Eine Amerikanerin in Paris: Janet Flanner  
 

Janet Flanner war sowohl Beobachterin als auch Knotenpunkt der Pariser Frauen von der Left Bank. Die außergewöhnlich begabte Journalistin beschrieb für das Magazin New Yorker ein halbes Jahrhundert lang die Geschehnisse in der Alten Welt.
Die Künste, die Politik wie der kleine Mensch an sich waren Themen für "Genêt"

Als Janet Flanner am 13. März des Jahres 1892 auf die Welt kam, wurde sie in eine achtbare Familie geboren. Die Eltern waren Quäker, Mitglieder einer sittenstrengen, aber sozial stark engagierten religiösen Gemeinschaft, und ließen Janet und ihren zwei Schwestern behütet aufwachsen. Janet besuchte erfolgreich High School und College, und just als sie 1912 mit ihrem Universitätsstudium beginnen wollte, fiel ein dunkler Schatten auf die bislang heile Welt: Der Vater beging völlig überraschend Suizid. Aus reiner Vernunft trat Janet ihr Studium in Chicago an, fühlte sich aber durch den tragischen Verlust nachhaltig verwirrt. Nach zwei Jahren brach sie das ohnehin ungeliebte Studium ab, um, ganz Quäkerin, in einer Besserungsanstalt für Mädchen zu arbeiten.
1916 kehrte sie in ihre Heimatstadt Indianapolis zurück, um einen auf zweifache Weise völlig neuen Job anzutreten: Flanner arbeitete nun als Journalistin und als "erster Kritiker" des Mediums Film beim Indianapolis Star. Sie hatte Freude an ihrem neuen Beruf, nicht jedoch an dem ihr nun als Erwachsener auffallenden Puritanismus und der Bigotterie ihrer Mitmenschen. Sie entschied sich zur Flucht aus der "Provinz" - und heiratete hierzu 1918 ihren Ex-Kommilitonen William Lane Rehm, der nach dem Studium nach New York gezogen war. Greenwich Village wurde ihr neuer Lebensmittelpunkt, und die neugierige Janet stürzte sich mit vollem Engagement ins Leben. Sie fand Kontakt zu Künstlerkreisen, engagierte sich in der Frauenwahlrechtsbewegung und erforschte nebenbei noch ausführlich ihre Sexualität: Als Janet Flanner im Winter 1919 Solita Solano kennenlernte, war diese zwar nicht ihre erste Frau, aber die erste große Liebe.
Solano (eigentlich: Sarah Wilkinson), die als Theaterkritikerin bei der New York Tribune und freie Autorin bei National Geographic beschäftigt war, hatte trotz ihrer 30 Lebensjahre schon ein bewegtes Leben geführt. Eine frühe Heirat ließ sie für einige Zeit in Asien leben, nach der Trennung von ihrem Ehemann schlug sie sich als Schauspielerin durch, bevor sie schließlich in Boston eine erste Anstellung als Journalistin fand. Nicht nur durch den gleichen Beruf funktionierte und harmonierte das Duo Flanner und Solano perfekt; für mehr als ein halbes Jahrhundert pflegen die beiden engsten Kontakt, zunächst als Liebespaar, später als beste Freundinnen.
Zu dieser Zeit war die Liebe so groß, dass Flanner ihrer Lebenspartnerin 1921 nach Griechenland folgte, wohin Solano ein Auftrag für eine Reportage geführt hatte. Es folgte eine Rundreise durch Europa, an deren Zielpunkt, Paris, die beiden eine neue Heimat finden sollten. Eine lesbengeschichtliche Ära beginnt: Zusammen mit Gertrude Stein und Alice B. Toklas, Nathalie Barney und Romaine Brooks, Djuna Barnes und vielen weiteren bildete sich ein Freundinnenkreis, der als "Die Frauen von der Left Bank" berühmt werden sollte. Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und ihre Geliebten schufen einen einzigartigen Zirkel, der alle Beteiligten sowohl emotional als auch beruflich inspirierte. Bis zum Einbruch der dunklen Zeit in Europa und auch noch darüber hinaus funktionierte dieses Netzwerk.
