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Gottgläubige
Lesben leben im Zwiespalt: ihre Kirche sagt, dass praktizierte Homosexualität
Sünde ist, während sie sich selbst als von Gott angenommen wissen - lesbisch,
wie sie sind. Die ungläubigen Schwestern verstehen nicht, wie sie eine Institution
unterstützen können, die Homosexuelle diskriminiert und zwingt, unsichtbar
zu bleiben: "Dafür zahlst du auch noch Kirchensteuer?!" Isoliert fühlen
sie sich auf beiden Seiten, denn für die überwiegende Zahl der KirchgängerInnen
ist das Thema "Lesbischsein und Kirche" ein angstbesetztes Tabu, die Szene
aber will mit Kirche nichts zu tun haben und begegnet ihr mit klischeehaften Bildern.
Auftanken, neue Energie schöpfen, sich angenommen und zu Hause fühlen -
eine Mut machende Erfahrung, die lesbische Christinnen in ihren Netzwerken finden,
aber auch bei kirchlichen Großveranstaltungen, wie jüngst dem 1. Ökumenischen
Kirchentag in Berlin.
Orangefarbene Schals und Halleluja-Gesänge, ausgebreitete Stadtpläne aller
Orten, Menschen wie die Lemminge auf dem Weg zur U-Bahn: Zur ersten gemeinsamen Veranstaltung
seit der Reformation strömten rund 200.000 evangelische und katholische ChristInnen
in die Hauptstadt, um gemeinsam unter dem Motto "Ihr sollt ein Segen sein"
zu diskutieren, zu feiern und zu beten. Viele junge Leute - 52 Prozent der DauerteilnehmerInnen
waren unter 40 Jahre alt, mit einem Fünftel stellten die 18- bis 29-Jährigen
die größte Altersgruppe -, mehr ProtestantInnen (62,7 Prozent) als KatholikInnen
(36,2 Prozent) und mehr Frauen (59 Prozent) als Männer prägten das Bild
des Kirchentags. So gehörte das Frauenzentrum mit dem "Netzwerk Katholischer
Lesben", "Labrystheia", "Lesben und Kirche" und anderen
im Hauptgebäude der Technischen Universität zu den meistbesuchten Veranstaltungsorten.
Doch nicht erst hier entdeckte der geübte Blick häufig Lesbenpaare, sondern
ebenso auf dem Messegelände unterm Funkturm und rund um die Bühnen auf
verschiedenen Plätzen in der Berliner City.
Erfahrungsaustausch im Frauenzentrum: "Wie sage ich meinen Kindern, dass ich
lesbisch bin?" fragt eine Sächsin in die Runde der lesbischen Mütter.
Nur wenige in ihrem alltäglichen Umfeld wissen um ihre Homosexualität.
Bei einer Norddeutschen ist das anders: Sie lebt mit Frau und zwei Töchtern
offen lesbisch - auch in ihrer Kirchengemeinde, in der sie wie selbstverständlich
die Kindergottesdienste mit vorbereitet. Als Angestellte einer evangelischen Landeskirche
ist eine andere sich sicher: "Wenn ich mich oute, verliere ich meinen Job."
Sie geht als Alleinerziehende durch. "Schon das wird gerade eben so geduldet",
sagt sie.
Mit farbigen Murmeln auf einer Deutschlandkarte markieren die Teilnehmerinnen ihren
Heimatort. Die meisten kommen aus Berlin, einige aus dem Norden und Westen der Republik,
wenige aus Süddeutschland. Die Berlinerinnen haben es gut: In der Großstadt
müssen sie ihr Lesbischsein nicht verbergen wie die meisten Lesben mit Kirchenzugehörigkeit
im ländlichen Raum. Die evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg gestattet
die Segnung von Lebenspartnerschaften, gibt sich gegenüber Homosexuellen tolerant.
Selbst die Katholikinnen, die weder auf priesterlichen Segen noch auf den Verbleib
im Kirchendienst hoffen dürfen, sobald sie sich outen, scheinen mutiger. Der
Fall der Trierer Religionslehrerin, die ihre "Missio Canonica" verlor,
nachdem sie ihre Verpartnerung dem Bistum mitgeteilt hatte, bewegt die Gemüter
nur am Rande: "Das hätte sie wissen müssen." Doch auf der "Agora",
dem Markt der Möglichkeiten, auf dem Messegelände sammeln katholische Lesben
Unterschriften für eine Resolution, die die Rücknahme der Kündigungsdrohung
für LebenspartnerInnen durch die Katholische Bischofskonferenz zum Ziel hat.
Wichtiger als solche praktischen Fragen, die zwar die Solidarität aller fordern,
aber doch nur einen Teil homosexueller ChristInnen direkt betreffen, war in den Lesbengruppen
und im Zentrum des Ökumenischen Arbeitskreises "Homosexuelle und Kirche"
(HuK) die theologische Debatte: Wie kann eine lesbisch-schwule Theologie, wie eine
Theologie der sexuellen Befreiung aussehen? Müssen wir nicht eher eine Queer-Theologie
formulieren? Können die Theologie der Befreiung Lateinamerikas und die feministische
Theologie Wurzeln sein? Das sind die drängenden Fragen. Nach dem individuellen
Befreiungsschlag, dem Coming-out, der gesellschaftlichen Befreiung, der lesbisch-schwulen
Emanzipationsbewegung, steht die religiöse Befreiung bevor. Die Theologie muss
analog der Option für die Armen eine Option für Lesben und Schwule einnehmen,
ist der Kernsatz eines HuK-Podiums. Ansätze dazu liefern schon seit einiger
Zeit verschiedene Aufsätze homosexueller TheologInnen, unter anderem in Auseinandersetzung
mit der Orientierungshilfe "Mit Spannungen leben" der Evangelischen Kirche
in Deutschland, aber auch exegetische Arbeiten. Homoerotische Ebenen in Bibel und
Liturgie gilt es freizuschälen, ähnlich wie einst die feministische Theologie
von männerzentrierten Gottesbildern befreite und den Blick für neue theologische
Dimensionen öffnete, die heute die Glaubenspraxis sowohl von Frauen als auch
von Männern bereichern. Auch Lesben und Schwule können das Gemeindeleben
mindestens durch ihr spezifisches Charisma bereichern. Das könnte eine besondere
Leidensfähigkeit, eine besondere Art und Weise sein, sich in andere einzufühlen
und authentisches Sosein vorzuleben. Aber auch das wurde bei der HuK deutlich: Vielfach
sehen gottgläubige Lesben nicht oder noch nicht die Notwendigkeit einer queeren
Befreiungstheologie. Dass die feministische Theologie ihnen den Zugang zu ihrer Religion
offen hält, mag dafür ein Grund sein. Dass die Diskussion in männerdominierten
Gruppen wie der HuK oftmals an Frauen vorbeiläuft, ein anderer.
Sabine Röhrbein
Photos: "Ökumenischer Kirchentag" |
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