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Es
war ein komisches und trauriges Wochenende. Bevor meine Freundin Joy wieder nach
Amerika flog, wollte ich ihr noch Prag zeigen. Der Zug fuhr langsam in die staubige
Vorkriegsatmosphäre des Hauptbahnhofs ein. Die ersten Leute sprachen uns auf
Deutsch an, ob wir nicht eine Unterkunft suchten. Wir suchten, aber wir ließen
uns treiben.
Irgendwann
kam eine junge Frau kam auf uns zu. Sie hatte feines, aschblondes, halblanges Haar
und das blasse, runde Gesicht vieler Slawinnen. Ich hielt sie für eine Studentin.
Sie stellte sich uns als Hana vor. Hana sprach nicht viel, als sie uns zu der Wohnung
ihrer Eltern in Vinohrady führte. Wir stiegen in den dritten Stock eines ebenso
majestätischen wie grauen Altbaus empor. Die weitläufigen Gründerzeitwohnungen
waren in Appartements aufgeteilt worden. Das Appartement von Hanas Eltern umfaßte
einen großen Schlaf- und Wohnraum, eine kleine Diele, eine Küchenzeile
sowie ein winziges Bad mit Badewanne. Das Bett war geräumig und doppelstöckig,
aus unbehauener Fichte gebaut.
ÑHier bin ich groß gewordenì,
sagte Hana, und ihre Augen wurden undurchsichtig . Wir nickten. Wahrscheinlich wohnten
Hana und ihre Eltern jetzt in drangvoller Enge bei irgendwelchen Verwandten, während
wir als zahlende Touristinnen ihr Bett okkupierten. Ich dachte, um mein schlechtes
Gewissen zu beruhigen, Ñdie tschechische Armut ist eine vorübergehende. Dieses
Volk ist so reich und lebendig, daß es ihm auch wirtschaftlich wieder gut gehen
wird.ì Aber das Unbehagen blieb.
Joy
und ich legten unsere Taschen ab und duschten. Wir hatten mit Hana vereinbart, daß
wir zusammen noch ein ein paar Gläser Becherovka, den starken tschechischen
Kräuterschnaps, trinken wollten, weil wir uns mochten. Nachdem ich mich umgezogen
hatte, ging ich mit Hana zu einem Lebensmittelladen in der Nähe und kaufte mit
meinem schmutzigen Westgeld schöne Sachen für uns. Hana brach ihr Schweigen
ein bißchen und erzählte mir, daß sie am Konservatorium studiere.
Sie sei Cellistin, wie ihr Vater. Ihre Mutter arbeite in einer Buchhandlung. Ich
sog, während sie erzählte, ihre leise, etwas brüchige Stimme in mich
auf wie den Frühlingsabend in der Prager Vorstadt.
In
dieser Stadt waren Kafka und Milena Jeöenska noch lebendig. Ich litt, ich fühlte
mich masochistisch, ich riskierte immer wieder, daß mich die Schönheit
umbrachte. Jetzt da sie bald abreisen würde, verzehrte ich mich nach Joy. Wir
waren nie Geliebte gewesen, obwohl ich nicht abgeneigt gewesen war. Aber in ihr steckten
eine Wildheit und Brutalität, die sie mir nicht zeigen wollte. ÑNicht mit dirì,
sagte sie, den Blick in ferne Zeiten abgewandt. Dabei war es genau dieser mühsam
in Schach gehaltene Zorn, der mich erotisch an ihr reizte. Ich sehnte mich danach,
ihr die Kehle hinzuhalten, um sie auf die Probe zu stellen. Joy hatte Angst davor.
Es würde nichts Schlimmes passieren, aber sie würde mit ihrer eigenen Mordlust
konfrontiert sein.
Wir
tranken Becherovka und aßen Schokoladenkekse. Hana rauchte. Mit dem aufsteigenden
Rauch, der sich vor ihren hellen Augen kräuselte, hatte sie das Aussehen eines
verblaßten Liebesbriefs, wie der Tagtraum einer Sterbenden oder die ersten
Blüten eines Oleanders. Schönheit gibt es nicht ohne Gefahr. Auf uns lastete
etwas Unaussprechliches. Wir wollten uns nicht trennen, weil wir die Einsamkeit fürchteten.
Eine stille Verzweiflung kroch uns in die Glieder. Wir redeten über Deutschland,
Tschechien und Amerika, und eigentlich war es uns scheißegal, wo wir herkamen
oder hingingen.
Hana
machte sich auf dem Boden lang und legte sich schützend einen Arm über
die Augen. Ich fragte sie, ob es ihr gut ginge. Sie lächelte und erwiderte,
wenn es ihr jemals gut gehen sollte, würde es ihr schlecht gehen. Wie kannst
du das wissen, sagte ich, du bist doch erst vierundzwanzig. Aber ich wußte,
daß sie recht hatte. In ihrem Alter hatte mir der Schmerz auch schon Flügel
verliehen. Joy hatte ihre langen Beine über die Sessellehne geworfen und war
eingeschlafen. Ihre linke Hand mit den vielen Ringen berührte fast den dünnen,
dunkelbraunen Teppichboden. Ich zwang mich, sie nicht aufzuheben und zu küssen.
