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Frau
könnte über diesen Film laut lachen, frau könnte auch vor Wut weinen
oder einfach nur den Kopf schütteln. Nicht nur, weil die Geschichte extrem unrealistisch
ist und Pedro Almodóvar in seinem neuen Streifen "Sprich mit ihr"
widerlichste Männerfantasien spielen lässt. Ärgerliche Filme gibt
es schließlich zuhauf. Der große Zuspruch allerdings, den diese Produktion
rundum in der deutschen Tages- und Fachpresse erntet, gibt sehr zu bedenken! Deshalb
habe ich mich für eine Gegen-Kritik entschieden, auch wenn es keinen unmittelbaren
lesbischen Bezug gibt.
Doch der spanische Regisseur ist ja — spätestens seit seinem wirklich sensiblen
Porträt über einen Transsexuellen ("Alles über meine Mutter")
- bekanntermaßen beliebt in Schwulenkreisen. Wäre er nur auch in "Sprich
mit ihr" auf seiner fortschrittlichen Linie geblieben. Das Gegenteil ist leider
der Fall: Almodóvar outet sich indirekt als Macho wie er im Buche steht.
Der Krankenpfleger Benigno behauptet aus purer Berechnung, er wäre schwul. So
kann er bei Dunkelheit, ohne dass jemand Verdacht schöpfte (nebenbei eine völlig
unrealistische Konstellation (!) ungestört sein Opfer sexuell missbrauchen.
Die Frage, ob vielleicht Alicia (Leonor Watling) umgekehrt auch lesbisch sein könnte,
stellt dieser Männerfilm gar nicht erst. Dennoch gibt es Rückblenden und
Hinweise darauf, dass die Tänzerin den dicklichen unattraktiven und obendrein
debilen Mann hat abblitzen lassen, als er vor ihrem Unfall versucht hat, ihr schöne
Augen zu machen.
Dass sich dieser Benigno (Javier Cámera) dennoch nicht schämt,
ihre Situation in der Klinik auszunutzen, ist schlichtweg pervers. Nicht allerdings
in den Augen der (männlichen Presse): "Was zu verurteilen wäre, wird
bei ihm zur zärtlichsten Liebeserklärung, was ein Vergehen ist, beinahe
religiös verklärt", schwärmt Peter Zander in der "Welt".
Und sein Kollege Wolfgang Hamdorf setzt im katholischen Filmdienst noch eins drauf:
Er bezeichnet den Sexualtäter als "modernen Parsifal, der in seiner Unschuld
schuldig wird". Dabei kommt es eigentlich noch schlimmer: Wie Parsifal wird
Benigno gen Ende zum Erlöser und Heilbringer. So nämlich sieht ihn der
Regisseur, der seinen Helden von Anfang an positiv zeichnet. Aus seiner Sicht verdankt
es Alicia Benignos seiner übergroßen "Liebe", dass sie am Ende
aus dem Koma erwacht. — Ein Wunder, dass sie ihm nicht dankbar um den Hals fällt
und gleich noch einmal schwanger werden will, nachdem es das erste Mal zu einer Fehlgeburt
kam.
Stellen wir uns nur vor, wie groß die öffentliche moralische Empörung
wäre, wenn sich Benigno an einem kleinen Mädchen vergangen hätte:
Vermutlich hätte sich noch nicht einmal ein deutscher Verleih gefunden. Denn
zumindest für sexuellen Kindesmissbrauch ist die Öffentlichkeit — wie Alice
Schwarzer scharfsinnig im "Großen Unterschied" beobachtet - sensibilisiert.
Sexualdelikte an kleinen Mädchen sind nicht länger nur auf den Seiten Vermischtes
oder in die sensationslüsternen Schlagzeilen der Boulevardpresse verbannt, so
Schwarzers Fazit, - sexuelle Gewalt an Frauen dagegen schon. Denn sie haben — ebenso
wenig wie Tiere, denen Almodóvar übrigens ebenfalls böse mitspielt
— keine Lobby. Wahrscheinlich deswegen stört sich kein Journalist an der sexuellen
Gewalt in diesem Film. Dafür reagierte immerhin eine aufgebrachte Tierschützerin
empört mit Leserbriefen darauf, dass sechs echte Bullen in den Stierkampfszenen
ihr Leben lassen mussten. An ihrem Vorwurf, dass der Regisseur den Stierkampf mit
diesem Film weltweit beworben habe, ist was dran. Perfide legitimiert er das Ritual
durch eine Art Pseudo-Emanzipation, nach dem Motto: Wenn eine Frau als Matadorin
quasi eine der letzten Männerbastionen stürmt, kann doch nicht ernstlich
jemand dagegen sein.
Ehrlich gesagt, habe ich allerdings wenig Mitleid, wenn diese Lydia (Rosario
Flores) von einem Stier zermalmt wird und ebenfalls ins Koma fällt. Und so wie
sich Benigno vermeintlich hingebungsvoll mit Waschungen Tag und Nacht um seine Liebste
kümmert, steht auch an Lydias Bett bald ein - allerdings ziemlich ratloser -
Verehrer (Darío Grandinetti). "Sprich doch einfach mit ihr", sagt
Benigno, aber Marco ist beim besten Willen zu keiner Kommunikation mit dem bewusstlosen
Frauenkörper möglich. Sein Dilemma löst sich, als Lydias ehemaliger
Geliebter Anspruch auf die Pflege erhebt.
Auch die hoch gelobten, von Almodóvar fingierten Stummfilmsequenzen, in denen
sich Benignos Träume spiegeln, sind letztlich nur öde, peinliche Männerfantasien:
Da klettert ein faustgroßer Däumling über einen übergroßen
nackten Frauenkörper und verschwindet schließlich in ihrer Spalte. "Eine
kleine Episode, in der Männer kleiner und schwächer sind", kommentiert
das der Filmdienst versöhnlich, als ließe sich diesem Film eine feministische
Facette abgewinnen. Und Katja Nicodemus in der "Zeit" bezeichnet diese
mehr als lächerliche Sequenz als "eine der schönsten Zeitlupen, die
das Kino seit langem gesehen hat".
Dabei gibt es tatsächlich eine großartige Szene in diesem Film. Die ist
allerdings von Pina Bausch und setzt als irreführendes Motto die Handlung in
Gang: Diese Tanz-Choreographie aus "Café Müller" zeigt tatsächlich
Frauen am Rande der Ohnmacht. Da prallen wie paralysiert torkelnde Frauen immer wieder
durch ein Chaos von Stühlen mit Wucht gegen eine Wand, und ein Mann bemüht
sich, sie aus dem Weg zu räumen und die Frauen wieder aufzurichten. — Allerdings
vergeblich. Denn bei Pina Bausch siegt die Erkenntnis, dass Männer den Frauen
nur Unglück bringen.
Kirsten Liese |
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