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"Susie,
vergib mir, Liebling, jedes Wort, das ich sage - mein Herz ist voll von Dir, in
meinen Gedanken weilt niemand anderes als Du, und dennoch, wenn ich Dir etwas zu
sagen versuche, das nicht für die Welt bestimmt ist, fehlen mir die Worte."
(Emily Dickinson 1852 an ihre Geliebte und spätere Schwägerin Sue Gilbert)
Barbara und Hildegard werden heiraten. Selbstverständlich nicht jede einen Mann,
sondern beide einander. Doch bis es so weit ist, werde ich noch einiges mit ihnen
durchzumachen haben. Vergangene Woche rief Barbara an. Hildegard und sie wüssten
nicht, was sie zu ihrer Hochzeit anziehen sollten. Beide in Jeans? Beide im Kleid?
Am liebsten jede im Nadelstreifenanzug, und im dekolletierten Kleid sollte die andere
zur Hochzeit gehen. Aber diese Übereinstimmung ist noch gar nicht das größte
Problem.
Keine will die andere zu ihrer Frau nehmen, wiewohl es ja haargenau darum gehen
wird, und auch will keine von beiden künftig von der anderen als ihrer Frau
sprechen. Doch wie denn dann? Und wieso eigentlich nicht? "Meine Frau"
zu sagen und damit die Lebenspartnerin zu meinen, das sei purer Sexismus, erklärte
mir Barbara, es sei die Inbesitznahme der Frau, obendrein noch durch eine andere
Frau! Sie könne "mein Auto" sagen oder "mein Hund" - dabei
hat sie weder ein Auto noch einen Hund -, aber "meine Frau" werde nie
über ihre Lippen kommen, nie. "Meine Frau" - das gehöre in ihre
Vergangenheit als Hetera.
Seine Frau! Meine Frau! Deine Frau! Hildegard lachte. Was hatte sie zu lachen? Sie
hatte noch nie in ihrem Leben verheiratet sein dürfen, da sie Frauen liebt und
immer Frauen geliebt hat. Barbara dagegen stand bereits vor ihrem zweiten Jawort
fürs Leben. Das erste hatte sie Manfred vor zehn Jahren gegeben. Sie hatte sich
von ihm scheiden lassen, aus Liebe zu Hildegard.
Seine Frau? Meine Frau? Deine Frau? Ihre Frau! Darum geht es, sagte ich. Ihre Frau,
das ist etwas völlig Neues, es ist eine Revolution im Patriarchat. Wenn eine
Frau "meine Frau" sagt, dann weil sie ihre Frau meint, und nicht seine
Frau. Vielleicht war ihre Frau mal seine Frau, doch wird die Welt nicht zur Kenntnis
nehmen müssen, dass eine Frau mit einer Frau verheiratet ist, wenn sich die
beiden Frauen gegenseitig öffentlich bloß als Freundinnen bezeichnen.
Darf ich Ihnen meine eingetragene Partnerschaft vorstellen? Hildegard schüttelte
sich vor Lachen. Dieses geschüttelte Lachen verärgerte mich bis in die
Fußspitzen. Mir fiel ein, dass ich mit Hildegard vor etwa zwanzig Jahren am
Tresen der Hamburger "Ika-Stuben" gelehnt hatte, einer traditionsreichen
Lesben-Bar, deren Geschichte bis in die Zeit vor 1933 zurückreicht. Neben ihr
hatte eine junge Frau gestanden, die sie mir als "mein Törtchen" präsentierte,
und Gisela, das damalige Törtchen, hatte dazu geschnurrt wie ein Kätzchen.
Damals war Hildegard mindestens so spießig gewesen wie ihr Vater, und dass
sie es war, aber in dieser gesellschaftlich geächteten Umgebung war, hatte sie
sichtbar genossen.
Was hast du denn gesagt, wenn du zu anderen von Manfred gesprochen hast, fragte ich
Barbara, ließ dabei aber Hildegard nicht aus den Augen. Mein Mann? - Na ja,
wie sonst?, schnaufte Barbara. Das war eben so. Er war mein Mann, und ich war seine
Frau. Hildegard sah gar nicht gut aus in diesem Moment.
Es war übrigens nicht nur Entrüstung, es war Anstrengung, wegen der Barbara
schnaufte, denn sie stemmte sich gegen die Glastür eines großen Modehauses.
