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  Melancholie  
 

Stephanie Sellier

 
 

Es war ein komisches und trauriges Wochenende. Bevor meine Freundin Joy wieder nach Amerika flog, wollte ich ihr noch Prag zeigen. Der Zug fuhr langsam in die staubige Vorkriegsatmosphäre des Hauptbahnhofs ein. Die ersten Leute sprachen uns auf Deutsch an, ob wir nicht eine Unterkunft suchten. Wir suchten, aber wir ließen uns treiben.
Irgendwann kam eine junge Frau kam auf uns zu. Sie hatte feines, aschblondes, halblanges Haar und das blasse, runde Gesicht vieler Slawinnen. Ich hielt sie für eine Studentin. Sie stellte sich uns als Hana vor. Hana sprach nicht viel, als sie uns zu der Wohnung ihrer Eltern in Vinohrady führte. Wir stiegen in den dritten Stock eines ebenso majestätischen wie grauen Altbaus empor. Die weitläufigen Gründerzeitwohnungen waren in Appartements aufgeteilt worden. Das Appartement von Hanas Eltern umfaßte einen großen Schlaf- und Wohnraum, eine kleine Diele, eine Küchenzeile sowie ein winziges Bad mit Badewanne. Das Bett war geräumig und doppelstöckig, aus unbehauener Fichte gebaut.

ÑHier bin ich groß gewordenì, sagte Hana, und ihre Augen wurden undurchsichtig . Wir nickten. Wahrscheinlich wohnten Hana und ihre Eltern jetzt in drangvoller Enge bei irgendwelchen Verwandten, während wir als zahlende Touristinnen ihr Bett okkupierten. Ich dachte, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, Ñdie tschechische Armut ist eine vorübergehende. Dieses Volk ist so reich und lebendig, daß es ihm auch wirtschaftlich wieder gut gehen wird.ì Aber das Unbehagen blieb.
Joy und ich legten unsere Taschen ab und duschten. Wir hatten mit Hana vereinbart, daß wir zusammen noch ein ein paar Gläser Becherovka, den starken tschechischen Kräuterschnaps, trinken wollten, weil wir uns mochten. Nachdem ich mich umgezogen hatte, ging ich mit Hana zu einem Lebensmittelladen in der Nähe und kaufte mit meinem schmutzigen Westgeld schöne Sachen für uns. Hana brach ihr Schweigen ein bißchen und erzählte mir, daß sie am Konservatorium studiere. Sie sei Cellistin, wie ihr Vater. Ihre Mutter arbeite in einer Buchhandlung. Ich sog, während sie erzählte, ihre leise, etwas brüchige Stimme in mich auf wie den Frühlingsabend in der Prager Vorstadt.

In dieser Stadt waren Kafka und Milena Jeöenska noch lebendig. Ich litt, ich fühlte mich masochistisch, ich riskierte immer wieder, daß mich die Schönheit umbrachte. Jetzt da sie bald abreisen würde, verzehrte ich mich nach Joy. Wir waren nie Geliebte gewesen, obwohl ich nicht abgeneigt gewesen war. Aber in ihr steckten eine Wildheit und Brutalität, die sie mir nicht zeigen wollte. ÑNicht mit dirì, sagte sie, den Blick in ferne Zeiten abgewandt. Dabei war es genau dieser mühsam in Schach gehaltene Zorn, der mich erotisch an ihr reizte. Ich sehnte mich danach, ihr die Kehle hinzuhalten, um sie auf die Probe zu stellen. Joy hatte Angst davor. Es würde nichts Schlimmes passieren, aber sie würde mit ihrer eigenen Mordlust konfrontiert sein.
Wir tranken Becherovka und aßen Schokoladenkekse. Hana rauchte. Mit dem aufsteigenden Rauch, der sich vor ihren hellen Augen kräuselte, hatte sie das Aussehen eines verblaßten Liebesbriefs, wie der Tagtraum einer Sterbenden oder die ersten Blüten eines Oleanders. Schönheit gibt es nicht ohne Gefahr. Auf uns lastete etwas Unaussprechliches. Wir wollten uns nicht trennen, weil wir die Einsamkeit fürchteten. Eine stille Verzweiflung kroch uns in die Glieder. Wir redeten über Deutschland, Tschechien und Amerika, und eigentlich war es uns scheißegal, wo wir herkamen oder hingingen.


