifford Barney, reiche Erbin und selbsterklärte "Tochter Sapphos" gehörte diesem ebenso an wie die avantgardistische Dichterin Gertrude Stein. Barnes profitierte von ihrem Paris-Aufenthalt gleich in mehrfacher Hinsicht: Für amerikanische Blätter berichtete sie über die in Paris lebenden amerikanischen Künstler und deren Arbeit. Gleichzeitig erhielt sie reiche Anregungen und schöpfte aus den intensiven Pariser Impressionen für ihre eigenen literarische Vorhaben. Und sie traf auf Thelma Wood.
Wood, ebenfalls emigrierte Amerikanerin, war eine Tochter aus reichem Hause, die sich als Bildhauerin zu verwirklichen suchte. Sie muss eine "herausragende" Erscheinung gewesen sein: Über 1,80 m groß, dunkelhaarig, häufig mit auffälligen Silberreifen an Arm und großen Ringen in den Ohren. Wood gewann Barnesí Herz. Oder besser: Djuna Barnes verlor ihr Herz an Wood. Für die nächsten zehn Jahre blieben Wood und Barnes ein Paar, dessen Eifersuchtsdramen und Alkoholexzesse für Gesprächsstoff in halb Paris sorgten. Wood ging nämlich bei Trinkgelagen häufig verloren, und dann musste Barnes sie in den Straßen suchen. Wenn ihr Suche nach Wood erfolglos blieb, trank Djuna Barnes schließlich selbst bis zum Umfallen.
Barnes Erfahrungen, Bekanntschaften und Erlebnisse innerhalb dieser Pariser Szene brachte sie 1928 schließlich auch zu Papier. Der im Selbstverlag veröffentlichte "Ladies Almanach" portraitiert in satirischer Weise die Frauen von der "Left Bank" ñ dem linken Ufer der Seine. Allen voran Nathalie Barney, die in der Figur als die "Ober-Lesbe" Dame Evangeline wiederzuerkennen ist. Aufgrund seiner homosexuellen Eindeutigkeit sollte der "Ladies Almanach" übrigens vom US-Zoll ein Importverbot erhalten! Noch im selben Jahr erschien auch Barnes zweiter Roman "Ryder", der für kurze Zeit weit oben in den englischen und amerikanischen Verkaufsranglisten rangierte. Und auch die Experten waren begeistert über dieses humoreske Familienepos: Der Saturday Review nannte das Werk "das erstaunlichste je von einer Frau geschriebene Buch".
Bis zum Erscheinen ihres nächsten Romans "Nachtgewächs" ("Nightwood") - ihres berühmtesten ñ vergingen dann aber ganze acht Jahre. Die Autorin brauchte wohl diese lange Zeit, um ein neues Werk zur Reife zu bringen. Vor allem die Trennung von Thelma Wood, von der sie 1931 wegen einer anderen verlassen wurde, und die langanhaltende Trauer um diese fehlgeschlagene Beziehung lieferten wohl als die Inspiration für "Nachtgewächs". Der Roman über die Nachtseiten der Gesellschaften, die exzessiven Lebensformen, Homoerotik und Alkohol trifft den Zeitgeist ziemlich genau.
Seit der Trennung von Thelma lebte Djuna Barnes in England, beschützt und beherbergt von der immer präsenten Mäzenin Peggy Guggenheim. Das ganze Jahr 1935 war sie quasi im Bett geblieben, um dort "Nachtgewächs" fertigzustellen und ihrer Ex-Geliebten Wood mit der Romanfigur Robin Vote ein literarisches Denkmal zu setzen. Das Werk wurde aufgrund seines artifiziellen Charakters von Kritikern und Schreibenden hoch gelobt, verschloss sich jedoch aus dem gleichen Grund einer breiteren Leserschaft und war daher ein klarer Misserfolg in finanzieller Hinsicht.
Im Jahr 1939, der Zweite Weltkrieg kündigte sich an, kehrt Barnes aus England in die USA zurück. Zunächst wohl nicht ganz freiwillig, denn wahrscheinlich hatte Peggy Guggenheim sie wegen ihres Alkoholismus in ein amerikanisches Sanatorium bringen lassen. Die Stadt New York, in der Djuna Barnes fortan alkoholkrank und mittellos lebte, sollte sie bis zu Ihrem Tode nicht mehr verlassen - dieser lag jedoch noch mehr als 40 Jahre entfernt! Es wurde still um die ehemals als "talentierteste Schriftstellerin" gefeierte Frau, die in den 50er Jahren noch einen bitteren Roman über ein inzestuöses Mutter-Tochter-Verhältnis beendete. Ihre alten Freundinnen Guggenheim, Berenice Abbott und andere steckten Barnes regelmäßig Geld zu, doch Djuna sollte viele von ihnen überleben. 1982 verstarb Djuna Barnes kurz nach ihrem 90. Geburtstag. Vielleicht hat es sie am Ende ihres Lebens besonders gefreut, dass ihr lange übersehenes Gesamtwerk in den späten 70er und frühen 80er Jahren ausgerechnet von Feministinnen und Lesben wiederentdeckt worden war.

Sabine König/Anne-K. Jung


Literatur (ausgewählt):

Djuna Barnes:
"Ladies Almanach", Wagenbach, April 2003
"Ryder" (engl.), Dalkey Archive Press, September 1994
"Nachtgewächs", Suhrkamp, Februar 1998
"Antiphon" (engl.), Green Integer, September 2001


Andrea Weiss, Die Frauen von der Left Bank, Rowohlt 1998
 
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