Lesbian Poetry Slam 2002

 
  Der erste Poetry Slam beim Lesbenfrühlingstreffen war mit fast 250 Besucherinnen ein voller Erfolg. Wie versprochen, werden die Texte der drei erstplatzierten Autorinnen in lespress veröffentlicht. Wir beginnen mit der Gewinnerin Gitta Büchner:  
  Karibik 97


Ich traf sie in diesem Tanzkurs, Tango für Anfängerinnen. Sie trug ein rotes Kleid und wenn irgendwo etwas rot ist, muss ich hinsehen. Sie hatte nichts dagegen. Redete nicht viel und sie trank nicht. Von Alkoholikerinnen hatte ich die Schnauze voll, sie wissen am nächsten Morgen nie, was sie dir am Abend gesagt haben. Und meistens haben sie nichts Nettes gesagt.
Sie hieß Ingrid und tanzte passabel. Ich tanze nicht gut, aber auch nicht schlecht, ausgezeichnete Tänzerinnen schüchtern mich ein, sie lieben das Tanzen mehr als die Begegnung, sie tanzen, um es dir zu zeigen. Es gab einige davon beim Tango für Anfängerinnen. Das ist immer so. Wie sie mit dem Kopf ruckten. Mein Gott.
In der Pause zog sie ihre Schuhe aus. Sie hatte lange Füße und an beiden war der zweite Zeh länger als der große. Deshalb, sagte sie, passe sie in keinen Schuh. Sie wackelte mit den Zehen, und ich staunte, weil sie jeden einzeln bewegen konnte. Meine Schuhe drückten auch, aber ich ließ sie an. Meine Fü-ße schwitzen immer so.
Nach der Pause zog sie mich ein klein wenig enger an sich, so wenig, dass ich mir nicht ganz sicher sein konnte. Sie hielt den Kopf gerade und blickte an mei-ner rechten Schulter vorbei. Ihr Blick war starr und wirkte panisch. Ich sehnte mich nach dem hellen Flaum auf ihrer Wange und nach den Schweißtropfen zwischen ihren Brüsten. Es war so lange her.
Sie nahm mich mit nach Hause. Wir gingen die Treppen hoch, vier Stockwerke, und da hatte sie diese Fototapete im Schlafzimmer, die einzige gerade Wand, die Wand, an der das Bett stand, Karibik, Palmen, Sandstrand, Himmel, weiße Wolken. Auf dem Nachttisch brannte eine Lampe mit braunem Schirm, und als sie das Licht abdimmte, erschien alles in einem unwirklichen Fotobraun, der Himmel verdüstert, die Palmen schwarz, der Strand angetrocknetes Blut. Sie saß auf dem Bett, auf der ordentlichen Tagesdecke und sah mich mit diesem Blick an. Das rote Kleid lag auf dem Stuhl. Ihr Büstenhalter hatte Schweißflek-ken. Sie drückte nur eine ganz kleine Kuhle ins Bett. Die Palmen schwankten im Wind.
Ich murmelte etwas von Badezimmer und schlich mich aus der Wohnung. Das Leben ist voller Missverständnisse.

Gitta Büchner, Jahrgang 53, lebt und arbeitet in Bochum. Sie ist Mitherausgeberin und Autorin der Lesbenzeitschrift IHRSINN, schreibt Glossen, Sketche und Kurzgeschichten, die in zumeist selbstironischer Weise mit dem Alltag lesbischer und anderer Frauen schildern. Ihre Figuren führt sie gern in scheinbar alltägliche Situationen, die sich zu mittleren Katastrophen auswachsen können. Im Herbst erscheint ein Band mit ihren Erzählungen im Ulrike Helmer Verlag unter dem Titel: Nie wieder Rigoletto.

Gitta Büchner
 
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