Wie leben Lesben in Afghanistan?

 
   
  In einem Interview im Dezember 2001 beantwortete Shahla Asad, Mitarbeiterin der Frauenorganisation RAWA (der Name steht für "Revolutionary Association of Women in Afghanistan"), in knappen Worten die Frage nach der Situation von Lesben und Schwule in Afghanistan:

"Die Rechte von Lesben und Schwulen sind nicht existent. Sie werden als Prostituierte gesehen." Shahla erklärt, dass Homosexuelle gehasst werden und überhaupt keine Rechte haben. Wenn sie "entdeckt" würden, erwartete sie unter den Taliban die Todesstrafe. Aber so sähe das ja in vielen islamischen Ländern aus. Frauen in Afghanistan könnten sich nicht ausdrücken. Wie sollen sie sich dann erlauben, ihre lesbischen Gefühle zu fühlen? "Homosexualität ist ein Tabu", beendet Shahla ihre Erklärungen und fügt hinzu, dass RAWA erkannt hat, dass es Zeit braucht, bis es von den Menschen akzeptiert wird. "RAWA sagt, dass sie keine Prostituierte sind und dass sie die grundlegenden Menschenrechte haben."

Es ist wesentlich einfacher, an Informationen über die Situation von Schwulen in Afghanistan zu gelangen, als an Informationen über Lesben. Angeblich sind die männlichen Pashtunen, konservative Muslime, stark homosexuell orientiert. Sogar Stammesfürsten sollen miteinander um ihre Liebhaber gekämpft haben. "Ashnas" werden diese (jüngeren) Geliebten genannt. Ihre Freunde sind oftmals verheiratet und haben Kinder. Die "ashnas" (sie heißen auch "halekon") erhalten von ihren Freunden Geschenke. Nach Tim Reid in der "Times" von 12. Januar 2002 wird diese homosexuelle Praxis als Teil der Kultur Kandahars von der Bevölkerung akzeptiert. Oft jedoch gingen die Jugendlichen (zwischen 15-16 Jahre) die Verbindungen ein, weil die Armut sie dazu zwinge.

Bei diesem Bericht über männliche Homosexualität in Afghanistan bleiben einige Fragen offen: Ist männliche Homosexualität in Afghanistan nur im Abhängigkeitsverhältnis möglich? Ist es sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen? Ist es Sexarbeit? Diese Fragen müssen an dieser Stelle ungeklärt bleiben. In jedem Fall galt laut Tim Reid die Stadt Kandahar vor der Taliban Ära als "Hauptstadt der Schwulen Südasiens". Männerpaare sollen sich bis 1994 offen in den Straßen bewegt haben. Danach bereitete der Taliban Mullah Omar, der die Stadt übernahm, dem ein Ende. Er ließ einige Schwule hinrichten.

Gleich nach ihrem Amtsantritt verkündete die Übergangsregierung im Dezember 2001 die Todesstrafe gegen Schwule würde abgeschafft. Die Strafe bestand aus der öffentlichen Hinrichtung von Homosexuellen durch das Umstürzen einer Mauer auf sie. Die meisten überlebten diese Strafe nicht. Auf der home-page der internationalen Lesben- und Schwulenorganisation ILGA (
www.ilga.org) werden die Namen von fünf ermordeten Schwulen genannt. Das Alter von zwei der hingerichteten Männern ist 18 und 22 Jahre. Lou Chibbaro Jr. berichtet in der Zeitung Washington Blade von der internationalen muslimischen Schwulengruppe "Al Fatiha", die unter anderem die Verbesserung der Schwulenrechte in Afghanistan beobachtet. Nach Information dieser Gruppe gibt es in Afghanistan keine Schwulenorganisation. Die Gruppe beklagt, dass Burhanuddin Rabbani, der für viele Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Nordallianz verantwortlich ist, weiter eine große Rolle in Afghanistan spielen wird. Rabbani ist islamischer Fundamentalist. Er wird eventuell Chef des neuen Höchsten Gerichtshofs Afghanistans.

