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Die Pressesprecherin
des dtv-Verlags versichert freundlich, ihre Autorin sei überhaupt keine Diva.
So kommt Antje Strubel zum Interview auch ganz unglamourös auf dem Fahrrad daher,
gleichzeitig aber ausgesprochen schick im Anzug. Ihre beeindruckend braunen Augen
strahlen Energie und Lebensfreude aus - und das, obwohl sie gerade mitten in Prüfungen
zum Thema "Todesmetaphorik bei Georg Heym" steckt.
Eine Frage, die ich niemals gestellt hätte, die sie aber selbst ansprach: "Rávic"
- was ist das denn??
Rávic
ist ein Kunstname und den habe ich mir gegeben, um ein Zwischenwesen zu bezeichnen,
das man beim Schreiben ist. Es gibt eine Schreibexistenz, die sich von der alltäglichen
Existenz unterscheidet. Ich heiße auch nur Antje Rávic Strubel für
Bücher, die ich veröffentliche. Journalistische Artikel sind etwas anderes,
aber dieses literarisches Schreiben: Plötzlich schaltet sich die Sprache selbst
ein und das ist irgendwie eine Art anderes Wesen.
Als
Wesen in der realen Welt ist Antje Strubel sportlich und aktiv. Als Motorradfahrerin
ist sie mit ihrem Chopper im Sommer bis nach Norwegen unterwegs, als Kanufahrerin
und als Scout lotst sie Gruppen von Frauen durch schwedische Seenplatten. Sie tanzt
Tango und sie fährt Ski. An ihrem Romandebüt hat sie mehrere Jahre gearbeitet,
ihr gleichzeitiges Studium der Deutschen und der Amerikanischen Literaturwissenschaften
- Nebenfach Psychologie - steht kurz vor dem Abschluß. Ihre Magisterarbeit
schrieb sie über Friedericke Mayröcker.
Zeit für Beziehungen findet sie daneben auch noch.
Ich bin mit
einer Frau zusammen. Ich verliebe mich meistens in Frauen, also könnte man sagen,
ich bin wahrscheinlich lesbisch. Aber das ist immer so eine Festlegung. Da sagt man
das und dann verliebt man sich in einen Mann und dann bricht das große Drama
aus. Man sollte immer, wie bei Platon, die zweite Hälfte nehmen, die gerade
so zu einem paßt. Das ist bei mir meistens eine Frau.
Antje Strubel, 1974 in Potsdam geboren, wuchs in Ludwigsfelde, einer Kleinstadt bei
Potsdam auf. Discos fand sie langweilig. Sie spielte Handball und verbrachte schon
immer einen großen Teil ihrer Zeit mit Lesen. Zur Zeit der Wende war sie gerade
sechzehn. Heute lebt sie in Berlin.
Der Mauerfall
fiel genau mit dem wichtigsten Teil meiner Pubertät zusammen. Da hat sich bei
mir viel verändert und gleichzeitig hat sich die ganze Gesellschaftsordnung
verändert. Das war eine spannende und aufregende Zeit - voller Gegensätze
zu dem, was vorher so gewesen ist. Im Rückblick ist es schwierig, das eine vom
anderen getrennt zu sehen.
Meine Kindheit war auf jeden Fall eine DDR-Kindheit. Und das Abitur in der Schule
lief von den Regeln her noch nach Ost-Gesetzen. Gleichzeitig war der Westen schon
eingebrochen. Das gab so einen merkwürdigen Widerspruch, das war ganz spannend.
Aber ob ich mich als Ostfrau sehe? Eine Freundin von mir sagt immer, ich sei der
Berufs-Ossi. Mich beschäftigt dieses Thema einfach dauernd - oder immer noch.
Ich würde mich selber nicht als Ostfrau bezeichnen, dazu war ich viel zu jung,
ehrlich gesagt. Ich merke auch, im Gegensatz zu Christiane im Roman, daß ich
selber kein besonderes Problem habe oder hatte, mich in dieser anderen Gesellschaftsordnung
zurechtzufinden.
Nach dem Abitur machte Antje Strubel in Berlin eine Ausbildung zur Buchhändlerin.
Im Anschluß daran begann sie in Potsdam Literaturwissenschaften zu studieren.
Schreiben wollte sie schon immer, als Journalistin oder als Schriftstellerin.
