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"Die Rechnung bitte",
ich stehe mit meinen hastig gepackten Taschen in der Hotelhalle und schaue mich nervös
um. Was diese verfluchte Empfangsdame jetzt wieder hat. Sie wühlt in ihren Papieren
und grinst unverschämt freundlich. Mir ist nicht nach Freundlichkeit und überhaupt
nicht nach langwierigem Rumsuchen. Ich muß hier weg. Die große Uhr an
der Wand gegenüber zeigt 9.16 Uhr. Wie lange wird sie noch schlafen? Was ist,
wenn sie jetzt die Treppen herunterkommt? "Hier ist sie ja", sie legt mir
eine Rechnung vor, die ich weitgehend ignoriere, und gebe ihr meine Eurocard. Schnell
unterschreibe ich den Abbuchungsvertrag und schnappe mein Gepäck.
Ich hetze zu meinem
Auto. Erst als ich das Hotel einige Kilometer weit hinter mir gelassen habe, fange
ich wieder an zu denken. Mein Kopf rast, mein Augenlider sind wie aus Blei und in
meiner Nase habe ich diesen unbeschreiblichen Geruch von Lust und Leidenschaft. Ich
halte an einer Ampel. Als ich heute Morgen aufgewacht war und sie so friedlich schlafend
neben mir gelegen hatte, wußte ich, daß ich gehen mußte. Wäre
ich geblieben, hätte sie mich vielleicht wiedersehen wollen, hätte sie
nach meiner Adresse gefragt, und was dann? Ich kam mir vor wie eine Betrügerin.
Und wenn sie nicht gefragt hätte, wenn sie statt dessen beim Frühstück
in eisiges Schweigen verfallen wäre, wenn ich gespürt hätte, daß
sie mich so schnell wie möglich loswerden wollte? Ich hätte es nicht ertragen.
Die Ampel schaltet auf grün, und ich fahre weiter Richtung Autobahn. Hätte
ich ihr erklären sollen, daß sie gerade wilden und hemmungslosen Sex mit
ihrer alten Studienkollegin gehabt hatte? Es war so offensichtlich gewesen, daß
sie sich nicht an mich erinnern konnte. Vor 16 Jahren war sie meine Zimmergenossin
gewesen. Wir hatten alles miteinander geteilt, den letzten Kaffee, die ersten Brötchen,
den Liebeskummer und die Erkenntnis, lesbisch zu sein. Irgendwann, ohne daß
ich es bemerkt hatte, und ohne daß etwas Besonderes geschehen war, hatte ich
mich in sie verliebt. Hals über Kopf. Ich hatte nie den Mut gehabt, es ihr zu
sagen. Nach dem Studium hatten wir uns aus den Augen verloren, und jetzt, so viele
Jahre später, haben wir uns an einem Wochenende in einem Ski- Hotel wieder getroffen.
Routiniert reihe ich
mich auf der Autobahn in den fließenden Verkehr ein und gebe Gas, so daß
mein alter Renault zu röhren beginnt.
Ich hatte gleich gewußt, wer sie war, als ich sie in der Hotelhalle sah. Warum
bin ich nur nicht sofort zu ihr gegangen und habe mich zu erkennen gegeben? Statt
dessen hatte ich mich so lange in Szene gesetzt, bis ihr nichts anderes übrig
geblieben war, als mich anzusprechen. Warum habí ich dieses Spiel gespielt, ganze
zwei Tage lang? Sind zusammen Ski gefahren, haben geredet und zugehört, gelacht
und wild diskutiert. Es war einfach gewesen, sie mit meinen Gesprächen an mich
zu fesseln, erinnerte ich mich doch so gut an das, was sie mochte, was sie interessierte
und was nicht.
Tränen steigen in mir auf, und ich merke, daß ich nicht länger in
der Lage bin, Auto zu fahren. Ich schalte einen Gang runter und wechsle auf die rechte
Spur, ich brauche eine Pause. Die letzte Nacht und mein Gefühlschaos fordern
ihren Tribut. Ein paar hundert Meter weiter finde ich einen Parkplatz, stelle den
Motor ab und lasse mich in meinen Kummer fallen, erlaube mir, mich hemmungslos zu
erinnern an das, was gestern Abend passiert war.