Auch die Journalistin Maura Reynolds berichtet in der Los Angeles Times von 4. April 2002 von der verbreiteten Homosexualität der männlichen Bevölkerung Kandahars, die nach Aussagen eines dort praktizierenden Arztes 50% der männlichen Bevölkerung umfasst. Einige Männer dort erklären jedoch, sie würden gerne eine Frau heiraten, wenn der Brautpreis nicht so hoch wäre. Daher müssten sie mit jungen Männern Vorlieb nehmen. Es sei aber kein Zeichen von Homosexualität, wenn sich Männer umarmten, Hand in Hand gingen oder küssten. Auch Kajal um die Augen und Henna auf den Fingernägeln sei nicht unbedingt ein Zeichen für Homosexualität. Trotzdem sei Kandahar und die konservative ethnische Gruppe der Pashtunen bekannt für männliche Homosexualität sagt Reynolds. Schon im 16. Jahrhundert habe König Baber, Gründer der Mogulischen Dynastie, in seinen Memoiren seine unendliche Liebe zu dem Sohn eines Bazarhändlers beschrieben.

Gibt es keine Lesben in Afghanistan? Oder warum ist es so schwierig, von ihnen zu erfahren? Auch bei AfghanInnen im deutschen Exil ist das Thema unbekannt. Ist die Frage nach Lesben in Afghanistan eine falsche Frage? Oder ist jetzt der falsche Zeitpunkt, sie zu stellen? Vielleicht zeigt sich bei der erfolglosen Suche nach Lesben in Afghanistan die Unsichtbarkeit von Lesben, unter der sie auch in westlichen Ländern leiden. Aber in Afghanistan kommt konkrete Todesangst dazu. Denn es wurden Schwule für ihre Sexualität und Frauen für die kleinsten Vergehen noch vor wenigen Monaten vom afghanischen Staat umgebracht.

Das ist der Grund dafür, dass die Frauenorganisation RAWA in Afghanistan im Untergrund arbeitet. Und diese versteckte Arbeit behält RAWA bis heute bei. Denn auch wenn Frauen nach dem Sturz der Taliban nicht mehr hingerichtet werden, ihre Situation ist immer noch gefährlich. Die Nordallianz, die jetzt an der Macht ist, hatte vor den Taliban von 1992 bis 1996 schrecklich in Afghanistan geherrscht. Mord, Vergewaltigung, körperliche Gewalt, Demütigungen und Plünderungen gehörten zu ihrem alltäglichen Geschäft. Es waren die Fundamentalisten der Nordallianz, die 1992 den Schleier einführten. Der Schleier wurde von den Taliban dann zum Ganzkörperschleier, der "Burka", perfektioniert. Heute tragen immer noch sehr viele afghanische Frauen Burkas, da sie der Nordallianz misstrauen. RAWA-Frauen haben versucht, die Öffentlichkeit über diesen schlechten Tausch aufzuklären.

Einige Frauen aus Afghanistan reisen nun ohne Burka, dafür mit anderer Tarnung durch westliche Länder. Sie sind Sprecherinnen von RAWA, tragen falsche Namen und lassen sich nicht filmen oder fotografieren. Ihre Reisen - die Route wird kurzfristig festgelegt und steht nicht im Internet - dient der Verbreitung von Informationen über ihr Land und die Situation der Frauen dort. Der falsche Name dient dem Schutz, denn schon einige der 2.000 RAWA-Aktivistinnen wurden ermordet. Unter anderem wurde die Gründerin Meena in Pakistan umgebracht. Ihr Bild ist auf der professionell gestalteten home-page von RAWA zu sehen (
www.rawa.org).