Hildegard und sie hatten sich vorgenommen, auf der Suche nach der passenden Hochzeitsgarderobe
für ein lesbisches Brautpaar zunächst dem Bekleidungshaus Peek & Cloppenburg
eine Chance zu geben. Wegen der Herrenabteilung. Natürlich. Weswegen sonst.
Und ich durfte sie dabei begleiten.
Eine Verkäuferin steuerte auf uns zu, Anfang sechzig, mollig, in schlichtem
Kostüm, Pumps, das Haar zu einem festen Knoten gebunden. Ob sie helfen könne?
Barbara und Hildegard schwiegen. Hochzeitsgarderobe, sagte ich. Für welche der
Damen?, fragte die Verkäuferin. Für beide, antwortete ich. Die Verkäuferin
freute sich: Eine Doppelhochzeit? Ich verneinte. Die beiden Damen wollen einander
zur Frau nehmen, sagte ich mit Genuss.
Wir wollen uns heiraten, fiel mir Barbara streng ins Wort. Genau, echote Hildegard,
jede die andere. Im Kleid oder im Anzug?, fragte die Verkäuferin. Barbara und
Hildegard sagten beide zusammen: im Anzug. Sie sagten es trotzig. Ganz so, als hätte
jede ihre Mutter vor sich.
Fraglos hatte die Verkäuferin etwas von einer mächtigen Mutter. Doch diese
Mutter verstellte dem lesbischen Brautpaar keinesfalls den Weg zur Herrenabteilung.
Ganz im Gegenteil kam sie wenig später mit einem schwarzen Anzug zurück,
der Barbara wie angegossen passte. Ein italienisches Modell, atemberaubend elegant
und teuer.
Barbara strahlte, Hildegard strahlte etwas weniger, am meisten strahlte die Verkäuferin.
Todschick, sagte sie ein ums andere Mal und strich dabei über Barbaras kleinen,
hochgeschwungenen Hintern, um den Sitz der Hose zu prüfen. Ob es das erste Mal
sei, erkundigte sie sich. Barbara verstand sofort. Nein, nicht für sie, bei
ihrer ersten Hochzeit habe sie ganz in Weiß geheiratet, das wolle sie nicht
wiederholen.
Hildegard litt. Ich konnte es sehen. Sie litt aus vielerlei Gründen. Manche
ließen sich gar nicht mehr so einfach entschlüsseln, andere lagen offen
da: ihre Hüften und ihre Brüste. Sie hatte von beiden Frauen, wiewohl Urlesbe,
unübersehbar die weiblichere Figur. Es würde schwierig werden mit ihr und
einem Anzug. Es wurde schwierig.
Nach dem sechsten Anzug, Hildegard war inzwischen wieder ihrem Vater in unangenehmer
Weise ähnlich geworden, sagte die Verkäuferin: Also, wenn Sie meine Frau
werden würden, ich hätte Sie am liebsten im Kleid, schön dekolletiert,
das können Sie doch tragen, Sie haben doch alles dafür! Darf ich Ihnen
mal was zeigen? Und bevor noch Widerspruch ausbrechen konnte, befehligte diese resolute
Mutter mit wenigen knappen Anweisungen zwei junge Verkäuferinnen, die in Richtung
Damenabteilung verschwanden, um wenig später mit sechs Kleidern zurückzukommen.
Das lange Weinrote mit dem tiefen Ausschnitt. Wir vier Frauen sahen es sofort. Das
war Hildegards Kleid, und natürlich zog Hildegard es als Letztes an, denn sie
fürchtete sich davor. Als sie aus der Umkleidekabine heraustrat, wagte keine
von uns etwas zu sagen, um Hildegard nicht mit unserer Begeisterung zu erschrecken.
Dann sprachen wir alle auf einmal.
Hildegard sagte, wann sie das denn anziehen solle, außer einmal zur Hochzeit?
Barbara sagte mit völlig verklärtem Blick zu Hildegard, sie solle doch
einfach mal still sein, und ich sagte zu Barbara: Wie sprichst du denn mit deiner
Frau? Aber diese Verkäuferin stellte uns alle drei in den Schatten. Selbstverständlich
bei jedem Frauenfest, sagte sie, während das Kleid eingepackt wurde. Und dann
sagte sie noch etwas. Sie sagte, sie habe noch nie ein so schönes Paar gesehen.
Ich weiß nicht, wie Barbara und Hildegard nach Hause kamen. Ich vermute, auf
Wolken.
Viola Roggenkamp
(zuerst erschienen in der taz vom 11.4.2001)
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