Meine
Ausbildung war auch so ein Resultat der Wende. Plötzlich kam bei mir die Panik,
die man uns immer beigebracht hat: Im Westen müssen alle unter den Brücken
schlafen, mit Plastiktüten und so. Da habe ich gedacht: mache ich lieber mal
eine Ausbildung, dann habe ich was Handfestes. Da kam für mich nur eine Buchhandelslehre
infrage, weil ich immer schon viel gelesen habe und das von allen Jobs am interessantesten
fand.
Ganz früh hatte ich eine Phase, wo ich tolle Bücher über Sklaverei
gelesen habe, die zu Revolution, Aufbruch und Sklavenbefreiung aufriefen. Später
habe ich ganz viel Balzac, Zola und andere Bücher des Realismus gelesen - vor
allem, weil meine Eltern viele solche Bücher hatten. Dann kam die amerikanische
Phase, und die hält immer noch an. Ich interessiere mich sehr für alles,
was in der amerikanischen Gegenwartsliteratur entsteht. Seitdem ich ernsthafter schreibe,
hängt es auch sehr vom Buch ab, welche Autoren ich in dem Moment besonders intensiv
lese. Bei der "Offenen Blende" war es James Baldwin z.B oder Paul Auster
mit der "New York Trilogy" und Uwe Johnson - das sieht man ja auch an den
Überschriften, die in meinem Buch auftauchen, welche Bücher da eine Rolle
gespielt haben.
Ihr Roman "Offene Blende" erzählt die Geschichte einer Identitätsfindung.
Die Ostfrau Christiane läßt alles hinter sich und beginnt ein neues Leben
in New York. Mit Jeff, den sie dort kennenlernt, baut sie ein Theater auf. Als sie
zehn Jahre später, inzwischen nach der Wende, die Fotografin Leah aus Marburg
trifft, verlieben sich die beiden Frauen ineinander.
Die Grundidee
war - ich wollte gerne einen abgeschlossenen Raum zeigen, der wie ein Gehirn funktioniert,
in dem man einen Prozeß von Erinnern und Vergessen deutlich machen kann - also
daß eine bestimmte Art von Erinnern gleichzeitig auch Vergessen heißt.
Das ist ja eine relativ abstrakte Idee, und die Geschichte hat sich dann drumherum
beim Schreiben entwickelt. Die Frage war, wie kann man aus Sicht der anderen Gesellschaftsordnung,
also aus Sicht Leahs, heute noch eine Ost-Identität beschreiben.
Die Idee mit diesem geschlossenen Gehirnraum hat sich konkret deshalb ergeben, weil
ich zeigen wollte, wie Menschen, denen eine Gesellschaftsordnung weggebrochen ist,
mit diesem leeren Raum, der dann übrigbleibt - mit diesem Phantasieraum - umgehen.
Das war der Ausgangsgedanke.
Ort der Rahmenhandlung sollte New York sein. Antje Strubel verbrachte acht Monate
dort. Vorher hatte sie sich ein Konzept für den Roman überlegt, vor Ort
sammelte sie Bilder und Eindrücke. Sie arbeitete als Beleuchterin an einem kleinen
Theater, studierte und machte sich Notizen. Schreiben allerdings konnte sie dort
nicht.
Ich war viel
zu sehr drin. Ich mußte erst wieder zurück sein und konnte dann richtig
anfangen. Ich kann jetzt auch nicht über Berlin schreiben, nur über Orte,
an denen ich gerade nicht bin.
In New York sollte das Buch spielen, weil es ein neutraler Ort ist und weil New York
die Stadt ist, wo die Identitätsfrage ganz wichtig ist, weil jeder sich abgrenzen
muß, aber sich gleichzeitig Identität auch auflöst, weil das eine
Stadt voller Immigranten ist. Dann wollte ich New York noch als Handlungsort haben,
weil ich zeigen wollte, wie die Ostfrau Christiane über den Umweg, westlicher
zu sein als die Westfrau, ihre ostdeutsche Identität untersucht und schließlich
wiederfindet. Wiederfinden heißt, damit gelassener umgehen und nicht krampfhaft
versuchen, sich einer fremden Identität anzupassen. Sie will ja erst Amerikanerin
sein und unbedingt dazugehören, alles vorherige erstmal vergessen, sich neu
konstruieren und entwerfen.
Jeff ist Christianes einziger Bezugspunkt in New York. Andere Freunde sucht sich
die Hauptperson des Buches nicht.