Wir hatten uns am frühen
Abend vor dem Hotel verabredet, sie hatte meine Hand genommen und war plappernd vor
mir her gehüpft. "Was ist?" hatte sie gefragt und sich dicht, ein
wenig zu dicht, vor mich gestellt. "Träumst du?" "Ne, ne, ich
mußte nur daran denken, daß ich morgen früh wieder fahren muß",
hatte ich geantwortet. "Och, komm schon Rachel, ich doch auch. Heute machen
wir es uns noch mal richtig schön." Aufmunternd hatte sie mich angesehen,
und ich hatte das Gefühl, daß ich sie jetzt küssen müßte,
jetzt und hier mitten in der Empfangshalle dieses Hotels wollte ich ihre Lippen auf
meinen spüren. Ich glaube, sie wußte, was ich dachte, denn sie durchbrach
den Zauber, indem sie sagte: "Komm, jetzt trinken wir erst mal was, und dann
können wir doch noch ein wenig tanzen." "OK", hatte ich ihr geantwortet
und mich von ihr zur Bar führen lassen. Any bestellte Grog für uns beide,
und ich wollte erst ablehnen, weil Alkohol mich meistens müde macht. Als ich
ihr das sagte, meinte sie: "Das glaubst du doch wohl selber nicht." "Ach
ja", konterte ich und rutschte etwas näher, "und wie willst du mich
davon abhalten?" Fragend lehnte ich mich zu ihr und stütze mich mit meinen
Armen auf ihren Oberschenkeln ab. "Oh", sagte sie mit einem Schmunzeln.
"Da fällt mir bestimmt was ein."
Ich weiß noch,
wie ich anfing zu überlegen, ob sie nun wirklich mit mir flirtete, oder ob das
nur einer ihrer Späße war. Sie entzog sich wieder meiner Nähe. Was
machst du eigentlich beruflich? Fast hätte ich zu ihr gesagt, das kannst du
dir doch denken. Schließlich hatten wir beide zusammen Germanistik studiert.
Aber ich schluckte die Antwort herunter, brummelt irgendetwas mit Journalistik und
verlor mich lieber noch einmal in der Tiefe ihrer fast schwarzen Augen. Wir redeten
nicht viel, schlürften unseren Grog und beschlossen dann, uns in Schale zu werfen.
Die Spannung zwischen uns wuchs, doch ich gab mir alle erdenkliche Mühe, sie
zu ignorieren, um nicht zu riskieren, was gerade wieder eine Chance bekam zu wachsen.
"Komm", sagte sie lächelnd, "Laß uns zusehen, daß
wir gesellschaftstauglich werden."
Nachdenklich hatte ich
sie zu ihrem Zimmer begleitet. Eigentlich hätte ich ihr eine Menge zu sagen
gehabt, hätte sie so gerne gefragt, ob sie noch unser Lied kennt. "Nie
wieder" von Ulla Meinecke hatten wir damals bis zum Abwinken gehört. Immer
noch schweigend hatten wir vor der Zimmertür gestanden. Ich roch den zarten
Duft ihres Parfüms und betrachtete ihr Gesicht. Registrierte noch, wie ich meine
Hand hob, und konnte doch nicht richtig erfassen, was ich da tat. Ich strich ihr
ganz vorsichtig über die Wange, fing an, mit meinem Finger ihre Lippen nachzuziehen,
betrachtete, spürte. Sie tat nichts, blieb einfach stehen. Einen kurzen Augenblick
lang hatte ich Angst, daß sie mich abweisen würde, doch dann spürte
ich ihre Hand, die sich um meine Hüfte legte und mich bestimmt aber sanft zu
sich zog. Ich ließ mich ziehen, ließ mich in ihre Arme fallen. Spürte
wie ihre Zunge zögernd meinen Hals entlang zu meinem Ohr fand, um dort jeden
Zentimeter zu entdecken. Ein Kribbeln durchströmte meinen Körper. Und ich
hielt mich noch fester an ihr. Eng umschlungen ließen wir uns gemeinsam gegen
die Tür fallen. Wie lange hatte ich auf diesen Augenblick gewartet. Meine Unsicherheit
verschwand. Ich wollte bei ihr sein, jetzt und hier, alles andere war unwichtig.
Zielstrebig wühlte sich meine Hand durch den dicken Wollpullover und die Skiunterwäsche
bis zu ihren Brüsten, die überraschend weich und rund in meiner Hand lagen.
Vorsichtig umkreisten meine Finger ihr Brustwarzen. Leise flüsterte sie: "Sollen
wir nicht rein gehen?" "Gehen?- Was!- Nein!" Ich schaute sie an. "Nein,
jetzt und hier!" sagte ich. Einen kurzen Augenblick schien sie irritiert, dann
spürte ich wie sie sich gegen meinen Oberschenkel preßte. Verstohlen schauten
wir uns um, doch es war niemand zu hören und zu sehín. Bevor sie protestieren
konnte, knöpfte ich ihre Hose auf und erstickte jeglichen Widerspruch mit einem
Kuß.