Janet Flanner berichtete in ihrer New Yorker Freundin Jane Grant regelmäßig über "ihr Paris". Mit dem distanzierten Blick einer Amerikanerin beobachtete sie das Leben in Frankreich und Europa, seine bildenden Künstler und intellektuellen Köpfe, schrieb dies alles so stilsicher und pointiert nieder, dass Grant ihrem Ehemann Harold Ross empfahl, diesen "Letter from Paris" in sein neues Magazin aufzunehmen. Am 10. Oktober 1925 erschien der erste dieser öffentlichen Briefe im brandneuen New Yorker, und bis ins Jahr 1975 sollte Janet Flanner unter dem Pseudonym "Genêt" ihre Leser regelmäßig alle zwei Wochen über die Geschehnisse in der Alten Welt unterrichten. Darüber hinaus verfertigte sie eine ganze Reihe eindrucksvoller Portraits ihrer Zeitgenossen, die 1940 als Sammelband erschienen ("An American in Paris: Profile of an Interlude Between Two Wars"); neben Jean-Paul Sartre und Josephine Baker, Picasso und Stravinsky ist hierin auch ein kritischer Text über Hitler zu finden, der während der Olympischen Spiele 1936, die Flanner besucht hatte, entstand.
Die Arbeit für Ross erwies sich als so erfolgreich und finanziell erträglich, dass Solita Solano ihre eigene journalistische Arbeit hintanstellte. Sie avancierte zu Flanners rechter Hand, indem sie für sie recherchierte, ihre Texte korrigierte und tippte. Ihre Liebesbeziehung wandelte sich allmählich zu einer Arbeitsbeziehung, ohne jedoch völlig abzuebben. Als sich Janet 1932 in die Sängerin Noel Haskins Murphy - laut Zeitzeugen eine Mischung aus der Garbo und der Dietrich - verliebte und viel Zeit in deren Haus in Orgeval bei Paris verbrachte, arrangierte Solano sich sogar und besuchte die beiden regelmäßig. Dieses Dreiecksverhältnis sollte über den Kriegsbeginn 1939 hinaus funktionieren, als Janet und Solita nach New York flohen und Noel in Paris verblieb, um Flüchtlingen zu helfen.
Erst als Janet Flanner im folgenden Jahr noch eine Frau, die Italienerin Natalia Danesi Murray, ins Beziehungs-Boot holte, trennte sich Solita von ihr, ohne dass das Arbeits- und Freundschaftsverhältnis darunter litt. Viele Aktivitäten unternahmen sie zu dritt, und auch um andere "Heimkehrerinnen" aus Europa (wie die Autorin Carson McCullers) kümmerten sie sich gemeinsam.
Janet Flanner als KorrespondentinDer Aufenthalt in New York war für Flanner ein Zwangsaufenthalt. Sie brannte darauf, nach Paris zurückzukehren. Mit ihrem Mittel, dem Journalismus, kämpfte sie für eine Befreiung Europas von den Nationalsozialisten, unter anderem in der Auslandsabteilung der öffentlichen Rundfunks. 1944, nach der Befreiung durch die Alliierten, kehrte sie als eine der ersten JournalistInnen in ihre Wahlheimat zurück, um als Korrespondentin und später auch als Berichterstatterin über die Nürnberger Prozesse zu arbeiten.
Die Rückkehr nach Paris war auch eine Rückkehr zu Noel Haskins Murphy, die den Krieg auf ihrem Gut in Orgeval mehr schlecht als recht überstanden hatte. Das Dreieck blieb über viele Jahrzehnte bestehen: Geschickt pendelte Flanner zwischen Frankreich und New York, zwischen Natalia und Noel. Und auch ihre alten Freundinnen vergaß sie nicht - viele von ihnen, wie die inzwischen in den USA gestrandete Djuna Barnes, unterstützte sie finanziell und emotional. Am Ende ihres Lebens konnte sie auf die gleiche Hilfe vertrauen: Natalia Danesi kümmerte sie rührend bis zu ihrem Tod um sie.
Janet Flanner, die inzwischen als Ehrenmitglied der französischen Fremdenlegion und Ehrendoktorin ausgezeichnet worden war, verstarb am 7. November 1978 im Alter von 86 Jahren in New York.
Sabine König/Anne-K. Jung




Lesetipp:
Andrea Weiss: "Paris war eine Frau", Rowohl TB od. Edition Ebersbach
Brenda Wineapple: "Genet. A Biography of Janet Flanner", Nebrasca Press 1992, 361 S.

 
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