Dazu ist Christiane
zu unsicher. Sie merkt auf dieser Party, sie kommt irgendwie nicht an, sie läuft
ins Leere mit dem, was sie hat und mit dem, was sie erzählen kann. Es läuft
alles so vorbei und die erzählen völlig andere Sachen. Da stellt sie fest,
daß es im Moment sinnlos ist, neue Leute kennenzulernen, sie kann überhaupt
nicht kommunizieren. Und deshalb ist Jeff ihr wichtiger Kontakt und der Anfang für
sie, etwas Neues zu machen. Aber sie will mit ihm auf der gleichen Ebene anfangen,
deshalb kommt dieses Theater zustande. Deshalb auch diese komische Geschichte, daß
die die Fenster zumauern: Wir schaffen eine Basis, wir schließen das, was vorher
war und was uns ausgemacht hat, aus und fangen beide gleichberechtigt von Null an
- was natürlich illusorisch ist.
In einigen Zeitsprüngen wird die Geschichte erzählt. Die Hauptperson Christiane
hatte schon in der DDR Frauenbeziehungen, das kommt aber erst im Rückblick gegen
Ende des Buches zur Sprache.
Christiane
wird erst so merkwürdig und so zurückgezogen, als sie in New York eintrifft.
Man weiß nicht, daß es vorher ganz anders war, weil sie diese Erinnerungen
nicht zulassen will und deshalb hat der Leser sie auch nicht. Der eine Sprung, mit
dem vom Theater in den neunziger Jahren zurückgeblendet wird in die Zeit in
Eisenach und in ihre Kindheit, der ist wichtig und an der Stelle logisch, weil erst
da, in dem Moment, wo sie Leah trifft und ihr nahekommt, diese Erinnerungen bei ihr
wieder ausgelöst werden.
Und dann sind diese Erinnerungen im Prinzip harmlos, es sind ganz normale Lebenserinnerungen,
so wollte ich das jedenfalls verstanden wissen. Der Zeitsprung war von vornherein
klar. Der andere, der zwischen 1987 und Mitte der Neunziger ist notwendig, weil Christiane
da eine Zeit erstmal leben muß und ich gucken wollte, wie sie sich so entwickelt.
Und dann kommt zehn Jahre später diese Frau aus einer völlig veränderten
Welt, die Mauer ist weg und alles ist anders.
Leah möchte ein Foto von Christiane machen, diese wehrt sich dagegen. Irgendwann
dringt Leah in Christianes Theater ein. Durch diese massive Grenzverletzung jedoch
erkennt Christiane plötzlich, daß ihr Leben eine Inszenierung ist und
etwas wirklich neues noch gar nicht stattgefunden hat.
Leah löst
bei ihr ja diesen Erinnerungsprozeß aus. Manchmal ist es einfach notwendig,
ganz bis über die Grenze zu gehen, jemanden so zu berühren, daß plötzlich
etwas aufgeht oder sich etwas ändert. So habe ich das verstanden.
Der dtv-Verlag hat mit "New York, zwei Frauen, kein Mann" auf dem Buchrücken
quasi ein Lesbenbuch beschrieben. Tatsächlich ist Christianes Beziehung und
wichtigster Bezugspunkt in New York über mehr als hundert Seiten Jeff, ein Mann.
Was der Verlag
daraus macht, ist ja nochmal etwas anderes. Es ist kein Lesbenbuch. Es ist einfach
eine Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen. Niemand sagt: es ist ein Buch für
Heteros, wenn es um Mann und Frau geht. Es ist schlicht die Liebesgeschichte. Nun
wollte ich die Liebesgeschichte genauso universal, wie dieses Denken es vorgibt,
von zwei Frauen erzählen.
Ich hatte keine Lust auf noch so ein "Alter Colonel liebt junges Mädchen"
wie bei Hemingway. Ich finde, davon gibt es schon genug Texte.
Es ist für mich sehr wichtig, daß es zwei Frauen sind, weil es eine literarische
Liebesgeschichte ist und ich finde, daß es langsam Zeit ist, völlig selbstverständlich
zu zeigen, daß man über diese Art Liebe literarisch genauso Themen transportieren
kann wie über jede andere. Ich finde es sogar noch viel zeitgemäßer
als dieses Hemingway-Klischee.
Christianes Beziehung zu Jeff ist der einzige Bezugspunkt, den sie hat.