Meine Zunge ließ sich kaum noch vom Gaumen heben, so betrunken war ich.
Hana sagte, noch immer den Arm über den Augen: ÑIch bin so betrunken, ich kann
nicht mehr nach Hause. Ich muß heute hierbleiben.ì Sie zog ihre Beine zu sich
heran und rieb sich mit beiden Handflächen die Stirn. Dann stand sie auf, warf
ihre Kleidung über die Sessellehne und legte sich in Unterwäsche ins Bett.
Ich kämpfte mit meiner Übelkeit.
Unendlich
langsam erhob ich mich aus dem tiefen Sessel und ging Schritt für Schritt auf
die schlafende Joy zu. ÑZeit ins Bett zu gehen, Freudeì, buchstabierte ich ihr lallend
ins Ohr. Sie grunzte unwillig, setzte sich aber schließlich aufrecht hin. Es
gelang mir noch, mich ebenfalls bis auf die Unterwäsche zu entkleiden, aber
Joy scheiterte bereits an den Knöpfen ihrer Bluse. Mit zitternden Fingern zog
ich ihr die Bluse von den Armen und half ihr aus der Jeans. Sie sackte immer wieder
in sich zusammen, und nie hatte ich sie mehr geliebt als in dieser Hilflosigkeit.
In
die obere Etage des Kiefernbetts zu gelangen, war keine von uns mehr in der Lage,
und so preßten wir uns neben die leise schnarchende Hana. Alkohol läßt
dich nicht schlafen. Gegen vier wurde ich von Durst geweckt und stolperte zur Spüle,
um aus dem Wasserhahn zu trinken. Joy hatte sich, als ich wiederkam, am Bettrand
zusammengekrümmt, so daß ich keinen Platz mehr neben ihr fand. Ich ging
um das Bett herum und schmiegte mich notgedrungen an Hana. Ihr Haar auf dem Kissen
duftete nach Shampoo. Das Bett schaukelte auf und ab, und ich schalt mich, wie es
alle zwei Jahre vorkommt, dafür aus, daß ich mich wieder betrunken hatte.
Ich wollte mit Joy alleine sein und ihr Prag zeigen, und statt dessen wäre der
morgige Tag touristisch verloren, und wir lägen mit unserer Vermieterin und
gräßlichen Kopfschmerzen in einer fremden, düsteren Altbauwohnung
herum.
Hanas
Hand glitt in meinen Slip, und sie fickte mich mit drei Fingern. Ich schrie fast
auf vor Schmerz, weil ich noch so trocken war. Aber bald wandte ich ihr meinen Kopf
zu und saugte an ihrer heißen, lebhaften Zunge, die ein wenig nach Rauch schmeckte.
Hana fickte mich wie besinnungslos, als hätte das Ganze nur wenig mit mir zu
tun. Ich weinte, als sie das letzte Mal zustieß. Ich spürte, daß
Joy wach geworden war, und jetzt heulte ich Rotz und Wasser, begleitet von Hanas
ruhigen ÑSchsch. Schschì-Lauten.
Joy
flüsterte: ÑKomm zu mirì, und ich rollte mich in die Mitte, zwischen die beiden
Frauen. Joy stieß ein zweites Mal zu, während Hana mich besänftigend
hielt und streichelte. Der Rausch hatte mich empfindsam gemacht. Ich glaubte, Joys
Hand würde mir gleich aus der Bauchdecke stoßen, und ich weinte leise
vor mich hin. Aber es war nichts von Grausamkeit an ihr, sondern eine rauhe und kontrollierte
Zärtlichkeit. Danach küßten sie mich und streichelten mich, bis ich
einschlief, Joys langen Rücken mit der Tätowierung auf der Schulter vor
mir und Hanas kratziges Schamhaar an meinem Hintern.
Hana
verabschiedete sich am nächsten Morgen mit einem Lächeln von uns, das wieder
höflich geworden war. ÑWerft alles in den Briefkasten, auch eine Adresseì, rief
sie uns über die Schulter nach, während sie schon auf die wartende U-Bahn
zueilte. Joy und ich liefen den ganzen Nachmittag mit pochenden Hinterköpfen
durch die Altstadt. Die Sonne schien auf die mächtige Hofburg, den Hradschin,
der schon viele Jahrhunderte gesehen hatte und dem unser kleines Leid wohltuend gleichgültig
zu sein schien. Eine Woche später flog Joy wie geplant nach New York.
Ich
kenne Frauen auf der ganzen Welt, und wir werden uns nicht aus den Augen verlieren.
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