Shahla Asad ist eine der reisenden RAWA-Sprecherinnen (ihr Name ist also auch ein anderer). Sie ist 27 Jahre alt, klein und schmal. Ihre Kleidung ist schwarz, westlich und dezent. Wenn sie in Vorträgen über die Situation in Afghanistan berichtet, zeigt sie wenig Emotionen. Klar und knapp erzählt sie mit einer leicht metallisch klingenden Stimme von der Arbeit RAWAs in Afghanistan und Pakistan. In Pakistan leben etwa drei Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan in Lagern nahe der Grenze. Shahla hat ein Kind und lebt, wenn sie nicht für RAWA unterwegs ist, in Pakistan und unterrichtet afghanische Mädchen und Jungen in den Flüchtlingslagern. "Ich hätte gerne eine Lehrerinnenausbildung gemacht, aber mehr als die Schulausbildung konnte mir RAWA nicht ermöglichen." Trotzdem unterrichtet Shahla die ersten beiden Jahrgänge in RAWA-Schulen.

Hier ein paar Hintergrundinformationen zur Arbeit der Frauenorganisation RAWA. So manches Mal wurde das Wort "revolutionär" im Namen von RAWA kritisiert. Den Frauen wurde geraten, dieses Wörtchen wegzulassen, dann würden sie eher finanzielle Unterstützung bekommen. Aber die 1977 entstandene Organisation behält ihren Namen. Die Frauen wissen, dass es eigentlich nicht sehr radikal ist, Frauenrechte zu fordern. "Aber die Existenz einer unabhängigen Frauenorganisation im männerbeherrschten Afghanistan", so eine RAWA-Aktivistin, "ist an und für sich schon revolutionär." Grundgedanke dieser Organisation ist, dass Frauen uneingeschränkt Zugang zu Bildung, Arbeit, Nahrung und zu politischen Posten haben müssen. Den RAWA-Frauen ist wichtig, demokratisches Miteinander vorzuführen. Sie kommen aus allen ethnischen Gruppen Afghanistans.

"Feminismus hat so viele Bedeutungen", sagt Shahla Asad "Es gibt ja auch islamische Feministinnen." RAWA grenzt sich von diesen ab, denn die Organisation plädiert für säkulare Politik. Trotzdem ist RAWA feministisch. "Wir arbeiten politisch getrennt von Männern," erläutert Shahla, denn die Organisation wollen politisch unabhängig bleiben und nicht von Männern dominiert werden. "Wir streben nach einer besseren Gesellschaft. Wir wollen, dass Frauen wissen, dass sie Rechte haben, denn viele wissen gar nicht, was ihre Rechte sind." Auch Jungs müssten erst lernen, dass Mädchen gleich sind. "Die junge Generation hat das in Afghanistan nicht gelernt."

In Afghanistan herrscht seit 23 Jahren Krieg/Bürgerkrieg. Der Krieg der USA gegen Afghanistan hat zwar die Taliban vertrieben und ihre frauenfeindliche Herrschaft beendet. Aber die neuen Machthaber in Afghanistan sind wie schon erwähnt die Männer der Nordallianz (und andere fundamentalistische so genannte "warlords", Stammesfürsten). Sie stellen die Mehrheit in der Übergangsregierung unter Minister Karzai. Und sie bestimmen jetzt die Loya Dschirga, die traditionelle Stammesversammlung, die zum ersten Mal nach 23 Jahren eine demokratische Regierung wählen soll. Auch RAWA hatte auf den Einfluss des ehemaligen Königs Zahir Shah in der Loya Dschirga gehofft. Es scheint aber, dass er gegen die warlords nicht genug Macht hat. Mit der Demokratie ist es in Afghanistan noch nicht weit her, stellten BeobachterInnen des Loya Djirga-Prozesses fest. Ein Fernsehbericht im "Weltspiegel" zeigte kürzlich, wie eine Frau in einem Stadtteil von Kabul trotz ihrer Stimmenmehrheit durch Stimmenkauf aus der Loya Dschirga hinausgedrängt wurde. Vielleicht hatte sie damit Glück im Unglück, denn mindestens acht der 1.451 Volksvertreterinnen der großen Ratsversammlung sind schon ermordet worden. 160 Frauen nehmen an der großen Ratsversammlung teil.