Meine Hände fanden
sofort, was ich gesucht hatte. Warm und feucht wurde ich begrüßt, und
meine Finger entlockten ihrem Mund gedämpftes Keuchen. Ihre Hände klammerten
sich in meinen Rücken. Ich genoß den Druck ihres Körpers, kostete
ihr Begehren und ertränkte mich in unserem Verlangen. Unser Atem wurde schneller.
Als ich spürte, daß ihre Lust nach Erlösung rief, konnte ich dem
Verlangen nicht widerstehen, sie anzusehen. Sie war wunderschön, ihr Gesicht
vor Konzentration leicht gerötet, und auf der Stirn konnte ich eine kleine Schweißperle
erkennen. Sie öffnete die Augen, schaute mich an und lächelte in dem Augenblick
in dem sie kam. Entspannt ließ sie sich gegen mich sinken. Ich hielt sie. Einige
Minuten haben wir so gestanden. Schweigend und uns unendlich nah. "Komm",
sagte sie und drehte sich ein wenig aus meiner Umarmung. Kunstvoll, ohne daß
ich meine Hand aus ihrer Hose nehmen mußte, schloß sie die Tür auf.
Kichernd stolperten wir in ihr Zimmer, ließen die Tür ins Schloß
fallen und warfen uns aufs Bett. Schnell zogen wir uns aus und konnte endlich unsere
Haut spüren, nicht nur ahnen und fühlen, sondern sehen und erkennen. ...
Wir sind nicht mehr tanzen gegangen.
Entschlossen wische
ich mir die Tränen aus dem Gesicht und fahre wieder auf die Autobahn. Ich schalte
das Radio ein. Ein wenig Musik wird mich ablenken, denke ich und bemerke augenblicklich,
daß das keine gute Idee war. "Radio Chur" scheppert es mir entgegen.
Oh nein, denke ich, das ist Anys Sender, auch das noch. Ich schaue auf die Uhr und
überlege, ob sie wohl schon auf Sendung ist. Hatte sie nicht gesagt, daß
sie erst heute Abend wieder arbeiten muß? Ich lasse die Musik laufen, warum
auch nicht, die Songs sind gut. Ich glaube, ich hätte ihr wenigstens einen Zettel
hinterlassen sollen. Noch eine halbe Stunde, dann bin ich wieder zu Hause, und der
Alltag hat mich wieder. Der Gedanke an meine Wohnung, an die Arbeit und all das bringt
mich in die Realität zurück. Es hätte keinen Sinn gehabt, so oder
so. Sie wohnt knappe 300 Km von mir entfernt, sie ist eine erfolgreiche Radiomoderatorin,
und ich habe gerade mal den Kulturressort von einem popeligen Tageblatt ergattert.
Nun ja, ich atme tief durch. Sie wird mir fehlen, so wie sie mir in all den anderen
vergangenen Jahren gefehlt hat. Vielleicht sollte ich ihr eine Karte schicken, mal
sehn. Ich fahre die Autobahn herunter und stehe mal wieder vor einer roten Ampel.
Im Radio spielen sie gerade Ulla Meinecke, ÑNie wiederì. Ich drehe die Lautstärke
hoch und singe laut mit: Verliebt, verloren, verbrannt, geweint und weggerannt, nie
wieder, nie wieder, bis zum nächsten Mal ... Das war unser Lied! Damals. Unser
Lied, wenn mal wieder alles daneben gegangen war. War das wirklich ein Zufall? Nervös
kratze ich mich am Ohr. Wie oft haben wir uns zu diesem Lied die Seele aus dem Leib
geheult und die ein oder andere Frau, im allgemeinen oder auch im speziellen, verdammt.
Nur um dann gegen 3 oder 4 Uhr morgens meist ziemlich beschwipst auf dem Dach des
Wohnheimes liegend die Sterne zu betrachten und festzustellen, daß alles Leid
der Erde doch wirklich relativ ist im Vergleich zu der Größe des Universums.
Ein Lächeln schleicht sich durch mein Gesicht.
Gerade als die Ampel
wieder auf grün schaltet und ich die Kupplung durchtrete, wird das Lied heruntergefahren,
und ich höre die Stimme der Sprecherin. Was? Das kann nicht wahr sein! Es ist
Any: ÑHier ist Radio Churì, höre ich sie sagen. "Dieses Lied erinnert mich
immer an eine ganz besondere Frau, ich hoffe sie hört mich jetzt." Ihre
Stimme klingt alles andere als professionell. "Du weißt wo du mich findest!"
Mein Gedanken und Gefühle schlagen Purzelbäume.
Ich drücke kräftig auf´s Gaspedal. "Ja, ich weiß wo ich
sie finden kann..."
I.K. |
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