Monika Wissel zum Sechzigsten  
  "Ja, ich liebe Frauen", titelte die BILD-Zeitung 1994 über Monika Wissel, seit April 1989 Bürgermeisterin im Westberliner Innenstadtbezirk Charlottenburg anlässlich ihres Auftritts in Hans Meiser RTL-Talkshow. Motto der Sendung: Späte Bekenntnisse.

Monika Wissel, Photo: Gisela FrankeDen Berlinerinnen und Berlinern wurde damit nichts Neues verraten: Schon zwei Jahre vorher, im August 1992, hatte sich Monika Wissel in einem Interview mit dem Tagesspiegel selbst geoutet. Nach reiflicher Überlegung, denn "Politik ist ein Geschäft, das morgen schon zu Ende sein kann", meinte die bundesweit erste offen lesbische Bürgermeisterin. Mit diesem Schritt wollte Monika Wissel "ein Stück Ehrlichkeit in die Politik bringen", und sie wagte ihn, nachdem sie zuvor die Erfahrung gemacht hatte, als Politikerin akzeptiert zu werden. Die Erleichterung nach ihrem Coming out war groß, zumal heftige Reaktionen ausgeblieben waren. Ihr "Going public" hatte für manche Vorbildfunktion - vielleicht auch für ihren Parteikollegen Klaus Wowereit, der sich 2001 ebenfalls selbst outete, um möglichen reißerischen "Enthüllungen" in der Presse zuvorzukommen.

Der Wahl zur Bürgermeisterin von Berlin-Charlottenburg gingen politisch und beruflich aktive Jahre voraus. Am 31. Juli 1944 in Berlin geboren, wurde Monika Wissel 1966 Diplombibliothekarin und war bis 1988 in der Stadtbücherei Tempelhof, zuletzt als Leiterin des Amtes Büchereiwesen. 1971 trat sie der SPD Charlottenburg bei. Von 1979 bis 1988 war sie Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung, schließlich Fraktionsvorsitzende und zuletzt ein Jahr lang Finanzstadträtin, bevor sie 1989 von einem rot-grünen Bündnis zum Oberhaupt von 185 000 EinwohnerInnen gewählt wurde.

Nach dem Mauerfall war ihr Bezirk in besonderem Maß von Umstrukturierung und Bauboom im Zuge der "Hauptstadtplanung" betroffen. Monika Wissel setzte sich vehement dafür ein, dass die Sparmaßnahmen nicht auf das Konto der Frauenförderung gingen. Dank einer guten fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit hatte Charlottenburg mit die profilierteste Frauenpolitik von ganz Berlin. Weitere Schwerpunkte waren die Politik für ausländische SeniorInnen und der Erhalt von Arbeitsplätzen.

Monika Wissel gehört zu den wenigen PolitikerInnen, die sich nicht nur zu ihrer lesbischen oder schwulen Lebensweise bekannten, sondern darüber hinaus auch entsprechend engagierten. Ihr Anliegen war es, die gesellschaftliche Akzeptanz von homosexuellen Lebensweisen zu fördern und Diskriminierungen - auch im beruflichen Bereich - abzubauen. Nicht nur hisste das Charlottenburger Rathaus als eines der ersten in Berlin die Regenbogenfahne am Christopher-Street-Day, sondern es wurden auch Räume in öffentlichen Gebäuden für Ausstellungen, Seminare oder Feiern zur Verfügung gestellt oder einschlägige Kurse an der Volkshochschule durchgeführt. Als Personalchefin von fast 4000 Beschäftigten sorgte Monika Wissel beispielsweise dafür, dass in der Schulung von Auszubildenden "Homosexualität am Arbeitsplatz" thematisiert wurde. Damit schärfte sie das Bewusstsein in einem Behördenapparat für ein Thema, das vielen ungewohnt und unbequem war.

1990 gründete die Bürgermeisterin die bezirkliche Arbeitsgemeinschaft "Kommunale Lesben- und Schwulenpolitik". In unmittelbarer Nachbarschaft hatte fast hundert Jahre zuvor, 1897, der Arzt und Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld in seiner Wohnung vis-à-vis vom Rathaus die weltweit erste homosexuelle Emanzipationsgruppe gegründet: das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee. In Wissels Amtszeit fällt die Errichtung einer Gedenkstele für die Komitee-Gründung. Dass diese 1995 auf dem Bürgersteig, das heißt auf öffentlichem Grund und Boden erfolgen musste, weil der Hauseigentümer eine Gedenktafel mit dem Wort "homosexuell" an seinem Gebäude nicht zulassen wollte, versetzt Monika Wissel heute noch in Rage.

Ziel der Arbeitsgemeinschaft war es, die Belange von Lesben und Schwulen in den unterschiedlichsten bezirklichen Einrichtungen und in der Kommunalpolitik zu thematisieren und die Verwaltung dafür zu sensibilisieren. Über die vielfältigen Aktivitäten der AG, welche Modellcharakter für andere Berliner Bezirke und für Städte ausserhalb Berlins hatte, informiert die Broschüre "Kommunale Lesben- und Schwulenpolitik" des Bezirksamtes, die 1993 in zweiter Auflage erschien.

Dass Monika Wissel mit der Arbeitsgemeinschaft auch ihre ganz eigenen Interessen vertrat, war ihr zunächst wohl gar nicht so klar gewesen - obwohl sie schon seit Jahren mit einer Frau zusammenlebte. Erst als sie 1990 Ilse Kokula kennen lernte, die damals im Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen bei der Senatsverwaltung für Jugend und Familie tätig war, kam es allmählich zum privaten Coming out.

Ende 2000 musste Wissel wegen der Fusion der Berliner Bezirke ihren Amtssessel im Charlottenburger Rathaus aufgeben. Elfeinhalb Jahre in "Amt und Würden" sind eine lange, kräftezehrende Zeit. Trotz aller Schwierigkeiten hat sie sich immer um Menschlichkeit und Geradlinigkeit in der Politik bemüht, ist nicht zur Technokratin geworden. Als einige Teilnehmerinnen einer Veranstaltung im Frauenarchiv FFBIZ im Frühjahr 2003, mehr als zwei Jahre nach ihrer Amtszeit, einmal ums Schloss Charlottenburg gingen, wurde Monika Wissel von einer Bürgerin erkannt, die sich gern an eine Führung von ihr erinnerte. Gleich waren die beiden Charlottenburgerinnen in ein angeregtes Gespräch über "ihren" Bezirk vertieft. Starallüren sind Monika Wissel fremd, und ich schätze sie als eine aufmerksame, kluge und - mit Verlaub - charmante Gesprächspartnerin.

Der immense Druck ist inzwischen im Alltag gewichen, doch "Ruhestand" ist für Monika Wissel noch immer ein Fremdwort. Sie engagiert sich weiterhin für Frauenbelange, z.B. ehrenamtlich als Vorstandsfrau im Verein "FrauSuchtZukunft", zu dem auch das Frauendrogenprojekt "Café Seidenfaden" gehört. Wenigstens hat sie nun wieder mehr Zeit für ihre Hobbies, zum Bücherlesen, für klassische Musik und Theaterbesuche. Und zum Reisen: ihren Geburtstag verbringt sie in Kanada. Herzlichen Glückwunsch!


Claudia Schoppmann

Photo: Gisela Franke
 
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