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Lesben und Kinderwunsch:
Allmählich wagen sich auch Filmemacher an dieses noch immer tabuisierte Thema,
bei dem konservative Politiker noch immer rot sehen. Dabei wird es inzwischen viel
ernster genommen als noch vor knapp zehn Jahren, als eine couragierte Pionierin einen
ersten autobiographischen Bericht veröffentlichte: Unter dem Titel "Eine
Familie ist eine Familie ist eine Familie" beschrieb Phyllis Burke, wie ihre
Partnerin mittels künstlicher Befruchtung ein Kind bekam und sie selbst sich
um die gesetzliche Anerkennung als zweite Mutter bemühte. — Ein bürokratisches
Spießrutenlaufen durch die Instanzen. Im Jahre 2000 haben die Berührungsängste
offenbar etwas abgenommen. Immerhin drehten die drei Star-Regisseurinnen Jane Anderson,
Martha Coolidge und Anne Heche für das amerikanische Fernsehen einen hoch karätig
besetzten lesbischen Episodenfilm ("Women love women"), dessen dritter
Teil komödiantisch den Versuch eines Frauenpaares schildert (Sharon Stone und
Ellen De Generes), mittels einer Samenspende zu einem Baby zu kommen.
Wenn allerdings plötzlich ein Beitrag aus einem so kleinen Land wie Island ins
Kino kommt, in dem keine engagierte schwul-lesbische Bürgerrechtsbewegung für
gleichgeschlechtliche Eltern eintritt, ist das fast schon revolutionär. Bislang
kannten wir das Leben von der nordischen Insel eigentlich nur aus Filmen von Fridrik
Thór Fridriksson ("Cold Fever", "Engel des Universums").
Der räumte bereits kräftig auf mit nordischen Mythen und den ewigen Geysir-Klischees
und widmete sich Außenseitern und psychisch Kranken. Nun rückt mit Baltasar
Kormákur die nächstjüngere Generation nach. Bislang als Schauspieler
in Fridrikssons Filmen zu sehen, strickt er mit seinem Regiedebüt jetzt selbst
am neuen Bild der alten Heimat.
Die Liebesgeschichte von Berglind (Hanna Maria Karlsdóttir) und Lola (Victoria
Abril), die sich — ebenfalls per Samenspende - ein gemeinsames Kind wünschen,
bestimmt zwar nur am Rande die Handlung von "101.Reykjavik". Aber dass
sie der Regisseur fast beiläufig erzählt, zeigt wiederum, mit welcher Selbstverständlichkeit
er die Lebenspläne seiner Heldinnen respektiert.
Ein konsequentes Lesbenmovie darf man dennoch nicht erwarten, denn in Kormákurs
Dreieckskomödie geht es drunter und drüber. Auf eindeutige sexuelle Identitäten
will sich der Regisseur nicht festlegen. Im Zweifelsfall sind alle ein bisschen bi.
Allen voran die heißblütige Tänzerin Lola, die von einem Leben zu
zweit mit der Mutter eines 28-jährigen Sohnes träumt. Dieser Hlynur (Hilmir
Snaer) lässt sich noch bemuttern und ist stinkend faul, gleichwohl landet die
Flamenco-Lehrerin in einer turbulenten Nacht in seinem Bett. Der One-Night-Stand
verunsichert beide gleichermaßen. Er: Was war das zwischen uns? Sie: Ein Unfall.
Er: Was für eine Lesbe bist du? Sie: Fick dich.
Trotz
solcher scharfen Reibereien und Dispute hat die Spanierin einen guten Einfluss auf
den Nesthocker, der sich nicht aufraffen kann zu arbeiten, sondern sich lieber auf
staatlicher Stütze ausruht. Hlynur, der sich auch Frauen gegenüber beziehungsuntauglich
zeigt, ist eine Art Lebensverweigerer, wenn auch kein völlig unsympathischer.
Er schummelt sich so durch, schläft gern, treibt die Frau auf dem Arbeitsamt
zur Weißglut und hängt nachts im Club ab. Lola bringt den antriebslahmen
Halbstarken auf Trab. Zwar droht er wieder seinem gewohnten Phlegma zu verfallen,
als Lola plötzlich schwanger ist und er sich als Samenspender missbraucht fühlt.
Doch als er erkennt, dass die eigene Mutter viel taffer, couragierter und progressiver
ist als er selbst, ändern sich seine Vorsätze.
So gesehen gelingt Kormákur mit "101.Reykjavik" nach dem gleichnamigen
Buch von Hallgrimor Helgason (es wurde für den Literaturpreis des Nordic Council
nominiert) ein wunderbares Plädoyer für alternative Lebensformen.
Kirsten Liese
Der Film läuft seit 20. Juni bundesweit in vielen deutschen Städten (Berlin,
Hamburg, München, Frankfurt, Stuttgart u.a.) Aktuelle Kinoprogramme stehen im
Internet unter www.kinoservice.de
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