Gudrun Fischer

Anmerkung:
Die Presseinformationen bezog ich von amnesty international




Interview mit Shahla von RAWA per e-mail

In einem Versuch, weitere Informationen zu bekommen schickte Gudrun Fischer Shahla Asad von RAWA eine e-mail. Hier sind die Fragen und Shahlas Antworten:



Ist Homosexualität in Afghanistan verboten? Wenn ja, welches Gesetz drückt das aus und können Sie mir den Gesetzestext schicken?

Homosexualität ist strikt verboten. Es gilt als etwas unreligiöses und "unmoralisches". Das betreffende Gesetz der momentanen fundamentalistischen Regierung ist noch nicht erschienen.

Machen die Leute oder die Regierung Unterschiede zwischen Lesben und Schwule und wenn ja, welche?

Der Unterschied zwischen Lesben und Schwulen hängt von dem Gesetz ab und wir werden sehen, ob sie zwischen den beiden (Lesben und Schwulen) unterscheiden. Aber so weit Menschen betroffen sind, scheinen sie sich nicht sehr um Lesbianismus zu kümmern. Während 1992-96 und der Taliban Herrschaft, haben wir (RAWA) von keiner Frau gehört, die wegen Homosexualität verurteilt worden ist. Vielleicht wollen sie so tun, als gäbe es das in Afghanistan nicht, genauso wie Aids. Denn es gibt Lesben und viele Fälle von Aids.

Wenn eine Frau ihre lesbischen Gefühle entdeckt, kann sie es leben? Kann sie davon ihrer Familie oder anderen erzählen? Kann sie eine Freundin finden, gibt es Clubs oder Treffpunkte?

Genauso wie ein Mann, würde sich eine Frau mit ihren lesbischen Gefühlen in einer schwierigen und schmerzlichen Situation befinden, was die Religion, die sozialen und moralischen Werte betrifft. Es kann sein, dass sie niemals wagt, über ihre Gefühle mit ihrer Familie zu sprechen oder überhaupt mit irgend jemandem. Ich denke, keine Homosexuelle würde ohne ihre/seinen PartnerIn leben wollen, aber es würde so einfach sein wie im Westen und in vielen anderen Ländern. Nein, es gab nie eine Gruppe oder einen Club in Afghanistan.

Wenn es Lesben in RAWA gibt, können sie offen sein? Gibt es andere offene Lesben in Afghanistan? Macht RAWA Politik für Lesben? Was ist RAWAs Position zu Lesben und Schwulen?

Obwohl RAWA sich niemals erlauben würde, in die Schlafzimmer ihrer Mitglieder einzugreifen, mag keine Lesbe bei RAWA offen sein. Wenigstens ich kenne keine offene Lesbe. Aber während der Zeit von Zahir Shah (des ehemaligen Königs, der bis 1973 regierte, Anm. G.F.) gab es eine Ministerin, die als Lesbe bekannt war.

Gab es aus früheren Zeiten berühmte Lesben (oder Frauen, die mit Frauen lebten) oder Schwule in Afghanistan?

Ich kenne keine berühmte Lesbe, aber wir hatten viele Politiker und Künstler und andere, die schwul waren.

Gibt es Publikationen oder Literatur über Lesben oder Schwule in Afghanistan, die Sie mir empfehlen könnten?

Ich habe nie solche Publikationen gesehen.

Wie ist die Situation in Pakistan?

Obwohl auch in Pakistan Homosexualität verboten ist, haben sie offensichtlich bessere Bedingungen als Afghanistan. Manchmal sind darüber Hinweise in der pakistanischen Presse zu finden. Vielleicht haben sie sogar ihre Gruppen und Clubs, über die ich aber nicht viel weiß.




P.S.: Leider hat Shahla Asad auf die Nachfragen per e-mail noch nicht geantwortet. Da wurde sie nach einem Kontakt zu der von ihr erwähnten ehemaligen lesbischen Ministerin gefragt. Vielleicht ist das eine zu gefährliche Frage?

Gudrun Fischer
 
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