Sie mag ihn sehr. Für Christiane ist das eine Notwendigkeit, ihn auf diese Weise
kennenzulernen. Ich glaube, am Anfang geht sie nur so mit ihm ins Bett, aber daraus
entwickelt sich eine ziemlich intensive Beziehung.
Hätte Christiane gleich eine Frau kennengelernt und mit ihr das Theater aufgebaut,
dann wäre das Buch ein Lesbenbuch gewesen. Aber das wollte Antje Strubel gar
nicht.
Wir leben
in einer extremen Männergesellschaft. Ich wollte keine Utopie erschaffen. Aber
wenn man genau hinsieht, sind die Männer in dem Buch alle so drauf, daß
sie die Frauen unterstützen. Die haben alle Rollen, die normalerweise Frauen
zugeschrieben werden. Jeff lernt eine Frau kennen und opfert gleich sein ganzes Geld
und steckt es in das Theater. Warum soll ich nicht mal einen Gegenentwurf schreiben
und damit Kritik an dem üblichen Männerbild im Kopf üben! Vielleicht
muß es genau deshalb ein Mann sein. Ein Mann, der sein früheres Leben
aufgibt, um diese Frau zu unterstützen.
Am Ende des Buches macht Leah ihr Traumfoto, Christiane kehrt zu ihren Ursprüngen
zurück. Hat sie sich selbst wiedergefunden? Was wollte Antje Rávic Strubel
mit dem Ende ausdrücken?
Erstmal ist
Leahs Bild ja leer, da ist nichts drauf außer einer leeren Straße. Es
existiert nur in ihrer Vorstellung. Es gibt immer nur die Vorstellung, die man von
der Wirklichkeit hat.
Ob Christiane zurückkehrt, weiß man ja auch nicht so genau. Als sie telefonieren,
hört Leah einen fremden Klang, so eine Flughafenansage, und in dem Moment rutscht
ihr ja dann auch Christianes Gesicht aus Berlin weg und sie weiß gar nicht,
wo sie überhaupt ist. Man weiß nicht, wo Christiane hingegangen ist. Vielleicht
macht sie ihr Lebensmuster, das sie schon die ganze Zeit hatte, woanders weiter.
Vielleicht geht sie ganz woanders hin, um sich wieder neu zu entwerfen. Vielleicht
war das so eine Initiation, daß sie immer wieder weggehen muß und sich
immer wieder neu entwerfen muß. Das jedenfalls war die Idee.
Antje Strubel ist nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Journalistin. Sie schreibt
als Freie für den Hörfunk und für verschiedene Zeitungen, hauptsächlich
Literaturkritiken. Im Herbstkatalog des dtv-Verlages wird bereits ihr nächstes
Buch angekündigt, diesmal mit den Worten: "Die eingefrorene Liebe der zwei
Frauen wird zur Spiegelfläche unterschiedlichster Projektionen."
Mein nächstes
Buch "Unter Schnee" ist eine zusammenhängende Geschichte, aber immer
in unterschiedlichen Erzählungen. So ähnlich wie Ingo Schulze mit "Simple
Storys", der hat dieses Prinzip entwickelt, das kenne ich in Deutschland nur
von ihm. Meine Erzählungen spielen in dem kleinen tschechischen Touristendorf
Harrachov. Es geht ums Skifahren und um dubiose Geschäfte, also ziemlich anders
als der Roman.
Ist Antje Strubel politisch engagiert?
Ich versuche,
das in meinen Büchern auszudrücken, obwohl man da natürlich kein politisches
Statement abgegeben kann und will. Als Schüler im Osten war ich sehr politisch.
Ich war oppositionell, gegen den Staat eingestellt, was auch von meinem Elternhaus
herkam. Nach der Wende war es so, daß ich viel zu viel suchen mußte,
um überhaupt politisch sein zu können. Mir war vieles zu fremd und zu neu.
Ich bin immer noch dabei, das alles einzuordnen. Ich könnte den Umwelt-Standpunkt
vertreten, da versuche ich mich auch zu engagieren. Alles andere versuche ich über
die Literatur zu klären. Ich versuche, im Kleinen die Dinge zu verändern.
So wie ich versucht habe, ein etwas anderes Männerbild zu entwerfen.
Letzte Frage: Würde sie sich als Feministin bezeichnen?
Ich wußte,
daß diese Frage kommt! Oh, ich hasse sie!
So |