kolumne

 

  Outing ganz falsch  
  Outing scheint heutzutage eine Art Massenbewegung zu sein. In Talkshows sitzen Dummbatze zu Scharen und tragen irgendeine Perversion zur Schau, die sie unbedingt öffentlich machen wollen. So klagt eine beleidigte Hausfrau über ihren Gatten: "...und dann hat er sich als Hallodri geouted.", eine ABC-Schützin feiert ihr "Coming-out" als Operndiva oder ein irgendein Schnösel ist plötzlich im Büro als Raucher "out", weil die Putzfrau in seinem Schreibtisch einen vollen Aschenbecher gefunden hat. Bisher wiegte ich mich in dem Glauben, daß RaucherInnen "out" sind, weil Lungenkrebs nicht mehr "in" ist. Weit gefehlt.
Seit die erste Generation der von VIVA verdorbenen Jugend nach dem Realschulabschluß so funky Jobs wie Werbedesign macht und der Teil der Journaille, dessen Englischunterricht schon zwanzig Jahre zurückliegt, die Homos erst jetzt entdeckt hat, heißt "outen" soviel wie "rauskommen". Prinzipiell ist das nicht falsch, aber in Talkshows kommt ja so allerhand raus. Bisher konnte die gestandene Tribadin noch milde kichernd zustimmen, wenn wieder eine ahnungslose heterosexuelle Journalistin in der Presse verkündete, Hella von Sinnen sei "out", um so das Wort lesbisch zu vermeiden. Wirklich sehr "out" dagegen ist Nachrichtensprecher Jens Riewa, sogar so "out", daß man gleich den Schrank zunageln sollte, damit Menschen wie er nicht mehr "in" werden.
Zugegeben, ich habe sowieso wenig Sympathie für die absurden Stilblüten, die die Amerikanisierung unserer Sprache hervorbringt. Gab es etwa vor fünf Jahren Hanuta im "Outdoorpack"? Was um Himmelswillen sind "Frühstückscerealien"? Wieso muß uns in einer Punica-Werbung ein "Rollerblader" mit fiesem deutschen Akzent zurufen "Get into the groove"? Klingt "die Zukunft ist heute" weniger vertrauenswürdig in Sachen Autofahren, als "The Future is now"?
So richtig hanebüchen wird es erst, wenn die eigene Homo-Brut in den Medien und andernorts vor sich hinfaselt, das eigene Outing als Fußballfan beim den Gay Games erlebt zu haben und damit meint, stramme Waden ganz dufte zu finden. Da rollen sich doch die nervös abgeknabberten Fingernägel automatisch hoch. Das ist mindestens so schlimm wie minderjährige Lesbchen, die dich mitleidsvoll ansehen und sagen "Was, so alt bist du schon? Dann hast du die Feministenzeit ja noch voll mitgekriegt". Da hilft nur noch ein beherzter Biß in die Tischkante, um nicht gewalttätig zu werden.
Also hier nochmal zum Hinter-die-Ohren-schreiben:
Erstens: Geschichtskenntnisse sind total in. Parties und Piercings dagegen out!
Zweitens: Wenn ein Klassenkamerad/Kommilitone/Mitarbeiter vor versammelter Mannschaft rausposaunt: "Judith ist eine fette Lesbe!", und Judith ist unterernährt, dann ist das eine Beleidigung. Ist Judith aber moppelig, dann ist das ein Outing. Wenn die fiktive Judith dagegen mit einem über der Brust spannenden T-Shirt in Größe XXL zur Schule/Uni/Arbeit kommt, auf dem steht "Ich bin eine dicke Lesbe", legt sie damit ein Coming-out in der Öffentlichkeit hin. Nur die Reaktion darauf ist seit den letzten dreißig Jahren die gleiche geblieben; geahnt haben das alle.

Stephanie Kuhnen