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Das japanische All-Women-Revuetheater Takarazuka gibt ein Gastspiel im Berliner Friedrichstadtpalast.
Ab Ende Juni gastiert eine außergewöhnliche japanische Revuetruppe
in Berlin, deren Erfolgsgeschichte vor fast einem Jahrhundert begann: Anno 1913 gründete
eine lokale Eisenbahngesellschaft auf Japans Hauptinsel Honshu die Takarazuka Revue
Company. Diese brachte farbenprächtige Shows und Musicals nach westlich-amerikanischem
Vorbild auf die Bühne, und zwar mit einem ausschließlich aus Frauen bestehenden
Ensemble. Beides war ein absolutes Novum im Japan des frühen 20. Jahrhunderts
und setzte einen Kontrapunkt vor allem zum traditionellen Kabuki-Theater, in dem
nur Männer auf der Bühne stehen. Offenbar versprach sich die Gründungsgesellschaft
durch die Schaffung einer solch kulturrevolutionären Attraktion einen wachsenden
Umsatz im Schienen-Nahverkehr, zumal die Spielstätte in Takarazuka City nur
eine knappe Zugstunde von den Ballungsräumen Osaka und Tokyo entfernt liegt.
Die Revue erwies sich als zündende Geschäftsidee, die im Laufe der Jahrzehnte
in Japan einen absoluten Kultstatus erringen sollte. Bis heute zieht das unkonventionelle
Revue-Theater Heerscharen von Fans in seinen Bann, die fast ausnahmslos weiblich
sind. Massen von Frauen aller Altersgruppen pilgern regelmäßig in die
4000 Sitze fassende Takarazuka Revue Hall, besuchen den firmeneigenen Vergnügungspark
und den firmeneigenen Zoo und machen die Takarazuka-Darstellerinnen zum Gegenstand
einer schier grenzenlosen Verehrung.
In den Revuen treten ausschließlich Absolventinnen der - ebenfalls firmeneigenen
- Takarazuka Music School auf. Tausende von Bewerberinnen im Alter zwischen 15 und
18 durchlaufen hier jährlich ein extrem hartes Auswahlverfahren, nur wenige
werden aufgenommen. Erst nach Ende einer zweijährigen Ausbildung, die aus einem
nahezu militärischen Alltagsdrill und einem erschöpfenden Training in Tanz,
Schauspiel und Gesang besteht, dürfen die Aspirantinnen dem 400-köpfigen
Ensemble beitreten, wobei sie sich schon zu Beginn der Ausbildung auf entweder den
männlichen oder den weiblichen Part festgelegt haben.
Sie alle müssen sich verpflichten, für die Dauer der Ausbildung und ihrer
Zugehörigkeit zum Theater unverheiratet zu bleiben. Dies stellt ein großes
persönliches Opfer dar, denn selbst heute noch ächtet die traditionelle
und konservative japanische Gesellschaft alle unverheirateten Frauen, die die nach
kulturellem Empfinden maßgebliche Altersgrenze von 25 überschritten haben.
Nicht wenige Darstellerinnen der Revue entscheiden sich mit Mitte zwanzig bewusst
für ein Dasein als Ehefrau und verlassen die Truppe.
Natürlich ist es das erklärte Ziel der Darstellerinnen, ein
"Top-Star" der Revue zu werden und in den Hauptrollen zu spielen. Von der
riesigen Fangemeinde heiß umschwärmt werden vor allem die "Otokoyaku"
ñ die "männlichen" Top-Stars - von denen es heißt, sie bräuchten
mindestens zehn Jahre Bühnenerfahrung, um in ihrer männlichen Rolle überzeugend
zu sein.
Was fasziniert die Fans an den Frauen, die auf der Bühne Männer verkörpern?
"Sie verhalten sich so einfühlsam, rücksichtsvoll, zuvorkommend und
so romantisch, wie mein Mann es nie tun würde. Weil sie Frauen sind, verstehen
sie, was sich Frauen wünschen," antwortete ein weiblicher Fan in der britischen
TV-Dokumentation "Dream Girls" der Filmemacherin Kim Longinotto. Überflüssig
zu erwähnen, dass die Stückeschreiber der Gesellschaft die Inhalte der
Shows und Musicals heute auf genau diese Bedürfnisse hin konzipieren. Neben
romantischen Musical-Klassikern wie zum Beispiel der "West Side Story"
werden vor allem zuckersüße, tragische Liebesgeschichten nach immer demselben
Strickmuster auf die Bühne gebracht. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Bei
Takarazuka soll die unterdrückte japanische Ehefrau für ein paar Stunden
Zuflucht finden in der Traumwelt eines Theaters, das die strenge Geschlechterhierarchie
der eigenen Kultur aufhebt und Männlichkeit neu definiert. Die Takarazuka-Darstellerinnen
werden zum Objekt des Begehrens für ungezählte heterosexuelle Hausfrauen.
Frauen sind eben doch die besseren Männer ... in diesem Fall zumindest.
Anne-K. Jung
Literatur:
Jennifer E. Robertson, Takarazuka ñ Sexual Politics and Popular Culture in Modern
Japan, 320 S., University of California Press 1998, 40$
Das Takarazuka-Revuetheater in Berlin:
Etwa 50 Darstellerinnen der Truppe stellen Takarazuka, seine Stücke, seine Musik
und seine Kostüme in einem großen Querschnitt vor.
Spieltage und Zeiten:
24.6. bis 7.7.2000, Di bis Fr 20 h, Sa 16h und 20h, So nur 16h
Ticket-Telefon:
030-23 26 23 26 Mo 9h bis 18h, Di bis Sa 9h bis 20h
Spielstätte:
Friedrichstadtpalast, Friedrichstr. 107, 10117 Berlin |
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