Hana machte sich auf dem Boden lang und legte sich schützend einen Arm über die Augen. Ich fragte sie, ob es ihr gut ginge. Sie lächelte und erwiderte, wenn es ihr jemals gut gehen sollte, würde es ihr schlecht gehen. Wie kannst du das wissen, sagte ich, du bist doch erst vierundzwanzig. Aber ich wußte, daß sie recht hatte. In ihrem Alter hatte mir der Schmerz auch schon Flügel verliehen. Joy hatte ihre langen Beine über die Sessellehne geworfen und war eingeschlafen. Ihre linke Hand mit den vielen Ringen berührte fast den dünnen, dunkelbraunen Teppichboden. Ich zwang mich, sie nicht aufzuheben und zu küssen. Meine Zunge ließ sich kaum noch vom Gaumen heben, so betrunken war ich.
Hana sagte, noch immer den Arm über den Augen: ÑIch bin so betrunken, ich kann nicht mehr nach Hause. Ich muß heute hierbleiben.ì Sie zog ihre Beine zu sich heran und rieb sich mit beiden Handflächen die Stirn. Dann stand sie auf, warf ihre Kleidung über die Sessellehne und legte sich in Unterwäsche ins Bett. Ich kämpfte mit meiner Übelkeit.


Unendlich langsam erhob ich mich aus dem tiefen Sessel und ging Schritt für Schritt auf die schlafende Joy zu. ÑZeit ins Bett zu gehen, Freudeì, buchstabierte ich ihr lallend ins Ohr. Sie grunzte unwillig, setzte sich aber schließlich aufrecht hin. Es gelang mir noch, mich ebenfalls bis auf die Unterwäsche zu entkleiden, aber Joy scheiterte bereits an den Knöpfen ihrer Bluse. Mit zitternden Fingern zog ich ihr die Bluse von den Armen und half ihr aus der Jeans. Sie sackte immer wieder in sich zusammen, und nie hatte ich sie mehr geliebt als in dieser Hilflosigkeit.
In die obere Etage des Kiefernbetts zu gelangen, war keine von uns mehr in der Lage, und so preßten wir uns neben die leise schnarchende Hana. Alkohol läßt dich nicht schlafen. Gegen vier wurde ich von Durst geweckt und stolperte zur Spüle, um aus dem Wasserhahn zu trinken. Joy hatte sich, als ich wiederkam, am Bettrand zusammengekrümmt, so daß ich keinen Platz mehr neben ihr fand. Ich ging um das Bett herum und schmiegte mich notgedrungen an Hana. Ihr Haar auf dem Kissen duftete nach Shampoo. Das Bett schaukelte auf und ab, und ich schalt mich, wie es alle zwei Jahre vorkommt, dafür aus, daß ich mich wieder betrunken hatte. Ich wollte mit Joy alleine sein und ihr Prag zeigen, und statt dessen wäre der morgige Tag touristisch verloren, und wir lägen mit unserer Vermieterin und gräßlichen Kopfschmerzen in einer fremden, düsteren Altbauwohnung herum.


Hanas Hand glitt in meinen Slip, und sie fickte mich mit drei Fingern. Ich schrie fast auf vor Schmerz, weil ich noch so trocken war. Aber bald wandte ich ihr meinen Kopf zu und saugte an ihrer heißen, lebhaften Zunge, die ein wenig nach Rauch schmeckte. Hana fickte mich wie besinnungslos, als hätte das Ganze nur wenig mit mir zu tun. Ich weinte, als sie das letzte Mal zustieß. Ich spürte, daß Joy wach geworden war, und jetzt heulte ich Rotz und Wasser, begleitet von Hanas ruhigen ÑSchsch. Schschì-Lauten.
Joy flüsterte: ÑKomm zu mirì, und ich rollte mich in die Mitte, zwischen die beiden Frauen. Joy stieß ein zweites Mal zu, während Hana mich besänftigend hielt und streichelte. Der Rausch hatte mich empfindsam gemacht. Ich glaubte, Joys Hand würde mir gleich aus der Bauchdecke stoßen, und ich weinte leise vor mich hin. Aber es war nichts von Grausamkeit an ihr, sondern eine rauhe und kontrollierte Zärtlichkeit. Danach küßten sie mich und streichelten mich, bis ich einschlief, Joys langen Rücken mit der Tätowierung auf der Schulter vor mir und Hanas kratziges Schamhaar an meinem Hintern.


Hana verabschiedete sich am nächsten Morgen mit einem Lächeln von uns, das wieder höflich geworden war. ÑWerft alles in den Briefkasten, auch eine Adresseì, rief sie uns über die Schulter nach, während sie schon auf die wartende U-Bahn zueilte. Joy und ich liefen den ganzen Nachmittag mit pochenden Hinterköpfen durch die Altstadt. Die Sonne schien auf die mächtige Hofburg, den Hradschin, der schon viele Jahrhunderte gesehen hatte und dem unser kleines Leid wohltuend gleichgültig zu sein schien. Eine Woche später flog Joy wie geplant nach New York.


Ich kenne Frauen auf der ganzen Welt, und wir werden uns nicht aus den Augen verlieren.

 
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