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Karibik 97
Ich traf sie in diesem Tanzkurs, Tango für Anfängerinnen. Sie trug ein
rotes Kleid und wenn irgendwo etwas rot ist, muss ich hinsehen. Sie hatte nichts
dagegen. Redete nicht viel und sie trank nicht. Von Alkoholikerinnen hatte ich die
Schnauze voll, sie wissen am nächsten Morgen nie, was sie dir am Abend gesagt
haben. Und meistens haben sie nichts Nettes gesagt.
Sie hieß Ingrid und tanzte passabel. Ich tanze nicht gut, aber auch nicht schlecht,
ausgezeichnete Tänzerinnen schüchtern mich ein, sie lieben das Tanzen mehr
als die Begegnung, sie tanzen, um es dir zu zeigen. Es gab einige davon beim Tango
für Anfängerinnen. Das ist immer so. Wie sie mit dem Kopf ruckten. Mein
Gott.
In der Pause zog sie ihre Schuhe aus. Sie hatte lange Füße und an beiden
war der zweite Zeh länger als der große. Deshalb, sagte sie, passe sie
in keinen Schuh. Sie wackelte mit den Zehen, und ich staunte, weil sie jeden einzeln
bewegen konnte. Meine Schuhe drückten auch, aber ich ließ sie an. Meine
Fü-ße schwitzen immer so.
Nach der Pause zog sie mich ein klein wenig enger an sich, so wenig, dass ich mir
nicht ganz sicher sein konnte. Sie hielt den Kopf gerade und blickte an mei-ner rechten
Schulter vorbei. Ihr Blick war starr und wirkte panisch. Ich sehnte mich nach dem
hellen Flaum auf ihrer Wange und nach den Schweißtropfen zwischen ihren Brüsten.
Es war so lange her.
Sie nahm mich mit nach Hause. Wir gingen die Treppen hoch, vier Stockwerke, und da
hatte sie diese Fototapete im Schlafzimmer, die einzige gerade Wand, die Wand, an
der das Bett stand, Karibik, Palmen, Sandstrand, Himmel, weiße Wolken. Auf
dem Nachttisch brannte eine Lampe mit braunem Schirm, und als sie das Licht abdimmte,
erschien alles in einem unwirklichen Fotobraun, der Himmel verdüstert, die Palmen
schwarz, der Strand angetrocknetes Blut. Sie saß auf dem Bett, auf der ordentlichen
Tagesdecke und sah mich mit diesem Blick an. Das rote Kleid lag auf dem Stuhl. Ihr
Büstenhalter hatte Schweißflek-ken. Sie drückte nur eine ganz kleine
Kuhle ins Bett. Die Palmen schwankten im Wind.
Ich murmelte etwas von Badezimmer und schlich mich aus der Wohnung. Das Leben ist
voller Missverständnisse.
Gitta Büchner, Jahrgang 53, lebt und arbeitet in Bochum. Sie ist Mitherausgeberin
und Autorin der Lesbenzeitschrift IHRSINN, schreibt Glossen, Sketche und Kurzgeschichten,
die in zumeist selbstironischer Weise mit dem Alltag lesbischer und anderer Frauen
schildern. Ihre Figuren führt sie gern in scheinbar alltägliche Situationen,
die sich zu mittleren Katastrophen auswachsen können. Im Herbst erscheint ein
Band mit ihren Erzählungen im Ulrike Helmer Verlag unter dem Titel: Nie wieder
Rigoletto.
Gitta Büchner |
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